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Energiekrise: Krankenhäuser stehen auf der Kippe

Nur der Bund kann die existenzielle Bedrohung der öffentlichen Kliniken abwenden

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.
Pflegekraft Marie Sohn (links) mit ihrem Kollegen Izaak Falk auf dem Weg zum Bundesgesundheitsministerium.
Pflegekraft Marie Sohn (links) mit ihrem Kollegen Izaak Falk auf dem Weg zum Bundesgesundheitsministerium.

»Der Patient im Bett, der wird konkret die schlechtere Versorgungsqualität merken«, sagt Marie Sohn am Donnerstag zu »nd«. Die 34-Jährige ist Bereichsleiterin der Pflege in den Alexianer St. Hedwig Kliniken und steht in Arbeitskleidung in der schwach durchbrechenden Herbstsonne auf dem Hof des Klinikums in der Großen Hamburger Straße in Mitte. Nein, frieren würde sie nicht und sie ist auch gleich dabei, wenn sie zusammen mit den etwa 200 anderen Klinikbeschäftigten, die sich versammelt haben, zum Bundesgesundheitsministerium ziehen und dem Aufruf der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) zum Protest folgen wird, erklärt Sohn.

In den 13 Jahren, die sie hier im Krankenhaus arbeitet, sei die Situation noch nie so dramatisch gewesen, sagt die Pflegekraft. Vielen Patient*innen gehe es sehr schlecht. »Wir haben nicht mehr den sogenannten chirurgischen Patienten, der zu einer Operation kommt, sondern der Mensch hat dann zugleich noch eine Lungenentzündung und eine Mangelernährung«, sagt Sohn. Es sei eindeutig ein Effekt der Corona-Pandemie, dass die Menschen kränker würden und noch mehr Versorgung bedürften, ist sich die junge Frau sicher.

Das ist umso dramatischer, weil die Kliniken in der gesamten Bundesrepublik bislang noch keinen einzigen konkreten Hinweis erhalten haben, wie sie die Preissteigerungen bewältigen sollen. Energie ist deutlich teurer geworden, in der Folge sind es auch zahlreiche Dienstleistungen wie etwa die Wäscherei sowie medizinische Güter.

Für die Kliniken entsteht eine existenzgefährdende Situation – wie für viele andere auch, sagt Grit Ismer, Vorstandsvorsitzende der BKG. »Aber wir können die Erhöhungen nicht einfach an die Patient*innen weiterreichen« – und das sei auch gut so.

Die gesetzlich mögliche Preissteigerungsrate für das laufende Jahr, die mit den Krankenkassen Ende letzten Jahres ausverhandelt wurde und nicht nachverhandelt werden kann, ist auf 2,32 Prozent gedeckelt. Die Inflation in Berlin und Brandenburg lag im September allerdings mittlerweile bei knapp zehn Prozent.

In allen Dienstleistungs- und Zulieferungsbereichen, insbesondere aber bei der Energieversorgung, müssen Kliniken in diesem Jahr, spätestens aber im nächsten Kostensteigerungen um ein Vielfaches hinnehmen, so die BKG. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit seinen Folgen für Energie und Kosten nicht absehbar. Wie die Häuser in Brandenburg, die ebenfalls seit Wochen an den bundesweiten Protesten unter dem Motto »Alarmstufe Rot!« beteiligt sind, fürchten auch die Berliner Krankenhäuser existenzgefährdende Defizite. 100 Millionen Euro brauchen die öffentlichen Berliner Krankenhäuser noch 2022, für 2023 steige diese Summe auf bis zu 300 Millionen, erklärt Ismer.

»Wenn Bundesgesundheitsminister Lauterbach nicht handelt, drohen den Krankenhäusern Versorgungs- und Lieferengpässe, wirtschaftliche Schieflagen, hohe Wartezeiten und noch mehr überfüllte Notaufnahmen«, warnt auch Marc Schreiner, BKG-Geschäftsführer. »Ohne eine umgehende finanzielle Unterstützung durch den Bund, die nicht nur einmalig, sondern auch perspektivisch durch diese Krise führt, sind die Krankenhäuser schlichtweg gezwungen, ihr Angebot einzuschränken, Betten zu sperren, Stationen zu schließen.« Der Umgang mit den Kliniken sei enttäuschend, gerade nach dem, was Klinikbeschäftigte in den Pandemiejahren geleistet hätten.

Später tritt auch Ulrike Gote (Grüne) bei der Pressekonferenz ans Mikro. Die Gesundheitssenatorin hat sich von Anbeginn mit den Protesten der BKG solidarisiert. »Wir stehen auf demselben Spielfeld und kämpfen um dieselben Dinge«, sagt Gote und erntet dafür Applaus. Die Aktion komme zum richtigen Zeitpunkt – später hätte sie aber auch nicht kommen dürfen.

Aber was passiert, wenn der Bund die Kliniken hängen lässt? »Wenn die Häuser sparen müssen, dann geht das nur stationär«, denkt Marie Sohn. Das heißt: Personal einsparen – angesichts der herrschenden Personalnot und fortlaufender Berufsflucht, gegen die man in Berlin verzweifelt versucht anzukämpfen, eine bizarre Entwicklung – und eine lebensbedrohliche für Patient*innen.

Peter Neu, Facharzt in der Psychiatrie im Jüdischen Krankenhaus, sieht die Notlage der in der Pflege Beschäftigten. Man werde in seinem Haus ganz sicher nicht bei den Beschäftigten sparen. »Wir haben eine Art Post-Corona-Erschöpfung und eine ausgeprägte Krankheitswelle unter den Beschäftigten«, sagt Neu zu »nd«. Die Situation war noch nie so schlecht wie derzeit.

Neus Kollege Robert Pfitzmann, Facharzt für Bauchchirurgie, sieht allein die Politik in der Verantwortung. »Es werden bewusst keine Entscheidungen getroffen, man überlässt es der wirtschaftlichen Gangart – wer untergeht, geht unter«, kritisiert der Mediziner. »Wir fahren nach der Coronakrise in die nächste Katastrophe.« Das Problem liegt in seinen Augen auch in nicht gelösten Konflikten um Kliniken, die sich finanziell nicht tragen, aber nicht vom Netz gehen, auch weil sich damit die Versorgung zum Beispiel auf dem Land massiv verschlechtere.

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