• Sport
  • Fußball-WM 2022 in Katar

Macht weiter Druck!

Migrantische Arbeiter klären in Deutschland über ihre schlimmen Erfahrungen in Katar auf

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Migrantische Arbeiter aus Nepal und Kenia berichteten in neun Städten von ihren Erfahrungen auf Baustellen in Katar.
Migrantische Arbeiter aus Nepal und Kenia berichteten in neun Städten von ihren Erfahrungen auf Baustellen in Katar.

Bis zum Beginn der Fußball-WM in Katar sind es nur noch sieben Wochen. Je näher sie rückt, desto größer wird auch die Bugwelle des Protests. Dazu trug in den vergangenen Wochen auch eine Veranstaltungsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Titel »Reclaim the Game« bei – eine hübsche kleine Anspielung auf die Kampagne »Reclaim the Streets«, in der weltweit um die Rückeroberung des öffentlichen Raumes gekämpft wurde. Bei »Reclaim the Game« berichteten migrantische Arbeiter aus Nepal und Kenia, die in Katar an der Errichtung der Infrastrukturen der WM beteiligt waren, auf einer Tour durch neun deutsche Städte von ihren Erfahrungen und darüber, was ihnen geschehen war, wenn sie Probleme ansprachen oder sich gar im Arbeitskampf organisierten.

Zwei der nepalesischen Arbeiter, Krishna Shrestha und Jeevan Taramu, die das Migrant Workers Network ins Leben gerufen und sogar eine geheim agierende Beratungsstelle der nepalesischen Gewerkschaft Gefont in Katar aufgebaut hatten, trauten sich auch beim Tourabschluss im Berliner Nachtclub Crack Bellmer nur verdeckt durch Sonnenbrille und Mund-Nasen-Schutz aufs Podium. Taramu ist offiziell im Urlaub und will seinen Vertrag als Elektriker auf Baustellen in Katar nicht durch sein Engagement gefährden. »Ich gehe auch zurück, weil ich weiter meinen Beitrag für die Einhaltung der Rechte von uns Arbeitern leisten möchte«, betonte er. Auch Shrestha, der in der Verwaltung einer internationalen Modemarke in Katar gearbeitet hatte, schloss gegenüber »nd« eine neue Anstellung in dem Emirat zumindest nicht aus und wollte sich deshalb vor Repressalien schützen. Beide Arbeiter aus Nepal verwendeten deshalb auch Pseudonyme.

Ganz unmaskiert trat hingegen Malcolm Bidali auf. Der Kenianer arbeitete mehrere Jahre als Wachmann in Katar. In Berlin erschien er nun im T-Shirt eines Fanclubs des FC St. Pauli. Auch in Hamburg hatte die Tour Station gemacht, und aufgrund der Zusammenarbeit mit Fans des Kiezklubs war die Veranstaltung auch rege besucht. Mehrere Hundert kritische Fußballanhänger waren gekommen – und Bidali trug wenige Tage später auch wegen der dort erfahrenen Solidarität stolz das St.-Pauli-Hemd.

An das WM-Gastgeberland hat er ganz andere Erinnerungen. »Als migrantischer Arbeiter in Katar hast du selbst keinen Einfluss darauf, ob du Überstunden machst, ob die überhaupt bezahlt werden, ob du den vertraglich zugesicherten freien Tag in der Woche nehmen kannst oder nicht. Du wohnst in einem Zimmer mit sechs, acht, zehn, manchmal zwölf anderen zusammen. Die Wände sind feucht, in den Betten haust Ungeziefer. Raus kannst du kaum. Und sich zu erholen, ist schwer, wenn der eine gerade Musik aus seinen Boxen hört, der nächste telefoniert und ein anderer Fernsehen guckt«, erzählte Bidali »nd«. Am schlimmsten aber seien die juristischen Auswirkungen des Kafala-Arbeitssystems, das trotz zweier größerer Reformansätze 2015 und 2020 noch immer herrsche. »Du hast keine Freiheit, dir einen anderen Job zu suchen, du hast keine Bewegungsfreiheit, denn dein Arbeitgeber schreibt dir vor, wo du wohnst. Es gibt keine Redefreiheit und du hast nicht einmal das Recht, dich zu organisieren«, kritisiert er.

All diese Freiheitseinschränkungen erfuhr Bidali selbst. Denn nachdem er begonnen hatte, über seine Arbeitsbedingungen und die seiner Kollegen in sozialen Medien zu informieren, wurde er verhaftet. Anlass war ein Blog, den er über Sheika Moza schrieb, die Frau des früheren Emirs und Mitgründerin der Qatar Foundation. Diese Stiftung unterhält unter anderem die sehr geachtete Qatar University, und sie mischt mit einem eigenen Stadion auch bei der WM mit. »Ich beschrieb die Arbeitsbedingungen der Sicherheitsleute der Sheika: wie sie im Sommer lange mittags in der Sonne stehen mussten, obwohl es zu dieser Zeit wegen der Temperaturen von über 50 Grad offiziell verboten ist, draußen zu arbeiten«, so Bidali. Sein Telefon wurde daraufhin vom katarischen Sicherheitsapparat gehackt, um zu identifizieren, wer da unter Pseudonym publiziert hatte. Das fanden Datenforensiker von Amnesty International heraus. Die Organisation setzte sich dann für Bidalis Freilassung ein.

Seine Geschichte belegt, dass die Vorsicht der mit ihm auf der Bühne sitzenden Gewerkschaftsorganisatoren aus Nepal gerechtfertigt ist. Auch Krishna Shrestha bestätigte im »nd«-Gespräch die weiterhin bestehenden Probleme. Er erkennt aber auch an, dass sich aufgrund des internationalen Drucks seit Vergabe der WM an Katar einiges geändert hat. »Die Reform 2015 führte dazu, dass man keine Ausreisevisa vom Arbeitgeber mehr braucht, um das Land zu verlassen. Die von 2020 führte einen Mindestlohn ein. Das hilft vielen Arbeitern«, sagte er. Zugleich kritisierte er, dass viele Gesetze nicht umfassend oder sogar überhaupt nicht umgesetzt würden: »Wenn sich Arbeiter über ausbleibende Löhne beschweren, haben sie nur selten Erfolg. Zuletzt wurden sogar 60 in ihre Heimatländer Nepal und Bangladesch deportiert, weil sie öffentlich ihre Löhne eingefordert hatten.«

Von Profifußballern, die an der Weltmeisterschaft teilnehmen werden, aber auch von deren Fans erwartet Shrestha weiter Druck: auf ihre Klubs, ihre Verbände und Regierungen. Diese sollten dann ihrerseits in Katar die Verbesserung der Lage von Arbeitern einfordern. »Gut wäre auch, dass jene Familien, die Väter und Söhne auf Baustellen und anderen Arbeitsstätten in Katar verloren haben, entschädigt würden. Geld kann den Verlust von Leben und den erlittenen Schmerz nicht ersetzen. Aber sie sollen zumindest etwas erhalten«, fordert er. »Fast jeden Tag sehen wir auf Flügen in die Heimat Särge in den Flugzeugen.«

Ein Entschädigungsfonds des Fußballweltverbands Fifa wäre also das Mindeste. Dass die Forderung nach ihm nicht aussichtslos ist, belegte Miriam Saage-Maaß vom Europäischen Zentrum für Grund- und Menschenrechte (ECCHR) mit Verweis auf einen Fabrikeinsturz in Bangladesch 2015. »Damals zahlten die meisten Bekleidungsmarken, die dort hatten nähen lassen, in einen solchen Fonds ein«, sagte sie auf einer zweiten Podiumsdiskussion.

Für Malcolm Bidani wäre das aber noch nicht genug. »Wir brauchen andere Gesetze. Deshalb müssen auch Fußballfans in Katar Druck machen und für Verbesserungen eintreten«, forderte er eindringlich im Saal. Der St.-Pauli-Totenkopf auf seinem Hemd bewegte sich dabei heftig mit jedem Atemzug.

Ihre Tour werteten die Arbeiter als Erfolg. »Für uns war sehr schön zu spüren, dass ganz viele Leute an unserem Schicksal interessiert waren. Wir konnten mit vielen Leuten reden und gemeinsame Interessen finden. Und ich habe gespürt, dass ihnen die Einhaltung der Menschenrechte wichtig ist: in Katar und überall auf der Welt«, fasste Shrestha seine Eindrücke zusammen. Von einem Boykott der WM riet er übrigens ab. Sollte dieser jetzt noch eintreten, müssten das in erster Linie die migrantischen Arbeiter im Land ausbaden, fürchtet er. Druck für Veränderung sei das bessere Mittel.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -