- Politik
- Polizeireform in den USA
Biden lässt alles beim Alten
Der US-Präsident macht bei der Polizeireform trotz des Mords an George Floyd einen Rückzieher
Das Video zeigt zwei Polizisten und eine Polizistin, die einen weißen PKW der Marke Buick umstellen. In kurzer Zeit haben zwei von ihnen den Fahrer, einen 20-Jährigen namens Daunte Wright, aus dem Wagen geholt und versuchen, ihm Handschellen anzulegen, während ihr Kollege von der anderen Seite des Wagens zuschaut. Auf einer später veröffentlichten Aufnahme ist zu sehen, wie Wright, kurz bevor die Handschellen zuschnellen, seinen Arm wieder zurückzieht, um sich zurück ins Auto zu setzen.
»Ich benutze den Taser!«, droht die Polizistin Kim Potter, als Wright beginnt, den Wagen wieder in Bewegung zu setzen. Ihr Arm greift ruckartig nach vorne, so als versuche sie, Wright noch aus dem Auto zu ziehen, bevor dieser losfahren kann. Auf einer zweiten Aufnahme sieht man einen Lichtblitz, der in ihrer Hand auftaucht, just in dem Moment, in dem Wright losfährt, um kurz danach ganz aus dem Bild zu verschwinden. »Scheiße«, ruft Potter, »ich habe auf ihn geschossen.«
Kurze Zeit später ist Daunte Wright tot. Potter gibt später an, sie habe während der versuchten Verhaftung des jungen Schwarzen den Griff ihrer Dienstwaffe mit dem ihres Tasers verwechselt. Anfang dieses Jahres wurde sie wegen Totschlags zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe von 1000 US-Dollar verurteilt.
Daunte Wright starb am 11. April 2021 in Brooklyn Center, Minnesota. Brooklyn Center ist ein Vorort der Großstadt Minneapolis, in der weniger als ein Jahr zuvor George Floyd von dem Polizisten Derek Chauvin unter Beihilfe von drei Kollegen ermordet wurde. Chauvins Strafe dafür, dass er den 46-jährigen Floyd vor laufender Kamera erstickte, lässt sich jedoch mit der von Potter kaum vergleichen. Chauvin muss für 22 Jahre in Haft, in diesem Sommer wurde er von einem Bundesgericht zu weiteren 21 Jahren verurteilt. Ein »Mord am hellichten Tag«, der den Vereinigten Staaten »die Scheuklappen von den Augen nahm und den systematischen Rassismus aufdeckte, der die Seele unserer Nation befleckt«. So beschrieb Präsident Joe Biden den Tod von George Floyd kurz nach der ersten Urteilsverkündung gegen Chauvin.
Daunte Wright und George Floyd starben weniger als 25 Kilometer voneinander entfernt, im selben Bundesstaat und im gleichen Landkreis, Hennepin County. Auch wenn sich die Fälle in vielen anderen Aspekten voneinander unterschieden, wurden bei beiden unbewaffnete schwarze Männer durch Absicht oder kalkulierte Fahrlässigkeit von örtlichen Polizeikräften getötet.
Bidens Wahlkampf stützte sich maßgeblich auf die schwarze Wählerschaft in den USA, in Bundesstaaten wie South Carolina waren es vor allem schwarze Demokrat*innen, die ihm in einem holprigen Vorwahlkampf über die Zielgerade verhalfen. Biden machte eine Reform der Polizei sowie der drakonischen Haftstrafen, von denen überdurchschnittlich viele Schwarze betroffen sind, zu zentralen Säulen seines Wahlprogramms. Die Wut über den Mord an Floyd sowie über die immer neuen Namen junger Schwarzer, die durch rassistische Polizeikräfte ums Leben kamen, trieb viele in die Wahlkabinen.
Nach zwei Jahren im Amt ist von Bidens Willen zu großen Veränderungen bei Justiz und Polizei nur noch wenig zu hören. Der »George Floyd Justice in Policing Act«, als großes Reformpaket angekündigt, schaffte es zwar durch das Repräsentantenhaus, blieb aber im Senat stecken und wurde seitdem von der Parteispitze nicht wieder in Angriff genommen. Als sich im Mai dieses Jahres der Todestag von George Floyd zum zweiten Mal jährte, lud der Präsident die Familie des Verstorbenen ins Weiße Haus ein, und verlas zum Anlass eine »Executive Order«, also einen üblichen Erlass innerhalb der Exekutivbefugnisse des Präsidenten. In diesem rief Biden die föderalen Polizeibehörden – die seinem Amt im Gegensatz zu den örtlichen Polizeidezernaten direkt unterstehen – zu größerer Transparenz auf. Die genauen Formulierungen des Befehls wurden in Zusammenarbeit mit Vertretern der Polizei entwickelt, die Kooperation, die dieser vorschreibt, ist für die betroffenen Behörden rein freiwillig. Von Reformbefürwortern und Aktivist*innen wurde er als zahnlose Symbolpolitik kritisiert.
Beispielhaft für die Abkehr der Demokraten von den nun nahezu radikalen Parolen von 2020 ist die Personalie Chesa Boudin. Der junge Strafverteidiger trat im liberalen San Francisco als entschlossener Reformkandidat für das Amt des Staatsanwalts an. Nach seinem Amtsantritt weigerte er sich, kleinere Straftaten und gewaltlose Eigentumsdelikte mit Haftstrafen zu ahnden. Die zum Teil erheblichen Kautionen, die Gefangene in weiten Teilen der USA bezahlen müssen, um zwischen Verhaftung und Verhandlung freizukommen, schaffte er gemäß eines Wahlversprechens ab. Im Juni wurde Boudin aber vorzeitig per Referendum des Amts enthoben, nachdem sich ein breites gesellschaftliches Bündnis für seine Absetzung formiert hatte. Dieses war von Boudins eigenen demokratischen Parteigenossen dominiert, die in San Francisco alle Sitze im Stadtrat kontrollieren. Manche kritisierten Boudin für das Nichtverhindern einer Welle rassistischer Gewalt gegen San Franciscos große asiatische Community, andere sein mangelndes Durchgreifen gegen die vielen wohnungslosen Menschen, die zunehmend das Stadtbild prägten. San Francisco ist mit einer Durchschnittsmiete von über 3000 US-Dollar eine der teuersten Städte der USA.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich derzeit in Ohio beobachten. Hier kandidiert der Demokrat Tim Ryan gegen den stramm rechten Veteranen und Unternehmer JD Vance für einen Sitz im Senat. Um sich ausreichend vom linken Parteiflügel und von dessen Slogan »Defund the Police« (zu Deutsch in etwa: Entzieht der Polizei die Finanzierung) zu distanzieren, filmte Ryan kürzlich einen Werbespot mit einem örtlichen Sheriff. »Tim Ryan weiß, dass ›Defund the Police‹ Irrsinn ist«, versichert der uniformierte Polizist in dem Spot, in dem daraufhin sogar Vance selbst für unangebrachte Kritik an der Ordnungsmacht ins Visier genommen wird.
Auch in Minnesota, wo dieser Ruf nach einer grundlegenden Reform der Strafverfolgung zuerst in den politischen Wortschatz der USA einging, scheint sich der Wind gedreht zu haben. Im Frühling verabschiedeten die Demokraten, die eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus des Bundesstaates haben, ein Haushaltspaket für die öffentliche Sicherheit in Rekordhöhe. Mit 330 Millionen US-Dollar sollen über das kommende Jahr zwar auch NGOs und Nachbarschaftsgruppen unterstützt werden, doch ein Großteil geht an die üblichen Empfänger – Polizeidezernate.
Die Demokraten zeichnen mit ihrer Abkehr von ihren eigenen Reformversprechen einen Weg nach, den die Partei immer wieder vollzieht: Progressive Vorhaben werden erst vollmundig versprochen, dann aber nicht umgesetzt. Alles, was konservativer Wahlpropaganda in die Hände spielen könnte, wird mit Blick auf die kommenden Wahlen im November unterlassen.
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