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Selbstbewusst und kritisch
In der Zitadelle Spandau in Berlin sind Arbeiten jüngerer polnischer Fotografinnen und Fotografen zu sehen
Eine schwarze Magnetwand, dicht bestückt. Man sieht Fotografien, Kontaktabzüge, Kopien, Skizzen, Postkarten, Fundstücke und dreidimensional in den Raum ragende Objekte wie eine alte Schreibmaschine und einen Miniglobus. Damit ist die komplette Stirnseite des Ausstellungssaals gefüllt – es wirkt wie ein dunkler Schrein der Erinnerung.
Die Installation mit dem Titel »Solid bars of all that’s left untold« von Piotr Zbierski wird zudem von weißen Fäden überspannt. So bringt das an dadaistische Materialcollagen erinnernde Werk einen ernsthaften Grundzweifel des Fotografen zum Ausdruck: Die Frage nach der objektiven Abbildbarkeit der Wirklichkeit. In Zbierskis Fall sind das vor allem archaische und spirituelle Rituale verschiedener kultureller Gruppen. Jede Aufnahme impliziert auch, dass es etwas gibt, das unmöglich in fotografischen Bildern erzählt werden kann. Es handelt sich dabei gewissermaßen um die Lücke zwischen Abbild und Wirklichkeit. Die Beschäftigung damit reicht bis zu den Anfängen des Mediums Fotografie zurück.
Im 19. Jahrhundert trat die noch junge Technik zunächst mit dem Anspruch auf, der Malerei als bis dahin wichtigstem Medium zur Abbildung der Wirklichkeit den Rang abzulaufen. Ein erfolgversprechender Weg, zumal die technischen Möglichkeiten der Fotografie jenen der Malerei überlegen zu sein schienen. Die Malerei ist allerdings nicht verschwunden, im Gegenteil behauptet sie sich als künstlerisches Medium bis heute.
Ebenso hat sich die Fotokunst stetig weiterentwickelt und längst vom Anspruch als alleiniges Medium der reproduzierenden Wirklichkeitsabbildung verabschiedet. Hierbei spielten wiederum die rasanten Entwicklungen der bewegten Bilder im Filmbereich eine wesentliche Rolle. Doch hauptsächlich kämpft die Fotokunst in den letzten Jahrzehnten damit, sich angesichts der unvorstellbaren Menge digitaler Bilder, die täglich produziert und weltweit in sozialen Netzwerken veröffentlicht und geteilt werden, weiterhin zu behaupten.
Kein leichter Stand also für Künstlerinnen und Künstler, die mit Fotografie arbeiten. Dass die Herausforderung zu überzeugenden Werken führen kann, belegen Arbeiten wie die von Piotr Zbierski, die Bestandteil der Ausstellung »Ausnahmezustand – Polnische Fotokunst heute« ist. Diese vereint in der Zitadelle Spandau in Berlin 26 zeitgenössische polnische Fotografinnen und Fotografen.
Zusammengestellt wurde die Schau von dem Kuratorenteam Grażyna Siedlecka und Jens Pepper. Es soll die größte Ausstellung polnischer Fotografie in Deutschland sein, ohne den Anspruch einer Gesamtschau. Konzentriert haben sich die beiden profunden Kenner der aktuellen polnischen Fotoszene – Pepper, der als deutscher Autor und Fotograf in Warschau gelebt und gearbeitet hat, und Siedlecka als polnische Kuratorin und Gründerin der Kulturstiftung »Fresh From Poland« – auf jene Generationen von Fotografinnen und Fotografen, die nach dem Ende des Realsozialismus in der Dritten Polnischen Republik aufgewachsen sind und ihre Karrieren begonnen haben.
Überraschend ist nicht nur die thematische Bandbreite der gezeigten Einzelwerke und Serien, sondern auch die Vielgestaltigkeit der Umsetzung und Präsentation der Fotoarbeiten, die zum Teil als Installationen gezeigt werden, als Leuchtkästen, speziell gerahmt oder angeordnet und auch ergänzt durch Filmmaterial. Besuchende begegnen in den gezeigten Werken einer – trotz der aktuellen politischen Probleme in Polen – selbstbewussten, polyglotten Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die sich kritisch mit der Situation in ihrem Heimatland, aber auch mit globalen Problemen auseinandersetzt.
Eine der jüngeren Teilnehmerinnen, Karolina Wojtas, hat für ihre Installation »We Can’t Live – Without Each Other« 32 Farbaufnahmen auf verschieden große PVC-Planen drucken lassen und in absteigender Größe übereinander an die Wand gehängt. Hinzu kommen selbst gebaute kleine Holzapparaturen mit Fotos zum Herausziehen oder als kleines Bilderkarussell, die zum Benutzen einladen, um skurrile und farbintensive inszenierte Porträtaufnahmen von Wojtas jüngerem Bruder betrachten zu können. Das übertrieben, unprofessionell und schlecht Gemachte erinnert dabei an provokative Fluxuskunst.
Im krassen Gegensatz dazu setzt Dominik Tarabański seine Liebe zu Farben und der Stillleben-Malerei in der Serie »Roses for Mother« um. Einzelne, in Ikebana-Manier abgebildete Blumen entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als perfekt arrangierte Blumenobjekte aus vielen einzelnen Bestandteilen und Konstruktionshilfen wie Gummi- oder Klebeband. Für Tarabański sind diese kunstvoll arrangierten Stillleben eine Hommage an seine Mutter, die ihm Optimismus vermittelte sowie Neugier und die Suche nach dem Schönen auch im Alltäglichen.
Zuza Krajewska und Zosia Promińska widmen sich in zwei sehr unterschiedlichen Serien spezifischen Problemen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die für Modeaufnahmen bekannte Fotografin Krajewska zeigt Aufnahmen eines Projektes, bei dem sie straffällig gewordene Jungen im Alter von 13 bis 18 Jahren mehrmals in einer abgelegenen Rehabilitationsanstalt in Studzieniec bei Warschau besuchte und nach eingehenden Gesprächen porträtierte. Auch ohne die einzelnen Hintergründe zu kennen, spürt man die Tragik der Lebensgeschichten und -umstände in diesen einfühlsamen Porträts, die auch eine Anklage an die Gesellschaft sind.
Zosia Promińska studierte nach dem Ende ihrer 16 Jahre dauernden internationalen Modelkarriere Ethnologie und begann als Fotografin zu arbeiten. In ihrer Serie »Waiting Room« kehrt sie gewissermaßen zu den eigenen Ursprüngen zurück und porträtiert auf ambivalente Art und Weise 12- bis 15-jährige Mädchen in ihren Kinderzimmern, die in Designerkleidung polnischer Modemacher vor der Kamera posieren. Sie alle träumen von einer erfolgreichen Karriere als Model und sehnen den Augenblick herbei, wenn sie ab dem 16. Lebensjahr auch im Ausland arbeiten dürfen. Das Setting und besonders die eingefangenen Gesichtsausdrücke vermitteln einen Subtext, nämlich die Unreife der Jugendlichen, die wohl weder die Härte des angestrebten Berufs einschätzen können noch die zu erwartenden psychischen Folgen für Einzelne von ihnen.
Rafał Milach ist als Mitglied der Fotoagentur Magnum einer der bekanntesten Fotografen Polens. Er dokumentiert in der Serie »Strike« öffentliche Proteste in seinem Heimatland im Zusammenhang mit der Verschärfung des Abtreibungsrechtes 2020. Als mäanderndes Band ziehen sich seine Aufnahmen von Demonstrationen und Straßenblockaden eine Wand entlang. Milach hat eigentümlich grell wirkende Ausschnitte ausgewählt, die einzelne Gesichter von meist maskierten oder auffällig geschminkten Demonstrierenden zeigen oder auch Beobachtende an den Fenstern umliegender Häuser.
Auch hier stellt sich die Frage, ob es möglich ist, die Geschehnisse objektiv abzubilden. Die Fotos von Milach, der eindeutig für die Demonstrierenden Partei ergreift, bezeugen jedenfalls, dass die Einstellung desjenigen hinter der Kamera mindestens genauso wichtig ist wie die Einstellungen der Kamera.
»Ausnahmezustand – Polnische Fotokunst heute«, bis 1. Januar 2023, ZAK – Zentrum für Aktuelle Kunst (Zitadelle Spandau), Berlin.
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