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Überlastung im Herbst
Die nächste Corona-Welle baut sich auf und schon jetzt ist das Gesundheitswesen durch Personalausfälle massiv überlastet. Der Bundesgesundheitsminister findet, man sei »gut vorbereitet«.
Corona im Griff? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte in der Regierungsbefragung des Bundestages am Mittwoch die Länder auf, eine Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen. Angesichts der steigenden Zahlen an Coronaerkrankten sollten sie ihre Verantwortung wahrnehmen und die Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes nutzen. Auf den Beginn der Herbst- und Winterwelle sei man durch die neuen, angepassten Impfstoffe zwar »sehr gut vorbereitet«, diese würde sich jedoch nicht von selbst begrenzen. Die AfD nutzte die Befragung des Ministers, um über die Gefahren des Impfens zu fabulieren. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Beatrix von Storch forderte den Bundesgesundheitsminister dazu auf, seine Aussagen zur Sicherheit der Impfungen zu wiederholen, da man das sicher gut zusammenschneiden könne.
Außer einer nicht weiter spezifizierten Maskenpflicht enthält das aktuelle Infektionsschutzgesetz, das am 1. Oktober in Kraft getreten ist, allerdings keine weiteren möglichen Maßnahmen. Der Berliner Senat hat bereits in dieser Woche wegen rasant steigender Infektionszahlen einen Stufenplan beschlossen. Verschiedene Parameter und deren Dynamik sollen in einer wöchentlichen Lagebewertung zusammengefasst werden. Zu den Kriterien gehören das Infektionsgeschehen, also 7-Tages-Inzidenz und Abwassermonitoring, die Belastung des Gesundheitswesens sowie altersgruppenspezifische Impfquoten.
Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) will dem Berliner Senat in der Sitzung am kommenden Dienstag vorschlagen, wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen. Diese könnte im Einzelhandel, Museen und öffentlichen Gebäuden wie Hochschulen gelten, sagte Gote am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. Auch Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hält wegen der steigenden Corona-Belastung eine Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen für ein geeignetes Mittel. Berlins Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) äußerte sich zurückhaltend zu den Vorschlägen von Gote.
Die ersten Krankenhäuser haben wegen der steigenden Corona-Zahlen bereits wieder Besuchsverbote erlassen, beispielsweise in Strausberg, Seelow und Wriezen in Märkisch-Oderland. Der Betriebsrat der München Klinik veröffentlichte bereits in der vergangenen Woche einen Brandbrief. Die Notaufnahmen seien überfüllt, 30 bis 50 Prozent des ärztlichen und des pflegenden Personals sei krank: »Die Sicherheit der Patienten wie auch der Mitarbeiter ist nicht mehr gewährleistet, die Gefährdung ist real und beweisbar«, heißt es darin. Nach dem Oktoberfest waren in München die Corona-Infektionszahlen steil angestiegen. Klinikleiter Christian Unzicker antwortete dem Betriebsrat bereits. In der Sache gibt er den Sorgen recht, die Belegung mit Corona-Patient*innen in Münchner Krankenhäusern entspreche bereits jetzt dem Niveau von Mitte Dezember 2021, schreibt er. Im Unterschied zu der Situation vor einem dreiviertel Jahr gebe es jedoch mehr krankheitsbedingte Ausfälle bei den Mitarbeitenden. Zudem gebe es keine »Maßnahmen im Rahmen eines Katastrophen-Falles, der durch die zuständigen Behörden diesmal nicht aktiviert ist«, zitiert die Süddeutsche Zeitung aus dem Brief des Klinikleiters. Elektive Behandlungen seien bereits weitgehend eingestellt, weitere Reduktionen würden die medizinische Versorgung gefährden.
Derzeit gibt es eine Vielzahl an Mutationen der Omikron-Variante. Welche sich als nächste durchsetzen wird, ist noch nicht klar. Einige der neuen Varianten scheinen die durch Impfungen und Infektionen aufgebaute Immunabwehr durch Antikörper umgehen zu können. Das könnte zu einem massiven Anstieg der Ansteckungen führen. Der Schutz durch T-Zellen und damit vor schweren Verläufen ist durch die aktuellen Mutationen nicht gefährdet. Aufgrund der vielen Mutationen und des veränderten Krankheitsbildes meint der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dass man eigentlich von Covid-22, statt von Covid-19 sprechen könne.
In dieser Woche stand auch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes an, um im Falle einer Triage bei knappen intensiv-medizinischen Kapazitäten Menschen mit Behinderung vor Benachteiligung zu schützen. Betroffene hatten geklagt, da es bisher nur ärztliche Empfehlungen für einen solchen Fall, aber kein Gesetz gibt. Das Bundesverfassungsgericht hatte ihnen Ende 2021 Recht gegeben: Der Artikel 3 des Grundgesetzes verpflichte den Staat, Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung zu schützen. Am Donnerstag diskutierte der Bundestag in erster Lesung über den Gesetzentwurf. Der Gesundheitsminister nutzte die Gelegenheit, sich bei den Beschäftigten des Gesundheitswesens zu bedanken, da durch ihren Einsatz zu Beginn der Pandemie in Deutschland keine Triage nötig gewesen sei. Er hoffe, dass es auch künftig nicht dazu kommt. Falls aber knappe Ressourcen zugeteilt werden müssten, dürfe nur die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit herangezogen werden. Andere Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen dürften laut Gesetz keine Rolle spielen. Die grüne Abgeordnete Corinna Rüffer wies in der Debatte darauf hin, dass es sehr wohl gravierende Engpässe gegeben habe. Beispielsweise seien Einrichtungen und Heime gebeten worden, Krankenhauseinweisungen sorgfältig zu überdenken. Menschen mit Behinderung hätten so nicht die gleichen Überlebenschancen gehabt wie nicht Behinderte.
Am Freitag saß die Autorin und Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski neben dem Gesundheitsminister in der Bundespressekonferenz und stellte die neue Corona- und Impfkampagne »Ich schütze mich« vor. Stokowski leidet seit einer Covid-Infektion im Januar an LongCovid und kann ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Mit der neuen Kampagne will das Gesundheitsministerium für Impfungen und das Tragen von Masken werben. 84 Personen erzählen dabei in TV-Spots, auf Plakaten und in Social-Media-Posts, warum sie sich wie vor Corona schützen. Das Motto zeigt, wie weit man sich von einer gesellschaftlichen Solidarität des gegenseitigen Schutzes entfernt hat. Nun hofft Lauterbach offenbar, dass die Menschen sich zumindest noch selbst schützen möchten.
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