Arme melden sich zu Wort

Bei Sozialprotesten machen Tausende Menschen auf ihre prekäre Situation aufmerksam

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein kleiner Protest, aber er ist intensiv: Unter dem Motto »Armut ist nicht sexy« haben am Samstag vor dem Kanzleramt in Berlin rund 200 Menschen mehr Unterstützung für Menschen mit niedrigen Einkommen gefordert. Das Besondere: In den Redebeiträgen kamen keine Politiker*innen oder Verbandsfunktionär*innen, sondern ausschließlich Menschen zu Wort, die auf unterschiedliche Weise von Armut betroffen sind. Organisiert wurde die Protestaktion von der Bewegung #IchBinArmutsbetroffen, die auf einen erstmalig im Mai dieses Jahres genutzten Hashtag auf dem sozialen Netzwerk Twitter zurückgeht. Das Schlagwort wurde seitdem tausendfach genutzt, inzwischen findet die Bewegung nicht mehr nur digital, sondern auch auf der Straße statt. »Ich bin armutsbetroffen und ich schäme mich nicht mehr dafür«, erklärt Anni W., alleinerziehende Mutter aus Nordrhein-Westfalen, in ihrer Rede. Sie war es auch, die den Hashtag #IchBinArmutsbetroffen erfand.

»Dass da Menschen auf diese Weise Gesicht zeigen, hatten wir noch nie«, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, der Deutschen Presse-Agentur. Auch der Deutsche Caritasverband hält die Bewegung für bedeutsam. »Es ist sehr wichtig, dass sich Menschen, die selbst von Armut betroffen sind, aktiv in die politische Debatte einbringen«, sagt Verbandsvertreterin Birgit Fix.

In Leipzig beteiligten sich mehrere Tausend Menschen an einer Demonstration von »Jetzt reicht’s! Wir frieren nicht für Profite!«, einem besonders von Gewerkschaften, Umweltverbänden und kleinen Initiativen getragenen Bündnis. Laut den Veranstalter*innen schlossen sich rund 3500 Personen dem Protest durch die Leipziger Innenstadt an. »Die Demo war ein erster Aufschlag für die so notwendigen Sozialproteste von links. Wir machen weiter«, schrieb Juliane Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke, auf Twitter.

Eine weitere größere Protestaktion fand am Samstag in Potsdam statt. In der brandenburgischen Landeshauptstadt folgten dem Aufruf eines Bündnisses aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und der Linkspartei rund 1000 Menschen. »Hier geht es um die Sicherung von Existenzen«, erklärte Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter. Staatliche Hilfen seien jetzt und nicht irgendwann in Zukunft notwendig. Kleiner mit laut Veranstalter*innen rund 500 Teilnehmer*innen fiel ein Protestmarsch im thüringischen Jena aus. Auch hier standen Forderungen nach ausreichenden Soforthilfen und eine ökologische Energiewende im Vordergrund.

Allmählich fassen die für den Herbst von progressiven und linken Kräften angekündigten Sozialproteste Fuß. Bereits für kommenden Samstag sind in mehreren deutschen Großstädten, darunter Berlin, Stuttgart und Dresden, wieder Demonstrationen angekündigt. Mit Agenturen

Lilli ist armutsbetroffen
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.