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Ein Lied von Gerechtigkeit
Mehr als 1000 Menschen bei Sozialprotest in Potsdam
»Habe ich schon erwähnt, dass Die Linke auch dabei ist?« Das fragt der Moderator mehrfach. Es wird der wiederkehrende Witz der Kundgebung am Samstag auf dem Alten Markt in Potsdam. Das neu formierte Brandenburger Bündnis »Gerechtigkeit jetzt« hat zum Sozialprotest aufgerufen. Es beteiligen sich die Tafeln, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen. Es beteiligen sich der Arbeitslosenverband, die Arbeiterwohlfahrt, die Volkssolidarität, der Mieterbund, Gewerkschaften – und Die Linke, die einen nicht geringen Anteil an dieser ersten Großkundgebung hat. Ausgerechnet sie hat der Moderator bei seiner Aufzählung zunächst vergessen.
Dabei sind die Sozialisten mit ihren roten Fahnen nicht zu übersehen. Aus allen Teilen Brandenburgs sind sie angereist. Dazu kommen noch die Genossen, die heute anstatt für ihre Partei für Gewerkschaften und Verbände Flagge zeigen. Dazu zählen der Stadtverordnete Andreas Kutsche aus Brandenburg/Havel, der eine Fahne der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi trägt, und der stellvertretende Landesvorsitzende Justin König, der sich eine grüne Weste der Volkssolidarität übergestreift hat.
Es ist aber keineswegs so, dass hier verschiedene Mitglieder der Linken ein breites Sozialbündnis nur simulieren würden. Es sind viele andere da, etwa Lutz Boede von der linksalternativen Potsdamer Wählergruppe »Die Andere«, der ein Pappschild mit der Aufschrift »Heizung und Brot für alle« hochhält, und Jibran Khalil vom brandenburgischen Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion ist präsent. Der kommunistische Jugendverband SDAJ bildet einen eigenen Block.
Wer nicht da ist, vermerkt Robert Scholz ausdrücklich: »Die Jusos und die AfD.« Scholz war in den 1990er Jahren PDS-Finanzstadtrat im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Mittlerweile lebt er in Brandenburg/Havel. Die Jusos vermisst Scholz. Schließlich hätte der SPD-Nachwuchs früher bei vergleichbaren Sozialprotesten nicht gefehlt, weiß er. Die AfD vermisst Scholz nicht. Beweist es doch, dass sich Sozialproteste sehr wohl auch so organisieren lassen, dass Rechte gar nicht erst versuchen, sich mit einzureihen.
Angeschlossen hat sich die Grüne Jugend. »Es ist uns ein großes Anliegen, Brandenburgs Straßen nicht den Rechten zu überlassen«, erklärt Antonia Baumgarten, Politische Geschäftsführerin der Grünen Jugend Brandenburg, warum sie und ihre Mitstreiter hier mitmachen. »Auch wenn wir die Gefahr sehen, dass Rechte die Proteste kapern, kann es nicht die Lösung sein, zu Hause zu bleiben.« Es sei wichtig, denjenigen Menschen linke Alternativen aufzuzeigen, die ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen können und deshalb Angst vor dem Winter haben. So sagt Baumgarten. Auch der Landtagsabgeordnete Thomas von Gizycki (Grüne) schaut auf dem Alten Markt vorbei, bleibt aber nicht lange.
Der Linke-Landesvorsitzende Sebastian Walter kritisiert von der Bühne herunter die Krisenpolitik der Bundesregierung. Es sei doch offensichtlich, dass die Energiepreise explodieren und schnelle Entlastungen nötig seien. »Im März brauche ich keine Gaspreisbremse mehr. Im März ist die Heizung abgestellt.« Der Markt regele Profite für wenige und nie irgendetwas für die Bevölkerung, stellt Walter fest. Er fordert Vergesellschaftungen, sprich, Enteignungen. Als er das tut, wird auch in den Reihen der Grünen Jugend geklatscht.
Den meisten Applaus des Tages erhält aber die 80-jährige Gudrun Kluge. Sie ist stellvertretende Vorsitzende einer Ortsgruppe der Volkssolidarität in Potsdam und fragt: »Sind das nicht genug Kriege, die die Welt erlebt hat? Gab es nicht einmal die vernünftige Losung: Frieden schaffen ohne Waffen?« Kluge sagt: »Wir erwarten von der Regierung, dass sie den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Verhandlungen beendet.«
Es ist ein Sozialprotest und keine Friedensdemonstration. Es sind auch Leute da, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten. Es gibt aber dieser Tage praktisch keine Friedensaktion in Deutschland, bei der nicht über die soziale Lage gesprochen wird, und keinen Sozialprotest, bei dem der Krieg unbeachtet bleibt.
Das Bündnis »Gerechtigkeit jetzt« tritt an, landesweit Sozialproteste zu veranstalten. Die Demonstration am Samstag mit über 1000 Teilnehmern soll nur der Anfang sein. Nach einer Stunde Kundgebung drehen sie noch eine Runde durch die Innenstadt. Es spielt die Band »Lari und die Pausenmusik«. Sie singt: »Wann stehen wir auf? Es langt schon so lang«, »raus zu den Leuten« und »Gerechtigkeit jetzt«.
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