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Geheimdienste haben Oberwasser
Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind Schlapphüte in der Bundesrepublik so gefragt wie nie zuvor
Was im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags (PKGr) besprochen wird, unterliegt normalerweise der Geheimhaltung. Denn hier kommen die Abgeordneten zusammen, die die Arbeit der bundesdeutschen Nachrichtendienste kontrollieren sollen. Nur einmal im Jahr findet eine öffentliche Befragung der Geheimdienstchefs statt. Somit soll ein Mindestmaß an Transparenz hergestellt werden.
Seit der Konflikt in der Ukraine nach dem russischen Angriff im Februar eskaliert ist, haben die Geheimdienste Oberwasser. Aus Sicht der Bundesregierung werden sie nämlich nun so stark gebraucht wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Zu Beginn der Befragung am Montag beschwerte sich Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes BND, dass Warnungen vor Bedrohungen im öffentlichen Diskurs teilweise als Panikmache und Wichtigtuerei abgetan würden. Die russische Invasion in der Ukraine, mit der mehrere westliche Geheimdienste, darunter die CIA, gerechnet hatten, könnte das ändern. »Was für uns das Ergebnis professioneller nachrichtendienstlicher Arbeit ist, hat weite Teile der deutschen Bevölkerung aufgerüttelt«, meinte Kahl.
Diese Argumentation wirft durchaus Fragen auf. Denn der BND war im vergangenen Jahr stark in die Kritik geraten, weil er die Lage in Afghanistan offensichtlich völlig falsch eingeschätzt hatte. Der schnelle Siegeszug der Taliban, der schließlich zur Machtübernahme der Islamisten führte, kam damals für viele sehr überraschend. Der Abzug der Bundeswehr verlief entsprechend chaotisch, und zahlreiche sogenannte Ortskräfte mussten trotz der Bedrohung durch die Taliban im Land bleiben.
Nun sieht der BND die Chance gekommen, nach diesem Desaster wieder an Reputation zu gewinnen. Angeblich soll der deutsche Auslandsgeheimdienst zuverlässige Quellen haben, die im russischen Apparat Karriere gemacht haben. Das berichtete jedenfalls kürzlich die ARD. Hinzu kämen überwachte Kommunikation und die Auswertung von sozialen Netzwerken durch den deutschen Geheimdienst. Die ukrainische Armee wird zudem vom BND unter anderem mit Satellitenbildern zu russischen Militärstandorten auf ukrainischem Territorium versorgt. Auf dieser Basis können sich die ukrainischen Streitkräfte auf eigene Operationen vorbereiten.
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich auf den Krieg eingestellt. Präsident Thomas Haldenwang teilte im PKGr mit, dass seine Behörde die Zahl der Mitarbeiter ihrer Spionageabwehr verstärkt sowie diese Abteilung enger mit der Cyberabwehr verzahnt habe. Auch in diesen Bereichen geht die Bundesregierung davon aus, dass es eine Bedrohung aus Moskau durch Spionage und Sabotage gibt.
Ansonsten beschäftigt sich der Inlandsgeheimdienst mit allen Arten von »Extremismus«, wie er es nennt. Dabei wirft er Linke, Rechte und radikale Muslime in einen Topf. Nun machen Haldenwang die Demonstrationen wegen der hohen Energie- und Lebensmittelpreise Sorgen. Wenn der Winter kalt werde, könne es eine beispiellose Protestwelle in diesem Land geben, prognostizierte er.
Recht zurückhaltend waren die Geheimdienstchefs, als es um Neonazis im Militär ging. Dass es eine Reihe von Rechtsradikalen in der Bundeswehr gibt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes MAD, Christof Gramm, war vor zwei Jahren gefeuert worden, nachdem er regelmäßig das Problem kleingeredet hatte.
Seine Nachfolgerin Martina Rosenberg wurde im Bundestagsgremium vom Linke-Abgeordneten André Hahn zum Thema Nordbund befragt. Bereits im März war der MAD mit einer Razzia gegen mutmaßlich rechtsradikale Soldaten in Niedersachsen vorgegangen. Manche waren auch als Personenschützer für Bundesminister, Generäle und Staatssekretäre tätig.
Noch immer ist der MAD wortkarg, wenn es um das Thema geht. »Wir haben aus den Befragungen viele Erkenntnisse gewonnen«, sagte Rosenberg wolkig. Außerdem würden einige Mobiltelefone ausgewertet. »Wir prüfen noch, ob es sich um ein Netzwerk handelt«, sagte Rosenberg in Bezug auf den Nordbund. Aber angeblich hat die Bundeswehr das Problem inzwischen im Griff, und verdächtige Fälle würden schnell gemeldet. »In der Truppe und bei den Dienststellen herrscht null Toleranz«, wusste die MAD-Präsidentin zu berichten.
Ob bei der Bundeswehr diesbezüglich wirklich ausgemistet wird, ist allerdings fraglich. Nach Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums hat die Truppe im vergangenen Jahr einen deutlichen Anstieg der sogenannten Extremismusverdachtsfälle verzeichnet. Ende 2021 wurde in insgesamt 1452 Verdachtsfällen gegen mutmaßliche »Extremisten« ermittelt. Das waren 436 mehr als ein Jahr zuvor. In 85 Prozent der Fälle ging es um mutmaßliche Rechtsradikale.
Bestätigte Fälle gab es insgesamt allerdings nur 17; zehn von ihnen waren extreme Rechte. Das legt nahe, dass letztlich nur eine sehr geringe Zahl von Verdächtigen aus dem Verkehr gezogen wird.
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