Opfer von Nazis und Neonazis

An die Toten der Baseballschläger-Jahre wird zu wenig erinnert

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das früher Unsagbare gerät immer mehr in den Bereich des Sagbaren«, beklagte die Landtagsabgeordnete Marie Schäffer (Grüne) am Montagabend. Ihre Fraktion hatte zu einer Fachtagung zum antifaschistischen Gedenken eingeladen, weil »Grundwerte immer mehr infrage gestellt« werden, so die Abgeordnete Schäffer.

Was die DDR unter antifaschistischem Gedenken verstand, habe 1990 mehr oder weniger aufgehört, berichtete Philipp Ziems von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Der Verband mit sieben Ortsgruppen in Brandenburg organisiert Fahrten zu den Gedenkstätten Sachsenhausen, Ravensbrück und Lieberose. Anliegen sei es auch, Menschen darüber aufzuklären, warum man nicht mit der AfD »gemeinsam auf die Straßen geht«.

Frauke Büttner leitet die Geschäftsstelle des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie erinnerte an die 90er Jahre, die sogenannten Baseballschläger-Jahre. Opfer von Neonazis in Ostdeutschland waren damals Ausländer, Obdachlose und Punks. Es gehe nicht an, diese Verbrecher mit der damals schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage zu entschuldigen, sagte Büttner. »Da müssen wir wahnsinnig aufpassen.« Noch immer gebe es zum Beispiel in Eberswalde keine Amadeu-Antonio-Straße, um an dieses Todesopfer rechter Gewalt von Ende 1990 zu erinnern.

Von einer »zweiten Welle rechtsextremer Gewalt um das Jahr 1998« herum sprach Judith Porath vom Verein Opferperspektive. In Brandenburg seien 23 zweifelsfrei bestätigte Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen; in zehn weiteren Fällen sei es zumindest sehr wahrscheinlich, dass Rechtsextremisten die Mörder waren. Erst spät sei den Angehörigen und Freunden der Opfer beim Gedenken eine Stimme zugestanden worden. Das geschehe noch viel zu selten. Oft wünschten die Hinterbliebenen das nicht, räumte Porath ein. Aber den Versuch sei es wert.

Beklagt wurde mangelnde Unterstützung durch die Behörden. Alles werde der Zivilgesellschaft übertragen, aber »wir sind an einem Punkt, an dem wir nicht weiterkommen«, hieß es. Die Stolperstein-Initiative könne sich in Berlin auf vier Beschäftigte stützen, in Brandenburg auf keinen einzigen. Der Staat gestehe den Opfern rechter Gewalt der Nachwendejahre im offiziellen Gedenkkalender wenig bis gar keinen Platz zu, wurde bedauert. Diese wären schon längst dem Vergessen anheimgefallen, wenn sich nicht kleine, lokale Initiativen als »Stachel im Fleisch« erweisen würden.

Heutiges offizielles Gedenken verhindere nicht, dass Kinder oder Jugendliche bei rassistischen, ausländerfeindlichen oder antisemitischen Bemerkungen den »Reiz des Verbotenen« empfinden, sagte die Abgeordnete Schäffer. »Junge Leute sind nicht rechtsextremer oder rassistischer als die Erwachsenen, sie sind aber lauter und radikaler«, erwiderte Melanie Ebell vom Landesjugendring. Das Gedenken mit Sockel, Inschrift und Statue gehe an Kindern und Jugendlichen weitgehend vorbei. »Das ist nichts, was sie anspricht.« Ebell riet, die Heranwachsenden nicht »zu überwältigen«. Sensibilität beim Finden neuer Formen des Gedenkens sei gefragt. Die Erforschung der Vergangenheit im eigenen Lebensumfeld habe sich als guter Ansatz herausgestellt.

Für »rote Linien« setzte sich Frauke Büttner ein. Man habe es inzwischen mit Rechten zu tun, die einen totalitären Staat anstreben, der von Rassismus durchzogen sei – wenn man das, was sie sagen, konsequent zu Ende denke. Besorgniserregend sei, dass sich andere Parteien in der Kommunalpolitik zunehmend weniger scheuten, Anträge mit der AfD einzubringen. Wenn infolge rechtsextremer Exzesse die herrschende Politik die Asylpolitik verschärfe, den Tätern also Bestätigung und ein Erfolgserlebnis verschaffe, dann sei das »ein verheerendes Signal«.

Als Ausdruck einer um sich greifenden Gleichgültigkeit wurde ein auf eine Bank geschmiertes Hakenkreuz erwähnt. Obwohl diese Bank gegenüber einer Kreisverwaltung stehe, habe sich wochenlang niemand darum gekümmert. Sie befürworte keinen staatlich gelenkten Kampf gegen Rechtsextremismus, meinte Melanie Ebell vom Landesjugendring. Aber sie trete für mehr staatliche Unterstützung ein. »Das darf an ein paar Tausend Euro nicht scheitern.«

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