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Schnee im Harem des FC Carl Zeiss Jena

Der Autor der nd-Kolumne Ballhaus Ost kommt endlich mal wieder zu seinem Lieblingsverein und schwelgt in Erinnerungen

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Jenas Ernst-Abbe-Sportfeld wird gerade aufwendig modernisiert. Der gebotene Sport passt leider noch nicht ganz zum Ambiente.
Jenas Ernst-Abbe-Sportfeld wird gerade aufwendig modernisiert. Der gebotene Sport passt leider noch nicht ganz zum Ambiente.

Vor vielen Hundert Jahren lebten Bolz und Rungs an den Kernbergen. Plötzlich erschien die Gute Fußballfee am herrlichen Gestade der Saale und hauchte: An dieser Stelle, ich schwöre es bei Stein, Bein und Katzensuppe, genau an dieser Stelle möget ihr eure schönen VEB-Klappspaten ansetzen und das wundervolle Ernst-Abbe-Sportfeld erbauen. Als Archimedes im fernen Dingsda davon hörte, begann er superweißen Schnee zu weinen und blaues Blut zu husten, bis es allen Neidern sehr gelb zumute ward.

Ballhaus Ost
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

Freitagabend feierte ich meine Saisonpremiere in diesem Stadion. Zum Spiel gegen Altglienicke genügt nur ein Wort.

Bescheiden.

In Berlin sieht man bei Heimspielen Altglienickes, die der Verein in Herthas Amateurstadion austrägt, manchmal sieben Heimzuschauer. Dazu kommen noch zwölf, die nur Co-Trainer Torsten Mattuschka ärgern wollen. Der Ex-Unioner, Kampfname Tusche, hängt neuerdings aber lieber bei einem Bezahlsender ab, wo er irgendwas kommentiert, wie man mir sagte. Insofern fehlen oft sogar die zwölf Mattuschkafans. Weil sich aber einst ein verwirrter Bäckermeister mit dickem Konto in Altglienicke verlief und nicht mehr rausfand, spielt dieser fanfreie Klub jetzt in der Regionalliga Nordost mit.

Der FC Carl Zeiss Jena schaukelt ebenda in einer Findungsphase die müden Glieder und spielt derweil etwas Fußball. Den Fans schien es am Freitagabend egal zu sein, sie feierten sich und lobten im Anschluss die Mannschaft, die mit Glück ein 0:0 gehalten hatte. Man kann den Spielern keinen Vorwurf machen, sie sind alle solide Viertligakicker, mehr nicht.

Gegenwärtig dürfen wir in Jena den Stadionneubau im Bestand bewundern, dazu reichen im Prinzip keine 90 Minuten, Fußball ist außerdem die schönste Nebensache. Das neue Heim wird eine Wucht, vermutlich fallen zur Einweihung richtige Fußballer, ein brauchbarer Trainer und ein wunderbarer Sportdirektor vom Himmel. Diese Fußballgötter werden den FCC binnen drei Jahren in die 1. Bundesliga führen. Dann wird das Stadion jeden Spieltag ausverkauft sein und ganz Thüringen wird sich die Augen wundweinen, weil nur verdiente Sportsfreundinnen an eine der begehrten Karten kommen.

Ich werde dann sagen: Hoppla, das habe ich doch schon im Oktober 2022 verkündet. Bis dahin lesen wir in uralten Büchern von einstigen Erfolgen und sortieren die Europapokalprogramme ein ums andere Mal neu. Jenas letztes Europacup-Spiel wurde am 9.11.1988 bei Sampdoria Genua 1:3 verloren. Nächstes Jahr feiern wir 35. Jahrestag.

Wenn uns der Ostwind die Memoiren des Jenaer Fußballfreundes Detlef Mandler, den alle nur Det nennen, zuspielt, haben wir Glück. Es geht um Freiheit, also um Fußball, Kloppe, Biertrinken. Det fächert Gutes und Böses aus seinem Rabaukenleben auf. Det trug lange Haare und brachte ein paar smarte Kilo auf die Waage. Wenn alle rannten, konnte er es sich leisten, stehenzubleiben, um zu gucken, was ging. Manchmal ging was, oft war Fersengeld die bestmögliche Währung.

Det dichtet im rohen Fußballdeutsch, er kann auch eine Niederlage eingestehen, das unterscheidet ihn von eitlen Onkeln und Tanten. Nazi war er nie, dazu ist er zu sehr Fußball-Hippie. Wer brachiale Fanprosa mag, wird seine Freude an diesem Buch haben. Wer es haben will, reise nach Thüringen. Det wohnt in der Nähe von Oppurg. Fahrt hin, steigt aus dem Auto aus und wartet auf den nächstbesten Passanten! Wenn der waldschratig genug ist, wird er euch den Weg zeigen zum guten alten Det.

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