US-Militär kämpft mit massiven Rekrutierungsproblemen

Nur ein Viertel der Jugendlichen gilt als dienstfähig, lediglich zehn Prozent haben Interesse an einer Militärausbildung

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.
Haben immer weniger Vorbildcharakter: Rekruten an der US-Militärakademie West Point
Haben immer weniger Vorbildcharakter: Rekruten an der US-Militärakademie West Point

Laut Pentagon spitzt sich der Personalmangel bei der US-Armee enorm zu: Die Armee verfehlte ihr Einzugsziel für neue Rekruten in diesem Jahr mit 25 Prozent oder rund 20 000 Soldaten. Schwierigkeiten melden auch andere Teilstreitkräfte wie die Luftwaffe und das Marine-Corps. Das einflussreiche »Wall Street Journal« ruft nach umfangreichen Maßnahmen gegen den Soldatenmangel: Die 50 Jahre alte Freiwilligenarmee sei ein »Luxus«, der gepflegt werden müsse, sonst werde sie scheitern.

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Ein Podcast aus und über die Vereinigten Staaten von Amerika, im Vorfeld der »Midterms« genannten Zwischenwahlen Anfang November. Unsere beiden US-Korrespondenten Max Böhnel und Johannes Streeck werfen sich quer durch die USA die Bälle zu - von der Ostküste bis in den tiefen Südwesten und wieder zurück. Jeden Freitag neu auf dasnd.de/USA

Seit Jahren geißeln ehemalige Generäle die Qualität der Truppe. Die Initiative »Mission: Readiness« (Bereitschaft) aus 750 ehemaligen Generälen und Admiralen beklagt die körperlichen Unzulänglichkeiten der Jugend. Doch solche Kassandrarufe verhallten lange Zeit: Schließlich hat die Generation der sogenannten Millenials Amerikas Kriege in Irak und Afghanistan geschultert.

Aber nun berichten hochrangige Militärs vor dem Senat in Washington von einer Verschärfung der Lage: Nur rund ein Viertel der Jugend gilt laut Pentagon noch als diensttauglich – und nur zehn Prozent sind am Militärdienst überhaupt noch interessiert. Die Krise fällt in eine Zeit verstärkten Truppeneinsatzes in Europa und steigender Inflation, die auch Militärbudgets strapaziert.

Das Militär habe einen guten Ruf in der Bevölkerung, doch das gelte, so Pentagon-Personalchef Anthony Kurta, eher abstrakt: Militärdienst sei »eine gute Wahl für jemanden anderen«, konstatiert Kurta auf der Pentagon-Website. Letztes Jahr plante man beim Verteidigungsministerium eine Truppenstärke von insgesamt 485 000 Mann, jetzt habe man dieses Ziel nach Angaben der Armee-Rechnungsprüferin Caral Spangler gegenüber der Website »Defense News« auf 473 000 heruntergeschraubt.

Seit Jahren macht man sich im Pentagon Sorgen über eine »Entkoppelung« der Gesellschaft vom Militär. Das hängt eng mit der Etablierung einer reinen Freiwilligen-Armee zusammen: Im Jahr 1995 hatten noch 40 Prozent der Eltern von 18-Jährigen gedient. Im Jahr 2017 waren es nach Angaben von »Fox News« nur noch 15 Prozent.

Die Offizier*innen der Armee kommen vorwiegend aus nördlichen Militärschulen, einfache Soldat*innen hingegen aus den Südstaaten: 42 Prozent der Infantrist*innen kommen aus nur sechs Bundesstaaten. Im Pentagon ist man alarmiert, da letztes Jahr nur 62 Prozent der Ehemaligen den Militärdienst weiterempfehlen wollten, wie eine interne Umfrage des Military Family Advisory Network ergab. Im Jahr 2019 lag diese Zahl noch bei 74,5 Prozent. Konservative wie der republikanische Abgeordnete Darrell Issa aus Kalifornien sehen die Schuld dafür im Weißen Haus: Biden inspiriere nicht zum Dienst.

Doch die Probleme scheinen breiter angelegt: Ein sesshafter Lebensstil sorgt für schwachen Knochenbau. Fettleibigkeit, Drogen, Alkohol und Verhaltensauffälligkeiten tun ihr Übriges. Eine Mehrheit der Jugendlichen werde angeblich durch die Medien gegen das Militär beeinflusst: Der Dienst sei schädlich für Körper und Geist. Das Pentagon widerspricht: Militärangehörige hätten einen besseren Lebensstandard und eine bessere Bildung – die Armee sei bis heute der Königsweg in die Mittelschichten. Denn lange galt das Leben im Militär als modellhaft, was Zusammenhalt und gesellschaftliche Integration anbelangt.

Auch Amerikas Elite ist immer widerspenstiger und kann mit dem Militär nur wenig anfangen: Besonders talentierte Rekruten – die später etwa für die Cybersicherheit sorgen sollen – werden bereits mit Prämien von Zehntausenden Dollar in den Militärdienst gelockt. Sicherlich haben Begabte unter den Minderheiten heute auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen als früher. Die Südstaaten haben sich industrialisiert, es gibt alternative Jobangebote zu den Streitkräften. Jetzt bemüht sich die Armee gezielt um Gruppen wie Asiaten, Frauen und Latinos.

Die Militärführung verlangt vom Kongress nun neue Zugangsmöglichkeiten zur Jugend: Wie die kommerzielle Werbeindustrie will sie jetzt das Online-Verhalten der Bewerber minutiös verfolgen. Michael Strobl vom Marine-Corps behauptet gegenüber der Militärzeitung »Stars and Stripes«, dass diese Generation schließlich »die ganze Zeit online« sei. Werbung müsse jetzt personalisiert werden – der Datenschutz stehe aber bisher im Weg. Mit Beginn des Dienstes sollen die Rekruten dem Motto folgen: »Adapt and Overcome« – Sei anpassungsfähig und überwinde Hindernisse. Diesem Wahlspruch müsse das Pentagon jetzt ebenfalls folgen.

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