Diplomatie steht nicht zur Debatte

Kanzler Olaf Scholz wirft Russland Kriegsverbrechen vor und kündigt weitere Hilfen für die Ukraine an

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat angesichts zahlreicher Krisen einen schweren Stand.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat angesichts zahlreicher Krisen einen schweren Stand.

Während Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstagmorgen im Bundestag seine Regierungserklärung zum Europäischen Rat abgab, beschoss die russische Armee einmal mehr ukrainisches Gebiet. Insbesondere Energieanlagen und Stellungen der Armee wurden aus der Luft angegriffen. Seit Tagen gehen Bilder um die Welt, die zeigen, dass bei diesen Angriffen auch zivile Ziele getroffen werden. Scholz sagte im Plenum, dass diese bewussten Angriffe auf die Zivilbevölkerung Kriegsverbrechen seien. »Auch eine solche Taktik der verbrannten Erde wird Russland nicht helfen, den Krieg zu gewinnen. Sie stärkt nur die Entschlossenheit und den Durchhaltewillen der Ukraine und ihrer Partner«, so der SPD-Politiker in seiner dritten Regierungserklärung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar.

Den Begriff »verbrannte Erde« verbinden heute noch viele Menschen mit den Zerstörungen und dem Massenmord, den die deutsche Wehrmacht und die SS im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine und in anderen damaligen Sowjetrepubliken begangen haben. In diesem Zusammenhang richtete Scholz auch einen Gruß an den ukrainischen Holocaust-Überlebenden Roman Schwarzman, der die Debatte auf der Besuchertribüne des Bundestags verfolgte. Er ist Vorsitzender der regionalen Vereinigung der Juden in Odessa – ehemalige Gefangene des Ghettos und der Konzentrationslager der Nazis. »Auch diejenigen, die wie Sie, Herr Schwarzman, den Terror und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt haben, müssen nun erneut um ihr Leben fürchten. Dass Sie heute unser Gast sind, ehrt uns sehr«, erklärte Scholz.

Mit seinen subtilen Putin-Hitler-Vergleichen, die eher bei proukrainischen Demonstrationen als unter ernstzunehmenden Historikern populär sind, blieb der Kanzler im Plenum alleine. Obwohl Scholz sowie die Politiker von FDP und Grünen während der Plenardebatte die Einigkeit des Westens im Konflikt mit Russland beschworen, gibt es sowohl in der internationalen Gemeinschaft als auch in der EU und im Bundestag unterschiedliche Blicke auf den Konflikt.

Vertreter der anderen Parteien wetteiferten mit Ideen, wie der Krieg schon längst hätte beendet werden können. Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der kurz vor seinem Wechsel in die Bundespolitik noch Vorsitzender der Nato-nahen Lobbyorganisation Atlantik-Brücke war, meinte, dass die rot-grün-gelbe Koalition die Streitkräfte der Regierung in Kiew schnell mit »Schützenpanzern und Kampfpanzern westlicher Bauart« hätte ausrüsten müssen. In Richtung von Scholz fragte Merz: »Warum haben Sie so lange an Nord Stream 2 festgehalten und nicht schon Ende 2021 Maßnahmen eingeleitet?« Denn damals schwante der Bundesregierung angesichts des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine, was noch kommen würde.

Nicht nur in der SPD-Fraktion saßen vor dem Ausbruch des Krieges viele Unterstützer der russisch-deutschen Ostseepipeline. Auch in der Linken hielt man den Bau und die Gaslieferungen aus Russland für dringend notwendig. Inzwischen haben viele Politiker der Partei, mit Ausnahme einer Gruppe um Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst, ihre Haltung geändert.

Fraktionschefin Amira Mohamed Ali ging nicht näher auf die in ihrer Partei umstrittenen Sanktionen gegen Russland und die kürzlich verübten Anschläge auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 ein. Sie kritisierte stattdessen die »Entlastungspäckchen« der Bundesregierung. Notwendig seien stattdessen 1500 Euro Wintergeld für jeden Haushalt mit kleinem und mittlerem Einkommen. »Auch die außenpolitische Bilanz ist ernüchternd«, kritisierte die Linksfraktionschefin. Sie sprach sich dafür aus, keine weiteren Waffen an die Ukraine zu liefern, sondern stattdessen auf Diplomatie zu setzen. Mohamed Ali verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass dieser Aufruf mit Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammenhänge.

Auch die AfD weist solche Verdächtigungen trotz freundschaftlicher Besuche in Russland und im Donbass in den vergangenen Monaten zurück. Fraktionsführer Tino Chrupalla betonte im Bundestag, dass es ihm um »deutsche Interessen« gehe. Der AfD-Politiker kritisierte die Sanktionen gegen Russland. In diesem Zusammenhang warf er der Bundesregierung vor, dass sie dafür verantwortlich sei, dass Deutschland sich in einem »selbst entfachten Wirtschaftskrieg« befinde.

Beim Europäischen Rat, an dem Scholz Donnerstag und Freitag teilnehmen wird, werden solche Forderungen nach einem anderen Umgang mit Russland keine Rolle spielen. Stattdessen geht es unter anderem um die weitere Unterstützung der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj soll per Video zugeschaltet werden. Er will auch den aktuellen Strommangel seines Landes nach den russischen Angriffen ansprechen. Die Ukraine hofft, dass die Partner in der EU ihr Generatoren überlassen.

Ein Streitthema in Brüssel wird der europäische Preisdeckel für den Einkauf von Gas sein. »Ein politisch gesetzter Preisdeckel birgt immer das Risiko, dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen – und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger«, sagte Scholz. Viele EU-Staaten fordern trotzdem diesen Höchstpreis für Gas.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.