- Wirtschaft und Umwelt
- Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW-Belegschaft will acht Prozent mehr
Gewerkschaft IG Metall verhandelt ab Dienstag für 125 000 Beschäftigte über Haustarif
Fast ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit der westdeutsche Schlagerbarde Gunther Gabriel vielen Bürgerinnen und Bürgern aus dem Herzen sprach, als er seinen Song »Hey, Boss, ich brauch mehr Geld« röhrte. Doch wohl selten seit damals bewegte der schlichte Wunsch aus dem Jahre 1974 wieder eine derart große Zahl lohnabhängiger Menschen wie er es 2022 tut. Denn sie brauchen mehr Euros angesichts der Inflation, die sie im Supermarkt zu spüren bekommen, sie brauchen mehr Geld, um dem Anstieg der Energiekosten halbwegs begegnen zu können, und dieses Brauchen bewegt auch die 125 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Volkswagen.
Und so dürfte es verständlich sein, dass die Verhandlungen über einen neuen Haustarif, die am Dienstag beginnen, als Kernforderung einen Lohnzuwachs um acht Prozent haben. Der VW-Haustarif wird für die Stammbelegschaft der sechs westdeutschen VW-Standorte in Braunschweig, Emden, Hannover, Kassel, Salzgitter und Wolfsburg sowie einigen Töchtern verhandelt. Mit einer Forderung nach acht Prozent orientiert sich die Gewerkschaft IG Metall beim Autobauer an dem, was sie derzeit in der Metall- und Elektroindustrie fordert.
Seit Monaten steht diese Forderung im Raum, ist den Verantwortlichen bei VW wohlbekannt, doch konkret reagiert hat das Management der Wolfsburger Autoschmiede darauf nicht, schon gar nicht mit einem bezifferten Gegenvorschlag. Stattdessen verkündet der Konzern positive Zahlen, die aufzeigen, wie erfolgreich er ist und die folgern lassen: Sofern die Arbeitgeberseite dem Wunsch der Arbeitnehmervertreter nachkommt, wird das die Finanzkraft des Unternehmens nicht schmerzhaft treffen. Inoffiziell war jedoch aus dem Konzern signalisiert worden: Erfolgreiche Bilanzen seien kein Grund für Lohnerhöhungen.
Der Konzern nennt den Gewinn, den seine Belegschaft im ersten Halbjahr 2022 erwirtschaftet hat, »ein robustes operatives Ergebnis«: stolze 13, 2 Milliarden Euro. Zum Vergleichszeitraum 2021, in dem 11,4 Milliarden Euro erzielt wurden, ist das ein Zuwachs um 16 Prozent. Und die Konzernprognose, so heißt es in einer Selbstdarstellung des Unternehmens im Internet, lasse auch ein gutes zweites Halbjahr 2022 erwarten. Das gute Ergebnis ermögliche Investitionen »in zukünftige Ertragsquellen und neue Plattformen«.
Thorsten Gröger, Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall, greift ein Wort des Konzerns auf und bescheinigt ihm, er sei bislang »robust« durch die verschiedenen, internationalen Krisen navigiert. Die Aktionäre habe VW »mit einer Rekorddividende an der prächtigen Geschäftslage teilhaben lassen«. Dies lasse erwarten, dass sich die Arbeitgeber ihrer Verantwortung bewusst sind, für eine Stabilisierung der Einkommen in der aktuellen Lage Sorge zu tragen. Viele Beschäftigte, so Gröger, leiden massiv unter den gestiegenen Preisen von Lebensmitteln, Energie und Benzin.
»Was, wenn nicht ein Milliardengewinn ist denn ein besserer Grund für Steigerungen der Gehälter?«, fragt der Gewerkschafter. Allerdings gehe er angesichts der Krisenlage von schwierigen Tarifgesprächen aus. Neben einer dauerhaften Lohnerhöhung verlangt die Gewerkschaft eine Verlängerung des Tarifvertrages für Altersteilzeit, Verbesserungen bei der Entgeltumwandlung in freie Tage und die Übernahme von Semesterbeiträgen für dual Studierende. Er rechne mit zähen Verhandlungen, sagte der Bezirksleiter.
Es ist nicht auszuschließen, dass ihm die Arbeitgeberseite die Hoffnung auf einen für die Belegschaft akzeptablen Lohnzuwachs auszureden versucht. Womöglich mit Argumenten, wie sie bereits Ende Juli von VW-Finanzchef Arno Antlitz zu hören waren. Er hatte seinerzeit erklärt: »Die Mitarbeiter profitieren bereits von unseren guten operativen Ergebnissen. Dies sollte mitberücksichtigt werden.« Jedes Jahr erhalten die Tarifbeschäftigten von VW einen Bonus, der sich in erster Linie am Betriebsgewinn bei der Hauptsparte orientiert. Zudem hatte Antlitz seine Meinung geäußert, ein größerer Teil der aktuellen Teuerung sei kein dauerhaftes, sondern eher ein vorübergehendes Phänomen.
Hoffnung auf einen für die Arbeitnehmer hinnehmbaren Verlauf der Tarifgespräche macht da eher eine Feststellung, die Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo auf einer Betriebsversammlung traf: »Wir haben starke Zahlen aus der Bilanz im Rücken und einen hohen Auftragsbestand in den Büchern.« Doch zugleich dämpfte sie allzu optimistische Erwartungen: Teilemangel, Energiekrise und die drohende Rezession seien negative Vorzeichen für die nahe Zukunft.
Thorsten Gröger hofft auf konstruktive Tarifgespräche, schließt aber »zur Not« auch eine »große Mobilisierung der Beschäftigten auf der Straße und vor den Werkstoren« nicht aus. Die Friedenspflicht endet am 30. November. Ab dann kann die Gewerkschaft zu Warnstreiks aufrufen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.