- Kultur
- Queere Kunst und Islam
Queer, arabisch, lebensfroh
Eine Ausstellung in Paris zeigt nicht-heterosexuelle Motiviken in der Kunst der islamischen Welt
Wenn hierzulande über LGBTQI*s in der vom Islam geprägten Welt gesprochen wird, kommt meist Schräges heraus. Da gibt es auf der einen Seite die Kulturkämpfer*innen, die – etwa in dem Band »Beißreflexe« von Patsy l’Amour LaLove – pauschal von »grauenvollen Bedingungen von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in muslimischen Ländern« fabulieren. Die Herausgeberin des Bandes belegt dieses Urteil in ihrem Beitrag mit drei Zeitungsartikeln, die sich allerdings nur auf die Situation von Homosexuellen im Iran beziehen. Auf der anderen Seite gibt es kulturrelativistische Autor*innen wie Georg Klauda oder Zülfukar Çetin, die verkünden, Sex unter Männern sei eine alte kulturelle Tradition im Islam, die mit Beschreibungen wie Homosexualität oder Queerness nichts zu tun habe. Wer sich auf diese Konzepte beziehe, spiele bloß dem westlichen Imperialismus in die Hände.
Dass beide Positionen an den Lebensrealitäten von queeren Menschen in vielen islamischen Ländern und ihrer Diaspora vorbeigehen, zeigt auf erfrischende Weise die Ausstellung »Habibi, les révolutions de l’amour« (Revolutionen der Liebe) im Pariser Institut du Monde Arabe (IMA). Die in ihr versammelten 23, meist in den 1980er oder 1990er Jahren geborenen Künstler*innen hantieren ganz selbstbewusst mit Konzepten wie »queer«, »trans« und »homo«. Auf die gängigen Narrative – Repression und Depression in der arabischen Welt – stößt man in ihren Arbeiten kaum. Stattdessen bringt die Ausstellung eine Lebensfreude rüber, die ansteckt.
So ist etwa eine mit »Ballroom« betitelte immersive Videoinstallation zu sehen, in der die libanesische Dragqueen Anya Kneez mit einem bärtigen Bauchtänzer überlebensgroß zu Klassikern der arabischen Popmusik tanzt. Oder man begegnet einer Fotografie, auf der Rizlaine, eine non-binäre Person, eine arabische Bluse trägt, auf ihrem Bett steht und stolz in die Kamera schaut. Laut Bildzeile sagt sie: »Ich danke Allah jeden Tag dafür, dass ich nicht hetero bin.« Das Bild entstammt der Serie »Djinn« der Fotografin Camille Farrah Lenain. Ihr Onkel, der 2013 an den Folgen von Aids starb, war für lange Zeit der einzige schwule Algerier, den sie kannte. Für ihre Fotoserie hat sie sich auf die Suche nach der queer-muslimischen Community in Frankreich gemacht und dabei eine Reihe interessanter Menschen porträtiert. Der in Beirut lebende Fotograf Mohamad Abdouni präsentiert seine Archivrecherchen über transidentitäres Leben im Beirut der 90er Jahre. Wie er berichtet, waren in der Stadt nach dem Ende des Bürgerkriegs enorme Freiräume entstanden, die zu einer seitdem nicht mehr erreichten Blüte queerer Kultur führten. In der Schau zeigt er eine Auswahl von Fotografien von der Person Em Abed, etwa bei der Arbeit an einer Maschine stehend, glücklich inmitten einer Gruppe lachender älterer Frauen bei einem Ausflug und in verschiedenen Kleidern während eines Drag-Balls.
Wie Élodie Bouffard, eine der drei Kurator*innen der Ausstellung, im Gespräch mit dem »nd« erläutert, habe sich der Tenor der Ausstellung aus den Arbeiten der Künstler*innen von selbst ergeben: »Die Künstler*innen schaffen mit ihren Arbeiten eine neue Realität, die sich dem Institut der arabischen Welt quasi aufgezwungen hat.« Dabei war das Projekt von Beginn an als Kunstausstellung geplant. »Wir wollten den Künstler*innen eine Plattform für ihren eigenen künstlerischen Ausdruck geben und ihnen nicht von außen einen soziologischen oder politischen Diskurs überstülpen.«
-
/ Nora NollQueer und jung: Zu wenige Jugendeinrichtungen in Berlin für LGBTINur drei Einrichtungen bieten queeren Kindern und Jugendlichen einen Schutzraum frei von Diskriminierung
-
/ Mikołaj Cieśliński, PoznańVertragsfreiheit hat GrenzenEuGH urteilt: Diskriminierungsschutz muss auch für Selbstständige gelten
-
/ Claudia KriegNeun von zehn Fällen nicht gemeldetMonitoring-Bericht geht bei transfeindlicher Gewalt in Berlin von riesigem Dunkelfeld aus
»Habibi, les révolutions de l’amour«, bis zum 19. Februar 2023, Institut du Monde Arabe, Paris
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.