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Arm, ärmer, am ärmsten
Eine Umfrage zeigt, wer die Zeche in der Energiekrise zahlt
Was Corona nicht schaffte, bewirkt der aktuelle Wirtschaftskrieg: Immer weniger Menschen in Deutschland schätzen ihre wirtschaftliche Situation als erfreulich ein. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten fühlen sich nur noch 34 Prozent finanziell »sehr gut« oder »gut« aufgestellt. 43 Prozent waren es noch 2021. Damit ist der positive Trend seit der Finanzkrise gebrochen. Dies ist eins der zentralen Ergebnisse des Vermögensbarometers 2022, einer repräsentativen Umfrage, wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) erklärt, der diese Umfrage seit Langem jährlich durchführt.
»Etwa zwei Drittel der Befragten verzichten in ihrem Alltagsleben auf früher übliche Ausgaben. Mehr als die Hälfte will sich weiter einschränken«, sagte DSGV-Präsident Helmut Schleweis im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des Weltspartages diesen Freitag in Berlin. »Rund 90 Prozent der Befragten treibt die Inflation um.« Selbst wer mehr verdient, mache sich Sorgen: Der Druck komme auch in der Mittelschicht an, die bisher vergleichsweise gut über die Runden gekommen sei, so Schleweis – denn 58 Prozent der Haushalte mit einem Einkommen von über 2500 Euro verzichten bereits im Alltag. Besonders Haushalte mit niedrigen Einkommen unter 1000 Euro sind betroffen: Hier müssen bereits 83 Prozent auf Alltägliches verzichten.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kam kürzlich das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Es gebe eine große soziale Spreizung bei der Teuerung. »Die spezifischen Inflationsraten zeigen, dass Haushalte mit geringeren Einkommen durch den Preisanstieg bei Haushaltsenergie überproportional belastet sind und sich hier auch die Verteuerung der Nahrungsmittel stärker niederschlägt«, erklärt IMK-Forscherin Silke Tober.
So schlugen bei Familien mit zwei Kindern und niedrigem Einkommen diese beiden Gütergruppen des täglichen Grundbedarfs mit 7,2 Prozentpunkten auf die haushaltsspezifische Inflationsrate von 11,4 Prozent durch. Hingegen fielen bei Alleinlebenden mit starkem Einkommen darauf lediglich 3,3 Prozentpunkte von insgesamt 8 Prozent Inflation. Bei einkommensstarken Haushalten sorgten die im Vorjahresvergleich ebenfalls erheblichen Preisanstiege bei Pauschalreisen, Gaststättendienstleistungen oder Wohnungsinstandhaltung freilich für höhere Ausgaben.
Die mittelbaren Folgen der Finanzdepression sind einschneidend. Viele Menschen sparen jetzt beispielsweise Energie, um weniger Geld auszugeben. Was zunächst zweckmäßig ist, kann Mietern in der kalten Jahreszeit schimmelige Wände bescheren und mittelfristig die Bausubstanz gefährden. Andere sorgen sich angesichts steigender Zinssätze um die Finanzierung ihres Eigenheims während der kommenden Jahre, junge Familien stellen ihre Bauwünsche hintenan.
Gleichzeitig steigt in großen Teilen der Gesellschaft die Sorge vor Altersarmut. So ist im ersten Halbjahr laut Statistischem Bundesamt die Sparquote mit 11,1 Prozent wieder auf Vor-Pandemie-Niveau gesunken. Damit ist die Quote allerdings im westeuropäischen Vergleich immer noch recht hoch.
Finanzprobleme schlagen sich nicht allein im privaten Bereich nieder. Der daraus folgende Trend zur Kaufzurückhaltung dürfte die sich abzeichnende Rezession der Volkswirtschaft im Winter noch verschärfen, weil es an kaufkräftiger Nachfrage fehlt. Bremsspuren sind schon beim Einkauf festzustellen, ergab die Sparkassen-Umfrage. Was ein Problem für den Einzelhandel darstellt.
Im ersten Schritt, ist aus der Branche zu hören, verzichten die Verbraucher auf Bio- und Markenprodukte und kaufen in den Supermärkten preiswertere Eigenmarken. Im zweiten Schritt weichen sie mehr auf die Discounter aus. Dieses veränderte Einkaufsverhalten wirkt sich dann auf Lebensmittelindustrie und Agrarwirtschaft aus.
Umso wichtiger sind daher die Stabilisierung von Einkommen und die staatliche Entlastungspolitik. Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen gingen, insbesondere nach den durch das dritte Entlastungspaket vorgenommenen Ergänzungen, »weitgehend in die richtige Richtung«, konstatiert das IMK.
Im Oktober 1924 hatten Vertreter aus 30 Ländern in Mailand auf dem 1. Internationalen Sparkassen-Kongress den »Weltspartag« ausgerufen. Den Begründern ging es nicht nur um das Zurücklegen von Geld – auch mit der Zeit, der Kraft und mit unserem Leben sollten wir sparsamer umgehen, heißt es in der Kongress-Resolution, die noch vom Schrecken des Ersten Weltkrieges geprägt war.
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