Der Retter der Bäume

SPD-Stadtrat Kevin Hönicke macht in Lichtenberg ordentlich Wahlkampf mit einem grünen Innenhof

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 6 Min.
Holzschaukel statt Hausbau: Kann die Bebauung der Innenhöfe im Ilsekiez noch verhindert werden?
Holzschaukel statt Hausbau: Kann die Bebauung der Innenhöfe im Ilsekiez noch verhindert werden?

Nachverdichtungen bergen in Berlin ordentlich Konfliktpotenzial. Bäume werden gefällt, grüne Oasen müssen Beton weichen. »Zielkonflikt« hat das Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) einmal genannt. Denn einerseits will allen voran die SPD viele neue Wohnungen bauen, anderseits sollen nicht immer mehr Flächen am Standrand für neue Quartiere versiegelt werden. Man komme deshalb nicht umhin, innerhalb bestehender Quartiere zu bauen, erklärte Geisel.

Wie vielerorts in Berlin wehren sich auch im Lichtenberger Ilsekiez Anwohner gegen ein Bauvorhaben in ihrem Innenhof. Nachdem die Pläne der landeseigenen Howoge, hier zu bauen, bekannt geworden waren, gründete sich eine Anwohnerinitiative. Sie konnte die Bezirkspolitik schnell auf ihre Seite bringen. Bereits 2016 startete das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans (B-Plan), mit dem geregelt wird, was gebaut werden kann. Für die Zeit bis zur Aufstellung wurde eine sogenannte Veränderungssperre beschlossen.

Diese läuft Anfang Dezember aus, der B-Plan muss deshalb spätestens im November aufgestellt werden. Doch zu Beginn dieses Monats kündigte Lichtenbergs Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) an, dass eine fristgerechte Festsetzung des Bebauungsplans scheitern könnte. Schuld seien ein Radweg und die grüne Mobilitäts- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch. »Völlig überraschend« habe Jaraschs Senatsverwaltung mitgeteilt, dass der B-Plan nicht festgesetzt werden könne, weil der Ausbau der Ilsestraße damit verhindert werde. »Der Ausbauplan einer Straße führt nun dazu, dass die Innenhöfe bebaut werden können«, so Hönicke. Das sei ein verheerendes Signal aus der auch für den Klimaschutz zuständigen Senatsverwaltung, empörte sich der Bezirksstadtrat.

Eine grüne Senatorin, die am Ende dafür verantwortlich zeichnen soll, dass nachverdichtet wird, obwohl selbst die SPD das verhindern will? Die Entrüstung im Bezirk war groß. Recherchen des »Tagesspiegel« zeigten aber schnell: Hönicke verschwieg Wesentliches. Auch der Sprecher von Mobilitätssenatorin Jarasch meldete sich zu Wort und erklärte, dass die Bedenken der Senatsverwaltung lösbar seien.

Die Mobilitätsverwaltung sei bereits im März um eine rechtliche Prüfung des B-Plans gebeten worden, schrieb Jaraschs Staatssekretär Markus Kamrad (Grüne) am Mittwoch in einem Brief an Bezirksstadtrat Hönicke. Danach habe der Bezirk den Entwurf für den B-Plan aber noch einmal stark verändert, wovon die Senatsverwaltung aber erst im August erfahren habe. So sollen Grundstücksgrenzen verschoben worden sein, wodurch sich letztlich auch die Probleme mit der Umsetzung des Radverkehrsplans ergeben hätten.

»Diese planerischen Versäumnisse des Bezirks sollten nicht zulasten der Innenhöfe gehen«, so Kamrad. Die Mobilitätsverwaltung jedenfalls sei bereit, die eigenen Vorbehalte gegen den B-Plan zurückzustellen, »um trotz der fehlerhaften Planung Ihres Bezirksamts den Beschluss des B-Plans und den Schutz eines Großteils der Innenhöfe zu ermöglichen«, wie es in dem Brief an Hönicke weiter heißt. Kamrad weist aber auch darauf hin, dass es vorteilhaft wäre, zunächst die »komplexeren Vorbehalte« der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung »aufzulösen«.

Im B-Plan soll eine Fläche nicht berücksichtigt worden sein, zudem gibt es Fehler bei den Kennzahlen für die Geschossfläche. Auch wird moniert, dass das beschleunigte Verfahren, nach dem der Bezirk den B-Plan aufstellen wolle, nicht hinreichend begründet worden sei. Kurzum: Es gibt allerlei handwerkliche Fehler. Über die »komplexeren Vorbehalte« der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagte Hönicke aber zunächst nichts.

Von einem Täuschungsmanöver war deshalb die Rede. »Wir vermuten hier ein wahltaktisches Manöver auf dem Rücken der Karlshorster*innen und der grünen Innenhöfe im Ilsekiez«, sagte Daniela Ehlers, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in der BVV Lichtenberg. »Dass die SPD, besonders in Person des Bausenators und Karlshorster Abgeordneten Andreas Geisel, die Bebauung der grünen Innenhöfe gerne sehen würde, ist seit langem bekannt«, so Ehlers. Sie forderte Hönicke auf, keine Informationen mehr zurückzuhalten und einen fehlerlosen Bebauungsplan vorzulegen, über den die BVV dann rechtzeitig vor Auslaufen der Veränderungssperre abstimmen könne.

Auch BVV-Linksfraktionschef Norman Wolf zeigt sich am Donnerstag im Gespräch mit »nd« schockiert. Es sei ein einmaliger Vorgang, dass die Bezirksverordneten so offensichtlich »an der Nase herumgeführt« worden seien. »Die SPD will überall bauen, wo es möglich ist. Sie will sich bloß nicht schmutzig dabei machen.« Auch Wolf weist darauf hin, dass Stadtentwicklungs- und Bausenator Andreas Geisel seinen Direktwahlkreis in Karlshorst hat. Erst im vergangenen Wahlkampf habe die SPD den Schutz der Innenhöfe im Ilsekiez für sich entdeckt, sagt er.

Nun steht mit der wahrscheinlich gewordenen Wiederholungswahl im Februar der nächste Wahlkampf an. Es ist kein Geheimnis, dass Geisel angezählt ist. Dem früheren Innensenator wird die Schuld am hauptstädtischen Wahlchaos im September 2021 gegeben, das letztlich dazu führte, dass die Berliner bald schon wieder an die Wahlurne müssen. Ungünstig für ihn wäre es, wenn am Ende auch der Rückhalt für Geisel in seinem Wahlkreis verloren ginge, weil die SPD dort verantwortlich dafür ist, dass Innenhöfe bebaut werden.

Dass er den Grünen die Schuld in die Schuhe schieben wollte, weist Hönicke ebenso zurück wie den Vorwurf, dass er die Aufstellung eines Bebauungsplans verhindern wollte, damit die Howoge bauen kann. »Ich bin nicht dabei, den B-Plan gegen die Wand zu fahren. Das hätte ich viel einfacher machen können, wenn ich gewollt hätte«, sagt Hönicke »nd«.

Was er von der Kritik hält, die es in den vergangenen Tagen von vielen Seiten an seiner Person gab? »Wir sind in Wahlkampfzeiten.« Für ihn habe es gerade höchste Priorität, eine Lösung für den B-Plan zu finden. Theoretisch ließen sich alle Einwände ausräumen, die Zeit sei aber zu kurz und die Aussicht deshalb »maximal schlecht«, sagt Hönicke. Für Freitagmorgen sei immerhin ein Gespräch mit der Senatsmobilitätsverwaltung angesetzt.

Zuvor wird sich Hönicke im Stadtentwicklungsausschuss der Lichtenberger BVV aber einiges anhören können. Am Donnerstagabend, nach Redaktionsschluss dieser Zeitung, wird es dort um den Ilsekiez gehen. Norman Wolf will über den Bebauungsplan abstimmen lassen. »Der Antrag bezieht sich darauf, dass es laut Herrn Hönicke nur Einwände aus der Senatsumweltverwaltung gibt, die aber, wie diese sagt, ausräumbar sind. Also entweder wird der Antrag angenommen oder Herr Hönicke muss zugeben, dass er gelogen hat«, sagt Wolf.

»Der Ausschuss kann natürlich beschließen, was er will«, entgegnet Hönicke. »Das Bezirksamt kann aber einen nicht rechtssicheren B-Plan nicht umsetzen. Dann wären wir sofort angreifbar.« Persönlich angreifbar, soviel ist klar, hat sich Hönicke in den vergangenen Tagen selbst gemacht.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.