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- Transfeindlichkeit in England
Das Leid englischer trans Kinder
Jeja nervt: Wenn Hilfe in Kontrolle umschlägt
Der englische und walisische Gesundheitsdienstleister NHS wandelt sich von einem Unterstützer transgeschlechtlicher Kinder in ein Kontrollinstrument – wenn ein Entwurf zu den Behandlungsrichtlinien tatsächlich verabschiedet werden sollte. Gegenwärtig können die Teenager kaum Verschreibungen von die Pubertät blockierenden oder umleitenden Hormonen erhalten. Das System ist heillos überlastet, die Wartezeiten auf Jahre angewachsen. Bald könnte das zum Prinzip werden.
Denn die Punkte in dem Papier, über die britische Medien berichteten, haben es in sich. Demnach soll künftig gelten: Transgeschlechtlichkeit bei Kindern sei in den meisten Fällen eine vorüberziehende Phase, die spätestens durch die Pubertät beendet wird, wenn körpereigene Geschlechtshormone ausgeschüttet werden. Nach internationalen Studien geschieht das häufiger bei Kindern und Jugendlichen als bei Erwachsenen. Doch anders als in der geplanten Richtlinie suggeriert wird, ist bei medizinisch behandelten Jugendlichen viel weniger Leid zu beobachten, darüber, dass eine Entscheidung zur Transition bereut würde.
So zeigte erst vor Kurzem eine in der britischen Fachzeitschrift »The Lancet – Child & Adolescent Health« veröffentlichte Studie, dass nur zwei Prozent der mit Geschlechtshormonen behandelten Jugendlichen zwischen durchschnittlich 14 und 20 Jahren die Hormonbehandlung abbrach. Die Forscher*innen wiesen allerdings darauf hin, dass unklar sei, warum. So nutzen viele nichtbinäre Personen die Hormongabe oft nur vorübergehend. Damit lassen sich bestimmte, nach Absetzung der Medikamente nicht mehr verschwindende körperliche Veränderungen erreichen, etwa eine tiefere Stimmlage. Die Forscher*innen nannten ihre Ergebnisse »beruhigend im Kontext der jüngst gestiegenen öffentlichen Sorge«.
Die geringe Abbrecher*innenquote deckt sich dabei mit Studienergebnissen über jüngere Kinder, die ihre soziale Transition weit vor Beginn der Pubertät begonnen hatten. In einer im Mai in der Fachzeitschift »Pediatrics« veröffentlichten Untersuchung wurde die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen über einen Zeitraum von fünf Jahren beobachtet. 94 Prozent der Kinder, die ihre Transition im Schnitt mit 6,1 Jahren begonnen hatten, blieben bei ihrer transgeschlechtlichen Identität als Jungs oder Mädchen. Bei 3,5 Prozent hatte sie sich dahingehend gewandelt, dass sich die Kinder nun als nichtbinär verstanden. »Nur« 2,5 Prozent der Kinder im vorpubertären Alter lebten nun wieder cisgeschlechtlich.
So ein Fall ist die Britin Keira Bell. Sie war in der einzigen Genderklinik der NHS für England und Wales in London mit Pubertätsblockern und später mit Geschlechtshormonen behandelt worden. Nach einer operativen Entfernung der Brüste identifizierte sich Bell jedoch wieder als Frau, bandelte mit transfeindlichen Organisationen an, verklagte die Klinik und stellte sich für eine Öffentlichkeitskampagne zur Verfügung. Das Trans-Zentrum durfte dann zunächst keine Pubertätsblocker mehr an unter 16-Jährige verschreiben. Doch obwohl das Urteil schließlich kassiert wurde, hatte es Folgen.
Es entstand ein großer Druck auf den öffentlichen Gesundheitsdienstleister, dass nun augenscheinlich andere Kräfte im Gesundheitssystem bei der Behandlungspolitik den Ton angeben. Und die richten sich weniger nach der Datenlage als nach der öffentlichen Meinung. Sogar die soziale Transition ohne medizinische Maßnahmen soll von Behandler*innen möglichst unterbunden, auf gar keinen Fall aber als eine das Leid der Kinder mildernde Maßnahme vorgeschlagen werden. Denn die sei nicht »neutral«. Bei diesen Leuten scheint »neutral« zu bedeuten, 100 Jugendliche der körpereigenen Pubertät mit nie mehr ganz umkehrbaren Folgen auszusetzen, damit zwei oder drei von ihnen später nicht unter dem Gefühl leiden müssen, im »falschen« Körper zu stecken. Denn das kann man ja, so zynisch ist das, keinem cisgeschlechtlichen Kind zumuten.
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