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Hunderttausendfache Privatisierung öffentlichen Raums
Parkplätze an Straßen verbrauchen in vielen Berliner Kiezen mehr Fläche als Parks und Spielplätze
Knapp 230.000 Auto-Parkplätze auf öffentlichem Straßenland gibt es in der Berliner Innenstadt, also im Bereich innerhalb des S-Bahnrings. Diese Zahl hat die Initiative Parkplatz Transform am Montagabend vorgestellt. Drei Jahre lang sind die Aktivistinnen und Aktivisten mit einer extra dafür eingerichteten App Hunderte Straßenkilometer abgelaufen und haben die für einige Bereiche existierenden Zahlen der Verwaltung ausgewertet.
»Endlich wissen wir, wie viele Parkplätze es im Zentrum Berlins gibt«, sagt Isabell Merkle von der Initiative. Einen solchen Gesamtüberblick hat es bisher nicht gegeben. Tatsächlich dürften wesentlich mehr Autos auf den identifizierten Flächen und darüber hinaus parken. Denn gerechnet wurde mit 5,20 Meter langen sogenannten Standard-Parkplätzen – die meisten Berliner Pkw sind deutlich kürzer. Auch halbe Stellplätze und die vielen illegalen Parkmöglichkeiten an Kreuzungen oder in Lieferzonen sind nicht einbezogen worden. Genauso wenig wie die zahlreichen privaten Flächen an Supermärkten, Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen.
Doch die Daten gehen über die reine Anzahl der Parkplätze hinaus. Für jeden einzelnen von der Berliner Verwaltung definierten Innenstadtkiez – die sogenannten Lebensweltlich orientierten Räume – kann nun verglichen werden, wie hoch der Anteil der Parkflächen am Straßenland insgesamt ist und wie viel Raum Grünflächen und Spielplätze einnehmen. Im Hausburgviertel im Norden Friedrichshains beispielsweise entfallen 7,2 Prozent der Fläche auf Parkplätze, dagegen machen Spielplätze und Grünanlagen zusammen nur 1,1 Prozent aus. In mehr als der Hälfte der Innenstadtkieze wird mehr Fläche fürs Parken als für grüne Infrastruktur und Spielplätze genutzt. Eines sei sicher: »In jedem Berliner Kiez gibt es eine stille Reserve von mehreren Fußballfeldern, die bisher fürs Parken genutzt werden«, sagt Miriam Rumpel von Parkplatz Transform.
»Ein wunderbares Geschenk der Zivilgesellschaft« nennt Kerstin Stark von der aus dem Fahrrad-Volksbegehren hervorgegangenen Initiative Changing Cities die nun vorliegenden Daten in der Diskussion, die sich an die Vorstellung der Zahlen am Montagabend in der Stadtwerkstatt an der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte anschließt. Das Parkplatz-Projekt war unter dem Dach des Vereins angesiedelt. »Jetzt muss der Faden aufgegriffen werden«, fordert Stark. Sie hat sogar die Hoffnung, dass die Zahlen »das Problem so deutlich zeigen, dass man nicht mehr polemisch dagegen agieren kann«.
Monika Herrmann widerspricht: »Da kann man so viele Daten erheben, wie man will. Es ist eine emotionale Frage. Es gibt Widerstände, die Leute sehen das nicht ein.« Die Grünen-Politikerin war bis zum Ende der letzten Legislaturperiode Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg und hatte in diesem Amt zuletzt mit der Zuständigkeit für das Straßen- und Grünflächenamt die Verkehrswende mit Druck vorangetrieben. »Es nutzt alles nichts, wenn der politische Wille fehlt, das umzusetzen. Wenn von ganz oben der Widerstand auch mit angefeuert wird, dann wird es auch schwierig«, so Herrmann weiter. Sie meint Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die jüngst im Streit um die autofreie Friedrichstraße eine sofortige Öffnung für Autos nach einem entsprechenden Gerichtsurteil forderte, obwohl das noch gar nicht rechtskräftig war.
»Wir brauchen einen verbindlichen Abbaupfad von Parkplätzen in Berlin«, fordert Niklas Schenker, Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus für Fuß- und Radverkehr. Bereits 2019 war das Bündnis »Berliner Straßen für alle« aus Umwelt- und Verkehrsverbänden mit einer entsprechenden Forderung an die Öffentlichkeit getreten; berlinweit sollten demnach bis zum Jahr 2030 jährlich 60.000 Parkplätze entfallen.
Es wird im Laufe der Veranstaltung in der Stadtwerkstatt viel über die Mühen der Ebene gesprochen: langwierige Gutachten zur Errichtung von Zonen mit Parkraumbewirtschaftung, fehlendes Personal für Ordnungsämter und fehlende Büroräume für dessen Unterbringung. Und auf Bundesebene stehen die gesetzlichen Voraussetzungen aus, um die Parkraumüberwachung automatisiert vom Auto aus per digitaler Kennzeichenerfassung wesentlich effizienter durchführen zu können.
Doch auch der Berliner Senat hat eine im rot-grün-roten Koalitionsvertrag vereinbarte Hausaufgabe noch nicht erledigt. Bisher kostet der Anwohner-Parkausweis nur 10,20 Euro pro Jahr. Auf 120 Euro soll der Preis steigen. »Wir fordern die Landespolitik auf, die geplante Erhöhung der Anwohnergebühren endlich umzusetzen«, sagt Christoph Keller von Parkplatz Transform. Und bei 120 Euro sollte es nach Vorstellung des Aktivisten nicht bleiben. »Die Nutzung von knappem öffentlichen Raum sollte mehr kosten als 30 Cent pro Tag«, fordert er.
Die Grüne Herrmann ist für deutlich höhere Preise, der Linke Schenker hat Bedenken wegen der sozialen Komponente. Das ist fast schon der größte Gegensatz der beiden in der Verkehrspolitik. Beide sind sich einig, dass die Privatisierung öffentlichen Raums als Abstellfläche für Privateigentum deutlich zurückgefahren werden muss.
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