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Fortbildung mit Sektempfang
Fehlendes Problembewusstsein bei Ärzten ermöglicht erfolgreiches Pharma-Marketing
Im Hilton-Hotel Köln versammeln sich an diesem Freitag und dem folgenden Samstag etliche Internisten und andere Mediziner zu einem Symposium unter dem Motto „Covid-19 – Rückblick und Ausblick». Veranstalter ist die Walter-Siegenthaler-Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin (WSG). Bei der Lektüre des Programms wird schnell klar, dass hier an wissenschaftlicher Prominenz einiges aufgeboten wurde: Die Virologin Sandra Ciesek aus Frankfurt am Main, der Lungenarzt Leif Erik Sander von der Charité Berlin oder der Intensivmediziner Christian Karagiannidis zählen zu den Referenten. Die beiden Letztgenannten gehören auch dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung an.
Die Einladung zu dem Event verzeichnet aber auch, wie es üblich ist, die Sponsoren und ihren finanziellen Beitrag. Dort sind mit einer Summe von 22 500 Euro jeweils die deutschen Ableger von vier großen Pharmaherstellern gelistet: Astra-Zeneca, Gilead Sciences, MSD und Pfizer. Mit je 8000 Euro sind drei weitere Unternehmen dabei: Janssen-Cilag, Glaxo-Smith-Kline und Roche Pharma. So weit, so deutlich. Aufgefallen ist die Veranstaltung auch der Ärzteorganisation Mezis. Die Abkürzung steht für den Satz: Mein Essen zahl ich selbst. Deren deutschlandweit rund 1000 Mitglieder haben sich das Ziel gesetzt, den Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf ihre Zunft transparenter zu machen und zu reduzieren.
Das Problem bei dem Kölner Symposium ist aus Sicht der unabhängigen Ärzte nicht das Zusammentreffen von führenden Medizinern und Industriesponsoren. „Die Unternehmen können ja Werbung machen, wie sie wollen», meint Mezis-Vorstand Niklas Schurig. „Aber die Ärztekammer Nordhein darf das dann nicht als CME-Fortbildung adeln.» CME steht für Continuing Medical Education, also die fortlaufende berufsbegleitende Fortbildung. Ärzte müssen innerhalb von bestimmten Fristen eine feste CME-Punktzahl erreichen, die sie unter anderem auch bei entsprechend zertifizierten Veranstaltungen sammeln können. Erreichen sie die Punktzahl nicht, drohen Abschläge bei der Vergütung, im Extremfall droht der Entzug der Zulassung.
Welchen fachlichen Wert hat aber eine Veranstaltung, in der die Industrie nicht nur allgemeiner Sponsor ist, sondern auch einzelne Vorträge „freundlich unterstützt»? Dieser Beistand wird in Köln unter anderem Stefan Kluge gewährt, und zwar von der Pfizer Pharma GmbH. Der Intensivmediziner aus Hamburg war federführend an der Entwicklung der S3-Leitlinie zur stationären Therapie von Patienten mit Covid-19 beteiligt. In Köln wird er auch zu diesem Thema referieren. In der Leitlinie selbst ist festgehalten, dass Kluge bereits Vortrags- und Beraterhonorare unter anderem von Pfizer erhalten hat.
Der Widerspruch von Mezis, den die Organisation in mehreren Schreiben an die WSG sowie die Ärztekammer Nordrhein richtete, hat Reaktionen hervorgerufen. Unter anderem kam es zu Löschungen im Einladungsflyer, die fünf ganzseitigen Anzeigen von einzelnen Sponsoren sind verschwunden. In der Tagesordnung wird nun auch der Sektempfang zum Ende der Veranstaltung nicht mehr verzeichnet, ebensowenig das usprünglich avisierte festliche Abendessen.
Formal wird damit der aktuell gültigen Fortbildungsordnung entsprochen. Darin steht unter anderem, dass »die Inhalte unabhängig von wirtschaftlichen Interessen präsentiert werden« müssten. Dort heißt es auch, dass »Einladungen, Programme und Schulungsmaterialien von anerkennungsfähigen Fortbildungsmaßnahmen keine sonstigen Elemente von Firmen- und/oder Produktwerbung aufweisen« dürften. Das Grundproblem bleibt dennoch, schrieb Mezis wenige Tage vor der Veranstaltung: „Das Veranstaltungskonzept ist unverändert und somit nicht zertifizierungsfähig.» De facto sei das Pharma-Sponsoring in Höhe und Umfang gleich geblieben, auch die Auswahl an Vorträgen sei immer noch teilweise an der Produktpalette der Sponsoren ausgerichtet. Deshalb hat Mezis die WSG sowie die Referentinnen und Referenten erneut aufgefordert, freiwillig auf die geplante Zertifizierung zu verzichten.
Im letzten Mezis-Schreiben wird unter anderem darauf verwiesen, dass die Zusammensetzung der Gremien intransparent ist, die bei der Siegenthaler-Gesellschaft das Symposium planten. Nur zu vermuten ist etwa, dass der Tagungspräsident auch der verantwortliche wissenschaftliche Leiter für die CME-Zertifizierung sein wird. Dieser berät aber zugleich das Unternehmen Gilead, als einer der Hauptsponsoren der Kölner Veranstaltung schon benannt. Hausarzt Schurig von Mezis sieht im Verlauf der Auseinandersetzung mit den Veranstaltern nicht nur immer neue Interessenskonflikte an den Tag kommen, sondern ein grundsätzliches Problem bei der Organisation: „Die Walter-Siegenthaler-Gesellschaft versteht nicht, dass sie den Zugang zu den Köpfen der Ärzte verkauft.»
Ärztliche Fortbildungen stehen schon länger in der Kritik, dass es hier mit der Transparenz und der Unabhängigkeit von Industrieeinflüssen nicht so genau genommen wird. Das funktionierte vor der Pandemie noch besser, als sich Vorträge zu neuen Therapien etwa mit einer Einladung zum Abendessen verbinden ließen und die Ärztinnen und Ärzte auf diese Weise angenehm ihrer Verpflichtung zur beruflichen Fortbildung nachkommen konnten. Dass diese Praxis so einreißen konnte, hat mit den „schwammigen» Fortbildungsordnungen der Ärztekammern zu tun, so Mezis-Vertreter Schurig. Aktuell nimmt aber die Zahl der Fachveranstaltungen wieder zu, die im realen Leben stattfinden.
Hersteller und deren Lobbyisten verfügen über ein ganzes Instrumentarium, um Ärzten ihre wirtschaftlichen Interessen nahezubringen. Schurig weist auf Datenbanken hin, in denen nach Fachgebiet und Ort die Namen der Ärzte zu finden sind, die thematisch für die Hersteller interessant sein könnten. Sogenannte Key Opinion Leader (Meinungsführer) werden identifiziert und umworben. Mitunter, wie möglicherweise auch bei der Veranstaltung in Köln, geht es dabei nicht mehr um Vortragshonorare, sondern um die Reputation, bei vermeintlich wichtigen wissenschaftlichen Anlässen dabei zu sein.
Susi Bonk, Chirurgin und Mezis-Beirätin, sieht in dem hohen Sponsoring-Betrag für die Kölner Veranstaltung auch deshalb ein fatales Signal, »weil es der sensibilisierten Öffentlichkeit das Bild vermittelt, dass die Pharmaindustrie sogar mit aktiver Unterstützung der Ärzteschaft ihre Marketingkampagnen weiter durchziehen kann«. Die Sponsoren haben durch Corona-Medikamente und -Impfstoffe bereits Milliardengewinne gemacht. Durch Veranstaltungen wie die in Köln besteht die Gefahr, dass die dringend erforderliche objektive Diskussion zur Wirkung von Therapien und Vakzinen in der Pandemie diskreditiert wird.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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