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Was von der Kunst bleibt

Die Kunstbiennale Manifesta spielte mit dem rauen Charme der kosovarischen Hauptstadt Pristina

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine sogenannte urbane Intervention vor der Ziegelei in Pristina
Eine sogenannte urbane Intervention vor der Ziegelei in Pristina

Die Rufe der Muezzins hallen durch die Straßen. Hunde streifen durch die Fußgängerzone im Zentrum Pristinas und suchen mit treuherzig blickenden Augen mitleidige Touristen, die wiederum große Augen bekommen, wenn sie die exotisch wirkenden Stände der Bäuer*innen aus der Umgebung betrachten. Touristen gibt es derzeit im Stadtbild der kosovarischen Hauptstadt Pristina mehr als gewohnt. In den letzten Tagen der nomadischen Kunstbiennale Manifesta streifen sie durch die Stadt. Sie sind gut erkennbar an den grünen Karten, auf denen die insgesamt 25 Ausstellungsorte eingezeichnet sind. Biennale-Direktorin Hedwig Fijen und ihr kuratorisches Team haben es sich traditionell zur Aufgabe gemacht, den Stadtraum einzubeziehen.

In Pristina, in der bauliche Strukturen aus ottomanischer Zeit, Architekturikonen der sozialistischen Moderne und die eher karg wirkenden Glas-Beton-Bauten der europäisch-kapitalistischen Gegenwart nebeneinander existieren, drängt sich so ein Anliegen geradezu auf. Die Stadt ist alles andere als fertig gebaut. Vieles wirkt im Fluss, im Übergang. Und schien lange Zeit der Blick nur nach vorn gerichtet, auf einen möglichst schnellen Anschluss an alles, was den Westen so ausmacht und was man sich von ihm verspricht, so bringt diese aus dem Westen kommende Kunstinstitution immerhin eine Lust an der (Wieder-)Entdeckung der eigenen Geschichte in die Stadt.

So ist zumindest für die 100 Manifesta-Tage das alte türkische Bad wieder zugänglich. Viel ist von der einstigen Pracht des im 15. Jahrhundert errichteten Baus nicht mehr zu erkennen. Ein paar Ornamente haben die Nutzung als Lagerraum und auch die gescheiterten Rekonstruktionsversuche in den 2010er Jahren überstanden. In das noch gut erkennbare große Becken platzierte die japanische Künstlerin Chiharu Shiota eine ihrer spektakulären Fadeninstallationen. Eine Vielzahl roter Fäden füllt den Raum. Weiße Blätter sind an den Fäden befestigt. Sie wirken wie Vogelschwärme, die durch die Luft ziehen. Die Blätter sind Briefe von Menschen aus Kosovo. Sie erzählen vor allem von Migrationsgeschichten, von den Schwierigkeiten eines neuen Lebens in London, davon, wie der Fußball in Portugal bei der Bildung neuer Gemeinschaften half. Und sie erzählen auch davon, was einst Gründe für Flucht und Migration waren: Brutale Übergriffe serbischer Polizisten in den 1990er Jahren.

Ungefähr ein Drittel der kosovarischen Bevölkerung lebt im Ausland. Die Diaspora wird auf 700 000 Menschen geschätzt, die Bevölkerung im Land beträgt etwa 1,9 Millionen. Shiotas Fadeninstallation verknüpft die Geschichten der Gehenden, der Bleibenden und der Zurückgekehrten miteinander.

Hauptort der Manifesta ist das Grand Hotel der Stadt. Es befindet sich am südlichen Stadtrand. Ein in den 1970er Jahren gebauter Zeigefinger aus Beton, der in den Himmel ragt. Jetzt wird ein Teil der insgesamt 350 Zimmer weiter als Hotel genutzt. Die Manifesta bespielt den anderen Teil des Gebäudes, den, der entkernt ist. Roher Beton bietet sich den Blicken dar. Die kantigen Strukturen der Schalbretter sind in dem grauen Baumaterial noch gut erkennbar. Dieses Raster wirkt im Kontext der Kunstbiennale wie eine Ansammlung von Bilderrahmen. Das passt perfekt. Und auch manche Kunst integriert sich wunderbar in den rohen Bau. Die US-Künstlerin Jumana Manna etwa kreiert Skulpturen aus Rohren und Verbindungsstücken. Neben ihren Arbeiten sieht man ein paar originale Plastikrohre aus der Wand ragen. Die kosovarische Künstlerin Doruntina Kastrati ließ hingegen rote Ziegelsteine zertrümmern und schuf einen Parcours des Verfalls, der weiterhin typisch ist für das Land.

Für alle der dezidiert politischen Themen der Ausstellung, sei es Migration, Kapital, Spekulation, Wasser oder Ökologie, lassen sich leicht Anknüpfungspunkte im Land finden. Gut ist daher, dass 40 der insgesamt 102 eingeladenen Künstler*innen aus dem Kosovo kommen. Die Einbindung lokaler Künstler*innen sowie der Galerien und Kunstorte in Pristina selbst trug denn auch zur großen Akzeptanz innerhalb der Kunstszene bei.

Kritik gibt es allerdings auch. Denn völlig unklar ist, wie nachhaltig die Interventionen sind. An der Rekonstruktion des Hamams, das jetzt bespielt wurde, scheiterte vor zehn Jahren bereits die schwedische Stiftung Cultural Heritage without borders. Die Ziegelfabrik, die im Rahmen der Manifesta mit einer Sommerschule von der Berliner Initiative raumlabor bespielt wurde, liegt verlassen da. Zwar blühen die frisch gepflanzten Blumen, aber der kleine aufblasbare Swimmingpool, der auch für Anwohner angeschafft wurde, enthält kein Wasser mehr und liegt traurig zusammengesunken im Hof.

»Gebracht hat die Manifesta vor allem etwas für die Farbengeschäfte. Die ganze Stadt ist bunt angemalt, überall sieht man die Schilder der Manifesta«, konstatiert bitter Jeton Neziraj. Der Dramatiker hat die Theater- und Literaturinitiative Qendra Multimedia gegründet. Er erlebt in diesen Monaten, dass die Stadt weniger Projektmittel als zuvor hat. »Sie sagen uns jetzt, dass alles in die Manifesta geflossen ist«, erzählt er »nd«. Auch die Hoffnungen, dass die Manifesta mindestens so viel Geld international einwirbt, wie Stadt und Kulturministerium geben, haben sich nicht erfüllt. Nach Angaben der Manifesta kommen 30 Prozent des 5,1 Millionen Euro-Etats aus internationalen Quellen, das Gros brachten die Gastgeber aus Pristina auf.

Als Erfolg wird die Mammut-Ausstellung dennoch bewertet. »Pristina wurde international wahrgenommen. Und die Bevölkerung hat durch das internationale Interesse auch viele eigene Orte wieder neu wertschätzen gelernt«, erzählte die Kulturjounalistin des kosovarischen Fernsehens, Lumira Kelmendi, »nd«. Wirtschaftliche Effekte indes waren kaum spürbar. Das Reisebüro in der Fußgängerzone hatte auf Anfrage von »nd« im Manifesta-Zeitraum keine gehäuften Anfragen für Reisen nach Pristina. Und auch der Autoverleiher im Erdgeschoss des Grand Hotels, dem Hauptsitz der Manifesta, verzeichnete kein erhöhtes Interesse. Der Einfluss der Kunst auf die Gesellschaft ist dann doch geringer, als es die Kunstmacher wahrhaben wollen.

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