- Sport
- 1. FC Union Berlin
Der Zauberer von Köpenick
Oliver Ruhnert ist maßgeblich für den Erfolg von Union Berlin verantwortlich. Nun erscheint ein Buch über ihn
Auch wenn der 1. FC Union Berlin am 14. Spieltag daheim gegen den FC Augsburg über ein Unentschieden nicht hinauskam, sonnt er sich noch immer im Glanz des 2. Platzes der Fußball-Bundesliga. Augsburg bewies in Berlin Konterstärke, bekanntlich auch eine der Union-Tugenden.
Diesen Sonntag geht es nach Freiburg. Streichs Breisgauer Bengel sind ein ähnlicher Emporkömmling wie der FCU, der stetig am Lack der alten Bundesligahasen kratzt und die Champions League ins Visier genommen hat. Natürlich wehrt man sich offiziell in Berlin wie in Freiburg gegen diese Chance, doch gehören Klappern, Lärmen, Kleinreden und Greinen zum Geschäft und haben nichts mit den wahren Plänen der Bundesligaklubs zu tun. Union spielt nun bereits im dritten Jahr in der 1. Bundesliga und hat während dieser Zeit einen enormen Sprung nach vorn hingelegt. Der Klub ist längst angekommen, hat mit seiner Spielweise unter anderem Dortmund gezeigt, wie unerreichbar hoch die Trauben in Köpenick hängen, wenn ein lustloser Stehgeigertrupp denkt, mal eben die Pünktchen einkaschen zu können. Union hat eine unheimliche Stabilität im Wirken; jeder Spieler weiß, wo er zu stehen hat, und ist bereit zu arbeiten.
Verantwortlich für diese Leistung ist das Fischer-Ruhnert-Kombinat. Cheftrainer Urs Fischer und Geschäftsführer Sport Oliver Ruhnert sind die Paten des Erfolgs. Ruhnert war vor Union lange Leiter der Nachwuchsarbeit auf Schalke und wurde 2017 als Chefscout zu Union geholt. Er lockte ein Jahr darauf Urs Fischer vom FC Zürich zu Union, wobei er bei Union schon seit einiger Zeit auf dem Zettel stand, wie die Köpenicker Lerche flüstert. Ein Jahr später stieg Union erstmals in die Bundesliga auf und die zwei Herren führten Union in den letzten beiden Jahren in den Europapokal, obwohl Union jedes Jahr wichtige Spieler an Großkopfetenklubs abgeben musste. Nach wie vor ist das eine Fußballsensation. Nach wie vor reiben sich die zahlreichen alten und neuen Unionfans täglich beim Blick auf die Tabelle die Augen. Nach wie vor verflucht Hertha BSC den Tag, als die beiden Zauberer das Zepter bei Union übernahmen.
Ja, das Fischer-Ruhnert-Kombinat ist dafür bekannt, Ungewöhnliches zu tun. Fischer ist in seiner Freizeit begeisterter Fliegenfischer. Ruhnert wirkt als Schiedsrichter in der Kreisliga und ist für die Linkspartei im Stadtrat von Iserlohn aktiv. Besonders die Lokalpolitik ist für einen Fußballmanager ein ungewöhnliches Hobby, zumal wenn dieser sein Herz im Sauerland an die Linkspartei verloren hat.
Ruhnert hat sich letzte Woche unter aktiver Mithilfe von Helge Meves mit der Veröffentlichung des Buches »Das Geheimnis seines Erfolgs. Vom Sauerland über Schalke zu Union« zu Wort gemeldet, um dem interessierten Lesepublikum den Kometen Ruhnert zu deuten. Ist der Titel auch ein wenig Marke Merkwürden, fächert uns das Buch ganz nice den Weg vom kleinen Olli als mäßig talentierter Fußballer zum erfolgreichen Geschäftsführer Sport bei Union auf. Bis dahin war es ein Stückchen Weg, der dank einiger komischer Zufälle und sehr viel Fußballliebe als glücklich bezeichnet werden kann.
Die geheime Ruhnert-Story wird gestützt durch Interviews einstiger und aktueller Weggefährt*innen, von denen man die Hälfte hätte weglassen können, weil sie sich in ihren Aussagen häufig wiederholen. Warum Sahra Wagenknecht zum Beispiel mit einem außergewöhnlich bescheuerten Zitat vorkommt (»Im Sport kommt man durch Kungeleien oder Gefälligkeiten nicht so gut durch wie in der Politik vielleicht«), bleibt zunächst geheim, kann aber am 15. November zur Buchpremiere hinterfragt werden.
Ruhnert selbst streut alle paar Absätze immer wieder kurze Episoden seines Werdegangs ein, die leider etwas kurz geraten sind. Das halb schmale Buch leistet trotzdem einen wertvollen ersten Schritt zur Oliver-Ruhnert-Forschung, das gilt es zu würdigen.
Leider müssen alle Unioner*innen wegen der Weltmeisterschaft im zu Recht ungeliebten Katar bis zum 21. Januar 2023 auf das übernächste Union-Spiel warten. Dann kickt die Elf daheim gegen Hoffenheim und wird mit Glück und Geschick am Saisonende mindestens im Mittelfeld der Tabelle landen. Zuletzt wackelte der Klub ein wenig, dem sollte man aber wegen der Dreifachbelastung durch Europapokal, DFB-Pokal und Bundesliga mit Nachsicht begegnen.
Union ist dem Bundesliga-Babyalter entwachsen und kann durchaus Zähne zeigen. Wo der Weg langfristig hinführt, hängt auch vom weiteren Wirken des Fischer-Ruhnert-Kombinats ab. Zwar hat Trainer Fischer zuletzt einen neuen Vertrag unterschrieben. Doch was sind Verträge im Bundesligazirkus wert? Auch nach dieser Saison wird Union wieder die besten Spieler verlieren. Vielleicht ist das die besondere Herausforderung für Fischer und Ruhnert, es im nächsten Jahr wieder der Konkurrenz zu zeigen, was die beiden für pfiffige Bürschchen sind?
Die Fans können zur Weihnachtszeit im Stadion An der Alten Försterei die jüngsten Großtaten besingen. Das beim Unioner*innenvolk beliebte Weihnachtssingen fordert seinen Tribut.
Oliver Ruhnert: Das Geheimnis seines Erfolgs. Vom Sauerland über Schalke zu Union. Verlag Neues Leben, 192 S., geb., mit Fotos, 20 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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