Berliner Zustände

Adel H. steht vor Gericht, weil er einen Neonazi verletzt haben soll. Seine Unterstützer werfen den Behörden Rassismus vor

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 6 Min.
Hass und Hetze: Rund 200 Neonazis versammelten sich am 20. März 2021 in Berlins Mitte.
Hass und Hetze: Rund 200 Neonazis versammelten sich am 20. März 2021 in Berlins Mitte.

Wie geht man mit Anfang 30 damit um, eventuell für mehrere Jahre in Haft zu kommen und immer wieder vor Gericht erscheinen zu müssen? »Natürlich belastet ihn das«, sagt Mayra Polat über Adel H., einen Antifaschisten in Berlin, der sich seit einem Jahr vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten muss. Angeklagt ist Adel H. wegen schwerer Körperverletzung und Landfriedensbruch, mögliches Strafmaß: zwei bis drei Jahre Haft. Polat ist Sprecherin der Kampagne »Free Adel – Free All Antifascists«. Sie sagt: »Wenn man sieht, was für Leute in dem Verfahren als Geschädigte auftreten, weiß man, warum man sich für Antifaschismus einsetzt.«

Doch der Reihe nach: Am 20. März 2021 sind viele Menschen bereits gegen Covid-19 erstgeimpft, langsam werden die Einschränkungen im öffentlichen Leben gelockert. Trotzdem mobilisieren an diesem Tag zahlreiche rechtsextreme Gruppen aus ganz Deutschland nach Berlin, um unter dem Motto »Frieden, Freiheit, Souveränität« in Tiergarten zu demonstrieren. Sogar die Mehrheit der sogenannten Querdenker*innen distanziert sich von dem Aufruf, da diese »vollkommen schwachsinnige Aktion« der eigenen Sache nur schaden würde, wie es in einem Telegram-Video heißt. Man brauche sich nicht zu wundern, mit Nazis in einen Topf geworfen zu werden, wenn man auf so eine Demonstration gehe, schreiben Querdenker*innen im Chat.

Unter den Teilnehmer*innen sind rechtsextreme Hooligans, die Gruppe »Freie Sachsen«, der NPD-Funktionäre vorsitzen, und auch der 25-jährige Paul H. aus Gießen. Er ist bekannt in der hessischen Neonazi-Szene, für den Tag hat er sich ein T-Shirt der Rechtsrock-Band »Erschießungskommando« angezogen, darüber eine Thor-Steinar-Jacke – im März ist es noch frisch. In der Hand hält er eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge.

Zum Gegenprotest ruft die SPD Friedrichshain-Kreuzberg auf, auch eine Gegendemonstration antifaschistischer Initiativen ist angemeldet. Am Nachmittag kommt es dann zu Zusammenstößen zwischen den Protestzügen. Die Gruppe um Paul H. trifft auf Antifaschist*innen, es kommt zu einer körperlichen Auseinandersetzung, der Neonazi wird im Gesicht verletzt. Kurz darauf greifen Zivilpolizisten ein und nehmen die vermeintlichen Täter*innen fest. Unter ihnen ist auch der Berliner Adel H.

Über Nacht muss er in Gewahrsam bleiben, wird währenddessen mehrmals rassistisch beleidigt, etwa als »Kanacken-Zecke« oder »Schwarzkopf«. Am nächsten Tag entscheidet die Haftrichterin, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen, da Fluchtgefahr bestehe. Begründet wird die Maßnahme mit der Herkunft seiner Eltern aus Algerien. Dass Adel H. einen Job und ein stabiles Umfeld in Berlin hat, spielt keine Rolle. Erst zwei Wochen später kommt er gegen eine Kaution von 5000 Euro frei, muss sich jedoch regelmäßig bei der Polizei melden.

»Insbesondere migrantisch gelesene Männer werden diffus als Gefahr konstruiert«, sagt Svenja Keitzel zu »nd«. Sie ist Promovendin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Polizei, Politik, Polis«. »Dieses Bild ist als rassistischer Wissensbestand in der Polizei tradiert. Und das, obwohl es keinen bewiesenen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Staatsbürgerschaft oder Migrationsgeschichte gibt.«

Keitzel kommt in ihrer Forschung zu dem Ergebnis, dass die Polizei ihr Auftreten entsprechend anpasse, wenn die verdächtigte Person als besondere Gefahr oder kriminell konstruiert werde. »Es zeichnet sich durch besondere Autorität oder eben auch Einschüchterungsversuche aus. Dieses Auftreten ist nach außen, also in der Öffentlichkeit, wirkmächtig, da damit vermittelt wird, dass die Person besonders gefährlich sei.« Dadurch werde das Bild des »kriminellen Migranten« reproduziert.

»Der strukturelle Rassismus und die Migrant*innenfeindlichkeit, besonders gegen die, die sich politisch engagieren, findet seit Jahrzehnten in den Berliner Ermittlungsbehörden systematisch statt, und wir fordern ein Ende dieser Zustände«, ist eines der ersten Statements, das die Kampagne »Free Adel – Free All Antifascists« veröffentlicht. Es sind Adel H. und sein Unterstützer*innenkreis, die sich nach seiner Verhaftung entscheiden, ein internationales Netzwerk für Antifaschist*innen aufzubauen, nicht nur für ihn, sondern auch für andere von staatlicher Repression betroffene Linke.

»Wir wollen weltweit die Kämpfe miteinander verbinden, schon allein deshalb ist unsere Kampagne dreisprachig. Dadurch möchten wir strömungsübergreifend die antifaschistische Bewegung stärken«, sagt Kampagnensprecherin Mayra Polat zu »nd«. Bisher beschränken sich die Aktivitäten vor allem auf die sozialen Medien, in denen die Kampagne über den Prozess gegen Adel H. und auch über Kita berichtet, eine Antifaschistin, die in Belarus inhaftiert ist.

Die Berichte über den Prozess gegen Adel H. irritieren. Als Zeugen treten die damals eingesetzten Zivilpolizisten auf. Mal ist dabei die Rede von einem Stock, mit dem Paul H. im Gesicht verletzt worden sei, mal von einer Flasche, mal von der Faust. Konkrete Beweise gibt es nicht, ein Polizist meint jedoch, den »Phänotyp Südländer« erkannt zu haben – von hinten und trotz gleichzeitiger Vermummung des Täters. Auch der Geschädigte selbst tritt als Nebenkläger auf – und lässt sich prominent vertreten.

»Mein erster Gedanke, als ich gehört habe, welche Anwälte da in der Nebenklage sitzen, waren Verachtung und Ekel«, sagt Mayra Polat. Es handelt sich um Nicole Schneiders und Wolfram Nahrath. Schneiders war Strafverteidigerin von Ralf Wohlleben im NSU-Prozess, in dem dieser wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde. Anfang der 2000er Jahre vertrat Schneiders außerdem Wohlleben als NPD-Vorsitzende in Jena, sie hat Kontakt zu freien Kameradschaften und wird vom baden-württembergischen Verfassungsschutz der neonazistischen Szene zugerechnet.

Um sich den weiten Anfahrtsweg zu ersparen, wurde Schneiders in der letzten Sitzung von Wolfram Nahrath vertreten, dessen Kanzlei sich in Weißensee befindet. Bis zu ihrem Verbot 1994 war Nahrath – wie zuvor schon sein Vater – Vorsitzender der Wiking-Jugend, anschließend agierte er als NPD-Kader. Und auch er vertrat Wohlleben. In seiner Verteidigungsrede zitierte er Adolf Hitler, Rudolf Heß und Joseph Goebbels, wie der Bayerische Rundfunk berichtete.

Mayra Polat kritisiert, dass diese Nebenklage zugelassen wurde. »Selbst in so einem banalen Prozess sind die Behörden eher hinterher, einem Rechten zu seinem Recht zu verhelfen, als sie das bei Opfern von rechtsextremer oder rassistischer Gewalt wären.« Ohnehin hätte die Nebenklage schon einen Gewinn erzielt. »Sie sind an Informationen gekommen, über Adel und auch über linke Strukturen. Ich finde, das ist ein Skandal, denn man weiß, dass Wolfram Narath Menschen kennt, die Todeslisten gegen Antifaschist*innen führen«, sagt Polat. Auch eine Schmerzensgeldforderung habe der Geschädigte gestellt. »Sie wollen auf eine Verurteilung, einen finanziellen Ruin und auf Informationsbeschaffung hinaus«, ist sich Polat sicher.

In Anspielung auf die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die während der Verhandlungen getroffen wurden – die intensive Durchsuchung des Angeklagten und der Prozessbeochbachter*innen –, trug Adel H. am ersten Verhandlungstag ein T-Shirt mit der Aufschrift »Wir haben keine Waffen – dafür aber ein Gewissen«. »Das Gericht macht sich einfach lächerlich, Adel als den kriminellen, antifaschistischen Migranten darzustellen, während ein gewaltbereiter Neonazi ohne Probleme zur Verhandlung erscheinen kann«, sagt Polat. Wahrscheinlich werde Adel H. das T-Shirt bald wieder anziehen – beim nächsten Verhandlungstermin am 14. November.

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