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Fit für die Apokalypse
Mit Kapitalismus ist das Klima nicht zu retten – jeder weiß es, aber kaum einer sagt es
In der aktuellen Wirtschaftsform ist die Klimakatastrophe nicht aufzuhalten, ja nicht einmal zu bremsen. Diese Wahrheit ist allen Regierenden, allen Wirtschaftsverantwortlichen offenkundig; nur aussprechen wollen es die Wenigsten. Zu rufschädigend wäre der eingestandene Kontrollverlust, den kein Milliardenvermögen, kein Megakonzern beheben kann. Die schlimmsten Szenarien der Klimaforschenden sind zur Zeit die wahrscheinlichsten — wer der Wissenschaft nicht glaubt, frage den Rückversicherer seines Vertrauens. Die wenigen Anstrengungen, die zum Schutz der Ökosphäre unternommen werden, gleichen einem Tropfen in den Ätna.
Weite Teile der Erdoberfläche werden noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts nicht mehr bewohnbar sein. Es ist dann egal, ob in irgendeinem Milliardärsbunker noch ein van Gogh hängt: Die Zivilisation, wie wir sie kennen, wird unter diesen Bedingungen nicht weiter bestehen. Nur eine konsequente Deindustrialisierung, der Verzicht auf zahllose zur Gewohnheit gewordenen Annehmlichkeiten könnte eine weitere Verschlimmerung der Lage dämpfen – sie aber auf keinen Fall verbessern. Es wird lange dauern, den bereits eingetretenen Schaden auf natürliche Weise zu heilen.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.
Diese Wahrheiten erscheinen surreal, angesichts des ungeheuren Wohlstands und der scheinbaren Machtfülle der derzeitigen Gesellschaft – die aber vor immer neuen Sturmkatastrophen und Gletscherschmelzen dahinschwinden wird. Während die Nachrichtenportale schnappatmen wegen der neuesten Streiche der Letzten Generation, zieht die UN-Klimakonferenz in Ägypten medial weniger beachtet am Weltgeschehen vorbei. Der UN-Generalsekretär schlägt schärfste Töne an, spricht von einem kollektiven Selbstmordpakt, den die Menschheit einzugehen drohe – es ist manchen Medien kaum eine Randnotiz wert. Bei Springer wird stattdessen unverhohlen die Frage verhandelt, wie legitim Gewalt gegen jene ist, die sich an Straßen festkleben – vielleicht hat man den mit Krokodilstränen getränkten Nachruf schon in der Schublade, für das erste Opfer eines von »Welt« und »Bild« aufgehetzten Autofahrers, der den nächsten Klimaprotest einfach überfährt.
Die Klimakonferenz hat sich inhaltlich schon aufgegeben, bevor sie ihren Schlussbericht verfasst hat. Nur noch wenige Punkte befassen sich überhaupt mit dem Aufhalten des Klimawandels. Viel geht es stattdessen um »Mitigation«, um die Eindämmung der Folgen, um Architektur, Be- und Entwässerung. Der Städtebau macht sich fit für die Apokalypse. Viel geht es auch um Ausgleichszahlungen: Kurz vorm Weltuntergang werden noch ein paar Schecks hin- und hergehen, das Inferno muss auf jeden Fall korrekt verbucht werden.
Ein paar große Firmen, die seit den 70ern über den Klimawandel Bescheid wissen, werden ihre schön designten Nachhaltigkeitsberichte in die Kamera halten – um bald wieder Autos zu präsentieren, die sogar in Sturmfluten vorankommen. Greta Thunberg ist gar nicht erst nach Scharm El-Scheikh gekommen, viele Teilnehmende aus afrikanischen Ländern, die die Folgen des Kollapses als erste abkriegen werden, konnten sich nicht akkreditieren. Ein rührend hilfloser, sympathisch-dilettantischer Wohltätigkeitsball, der aus jeder Pore die Abhängigkeit von einem System atmet, das es doch abzuschaffen gälte.
Die Konsequenzen, die aus dem Klimawandel zu ziehen wären, sind uns so unangenehm, dass wir eher die Welt untergehen lassen würden, als dass wir uns ihnen stellten. Und die Wut auf die eigene Hilflosigkeit wird auf jene gerichtet, die auf sie hinweisen.
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