Alles perdu oder aufgekündigt

Klaus Eichner über den Kampf der USA um eine neue Weltordnung

  • Jutta Grieser
  • Lesedauer: 6 Min.
Faust geballt – eine fatale Strategie in der internationalen Politik
Faust geballt – eine fatale Strategie in der internationalen Politik

Das Cover springt ins Auge und ist ein »Eyecatcher«, wie es auf Neudeutsch heißt: Eine Abrissbirne schwingt über Titelblatt und Titelzeile. Und da dieses Abbruchwerkzeug Stars and Stripes trägt, ist alles gesagt. Seit den 90er Jahren wird zerstört und niedergerissen, was die Diplomatie im Kalten Krieg mühsam, aber erfolgreich aufgebaut hatte. Internationale Abkommen und Sicherheitssysteme, Organisationen und Beziehungsgeflechte: perdu oder aufgekündigt. Die übrig gebliebene Supermacht – bis dahin von der anderen in jene Schranken gewiesen, die mit der Sowjetunion verschwanden – begann die Welt nach ihrem Gusto umzugestalten.

Diese Ambitionen der USA überraschten Klaus Eichner nicht. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges hatte der seinerzeitige US-Präsident Woodrow Wilson 14 Prinzipien formuliert. Darin plädierte er »für die Ausbreitung des Kapitalismus (um den bis dato vorherrschenden amerikanischen Isolationismus zu überwinden) und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker – aber reklamierte zugleich für die USA das Recht, Demokratien in fremden Nationen zu ›lenken‹ oder zu ›formen‹«, so Eichner. Wilsons »Forderung nach freier Schifffahrt auf allen Meeren, die Betonung der offenen Diplomatie, die Ablehnung von Geheimverträgen und die Schaffung kollektiver Sicherheit waren letztlich nur die liberale Umhüllung für die Durchsetzung amerikanischer Interessen«. Im Kern, so meint Eichner weiter, war das die Geburtsurkunde von »America First«. Und obgleich Wilsons Programm von 1918 vom US-Senat nie angenommen worden war, handeln ausnahmslos alle US-Präsidenten und US-Administrationen bis heute danach.

Ganz im Wilson’schen Geiste wurden militärische Interventionen auch moralisch begründet: Die USA seien aufgrund ihrer ökonomischen und politischen Potenz der einzige Garant der internationalen Ordnung, weshalb sie auch über dieser Ordnung stehen und sie folglich auch diktieren müssen, statt sich ihr zu unterwerfen. Die westlichen universellen Werte wie Demokratie, Freiheit, freie Marktwirtschaft und Menschenrechte würden von keinem Staat so gelebt werden wie von den USA. Das legitimiere »einen ›hegemonialen Internationalismus‹ – die USA führen die internationale Ordnung und sind zugleich strategisch unabhängig: Sie greifen dort aktiv ein, wo allein sie es für nötig erachten«, schreibt Eichner. Und er belegt auf wenigen, aber gehaltvollen Seiten sehr konzentriert mit Beispielen, wie anmaßend und gefährlich diese Weltsicht ist. Denn sie führt zu Konflikten, Krisen und Kriegen. Eichner listet diese auf.

Der Kampf der USA um eine neue, von ihr bestimmte Weltordnung wird entgegen der täglichen Propaganda nicht um »Freedom and Democracy«, um Menschenrechte und Beglückung aller Erdenbürger geführt, sondern ausschließlich um Ressourcen und Märkte. Er speist sich aus der Angst vor dem Verzicht. Die USA wollen sich nicht ein- und beschränken müssen. Es soll alles so weiterlaufen wie gewohnt und nach Möglichkeit noch besser. So simpel ist diese »wertebasierte« Politik.

»Vorstellungen von einer multipolaren Welt, von gleichberechtigten Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern, von einem friedlichen Wettbewerb hatten und haben in dieser Politik keinen Platz. Es geht allein um die Durchsetzung nationaler Interessen«, so Eichner. Politiker aus den USA reisen zum Beispiel nicht nach Taiwan, um Taipeh moralisch den Rücken gegen Peking zu stärken. Man will die dort ansässige Chip-Produktion ins eigene Land holen, um damit den wichtigsten Konkurrenten, die Volksrepublik China, ökonomisch zu treffen: Schließlich gehen 60 Prozent der vom wichtigsten Halbleiterproduzenten der Welt hergestellten Microchips aufs chinesische Festland. Und: In den letzten 30 Jahren hat Taiwan »193 Milliarden US-Dollar auf dem Festland investiert, deutlich mehr als Deutschland, das fast mehr als dreimal so viele Einwohner zählt«, bemerkte die »Neue Zürcher Zeitung« am 9. August 2022. Nachdem also Russland mit Sanktionen und Ukraine-Krieg als Konkurrent so gut wie ausgeschaltet ist, konzentrieren sich die USA auf die Konfrontation mit der Nummer 2 in der Welt. Und ihre Vasallen machen treudoof mit, reisen ebenfalls nach Taiwan und ketten sich objektiv noch fester an ihre vermeintliche Führungsmacht …

Klaus Eichner kennt die Materie, über die er urteilt. Er war länger als anderthalb Jahrzehnte, bis zum Ende der DDR, Chefanalytiker für US-Geheimdienste in der Hauptverwaltung Aufklärung der Staatssicherheit. Auch danach hat er dieses Thema weiter verfolgt, wovon nicht wenige sachkundige Publikationen zeugen. Etwa ein Buch über die Nachrichtendienste der USA, nachdem Edward Snowden, Julian Assange und andere Whistleblower offenbart hatten, dass selbst die Regierungschefs verbündeter Staaten von den USA systematisch bespitzelt werden. An der Vorstellung seines Buches »Imperium ohne Rätsel. Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste« in der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin nahm auch der Grünen-Politiker Christian Ströbele teil, der danach den Gedankenaustausch mit Eichner suchte.

Manch rückwärtsgewandter Kommentator glaubt, Eichners jüngste Arbeit mit dem Hinweis auf dessen Herkunft entwerten zu können. »Autor und Verlag haben sich gesucht und gefunden (sie mussten aber sicher nicht lange suchen): Der ehemalige Stasi-Mitarbeiter und der Verlag ›edition ost‹ in der ›Eulenspiegel Verlagsgruppe‹ – sozusagen die literarische Trauergemeinde am Grab der DDR«, hieß es in einer »Kundenrezension« auf Amazon. Den Grund der beabsichtigten Schmähung nannte der Sozial- und Politikwissenschaftler Frank Lukaszewski von der Uni Duisburg auf www.rezensionen.ch, einer Schweizer Plattform: Der Inhalt des Buches gilt in den »meinungsmonopolistischen Diskursen« als unpassend und der Autor – weil einst beim MfS tätig – als »ganz böse«. »Zu seinen primären Aufgaben gehörte die analytische Aufklärung sowie Aufarbeitung der Tätigkeiten der diversen US-Geheimdienste, die gerne unter dem Oberbegriff der CIA gefasst werden. Noch böser!«

Also: Wenn zwei plus zwei vier ist, woran niemand zweifelt, ist es dennoch falsch, wenn dies ein ehemaliger Mitarbeiter des MfS konstatiert. Auf diesem Niveau bewegt sich die Auseinandersetzung mit der Politik der USA inzwischen. Wer sich nicht bedingungslos zu den USA und deren Politik bekennt, ist deren Feind und gehört an den Pranger der Atlantiker oder in die rechte Ecke. Zweifellos befinden sich unter den Kritikern Washingtons auch viele Rechte, die wahrlich keine Verbündeten in der zwingend nötigen Auseinandersetzung mit den USA sind. Allerdings gilt auch hier das Prinzip: Zwei plus zwei bleibt trotzdem vier – selbst wenn es die AfD sagt.

Klaus Eichners Buch ist eine sehr notwendige Analyse der ideologischen Wurzeln der aggressiven US-Politik, die nicht nur die Welt an den Rand des Abgrunds geführt hat. Sie zerreißt auch die Gesellschaft in den USA. Den Menschen dort bleibt offenbar nur die Wahl zwischen Irrsinn und Selbstüberschätzung. Für Eichner, den Marxisten und historischen Optimisten, heißt das: Wir müssen einer »Pax Americana« entgegenwirken und uns aus den selbstmörderischen Produktionsverhältnissen befreien. Der Systemwechsel ist nötig, wenngleich derzeit anscheinend unmöglich. Er darf aber nicht in die Zukunft verschoben werden. Wir können »nicht mehr auf die Enkel setzen, die es besser ausfechten sollen. Denn wenn wir nicht jetzt und konsequent handeln, wird es keine Enkel mehr geben! Nur noch Scherben.« So der letzte Absatz in Eichners Buch. Und auch dies ist wahr – wie die anderen voranstehenden Feststellungen auch. Obwohl der Autor einst Oberst der Staatssicherheit war. Vielleicht sogar deshalb.

Klaus Eichner: Bis alles in Scherben fällt. Der Kampf der USA um eine neue Weltordnung. Edition Ost, 130 S., br., 15 €.

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