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- Fußball-WM in Katar
Pfiff mit Symbolwirkung
Im patriarchalischen Katar kommen erstmals Schiedsrichterinnen bei einer Weltmeisterschaft der Männer zum Einsatz
Wer erinnert sich nicht an Mimik und Gestik von Pierluigi Collina? Eine Autorität, die auf dem Platz keinen Widerspruch duldete. Der Italiener wurde bei früheren Weltmeisterschaften zur Kultfigur. Seine glänzende Glatze, die er wegen einer Autoimmunerkrankung schon in jungen Jahren bekam, wurde zum Markenzeichen. Einer, der die Machowelt des Fußballs beherrschte, aber auch vermehrt Frauen zum Zuge kommen lässt.
Drei Schiedsrichterinnen, dazu drei Assistentinnen befinden sich unter 129 Spieloffiziellen, die dem Vorsitzenden der Fifa-Schiedsrichterkommission bei der WM in Katar unterstehen. »Sechs offizielle Schiedsrichterinnen: Das ist etwas Neues, was Aufmerksamkeit erregt. Diese Frauen sind nicht hier, weil sie Frauen sind, sondern weil sie Leistung bringen«, betonte Collina auf der Pressekonferenz in Doha mit gewohnt strengem Tonfall.
Ihr Einsatz mit Symbolwirkung in einem streng muslimischen Land, in dem die Frauen von Gleichberechtigung weit entfernt und schon im Straßenbild auffällig unterrepräsentiert sind, wäre nicht zu verachten. Wer wird die erste Frau, nach deren Pfeife bei einem WM-Spiel erstmals 22 Männer tanzen? Für den Part kommen Stephanie Frappart aus Frankreich, Salima Mukansanga aus Ruanda und Yoshimi Yamashita in Japan infrage.
Ob dieses Trio zu wenig sei? Collina konterte mit einer Gegenfrage: »Warum sind es drei und warum nicht 20? Wenn wir 20 nominieren würden, wäre die nächste Frage, warum es nicht 30 sind. Es gibt keine feste Anzahl.« Auf die Frage, ob es Einschränkungen beim Einsatz für die Frauen bei Spielen von Ländern wie Saudi-Arabien geben könne, sagte der 62-Jährige: »Neutralität ist das einzige Gebot: Sie sind bereit, jedes Spiel zu leiten.« Den Worten sollten im Emirat auch Taten folgen. Über die Ansetzungen wird immer erst kurzfristig entschieden.
Bei der EM vergangenen Sommer kam die mittlerweile auch in der Champions League eingesetzte Topschiedsrichterin Frappart nur als vierte Offizielle und Ersatzassistentin zum Zuge. Das war nicht sehr mutig von der Uefa. Heute sagt die 38-Jährige: »Ich bin nicht groß. Ich bin nicht so stark wie einige meiner männlichen Kollegen. Aber ich werde mir dennoch in jedem Fall Gehör verschaffen.«
Einziger deutscher Schiedsrichter ist Daniel Siebert aus Berlin, der schon bei der zurückliegenden EM im Einsatz war, obwohl auch der 38-Jährige in der Bundesliga schon etliche diskussionswürdige Entscheidungen traf. Mit ihm sind die Assistenten Rafael Foltyn und Jan Seidel sowie als Videoassistenten (VAR) Bastian Dankert und Marco Fritz nominiert.
In Katar bekommen sie eine Neuerung an die Hand, die mit Johannes Holzmüller ein Deutscher als Direktor Technologie und Innovation in jahrelanger Detailarbeit entwickelt hat: eine halb automatische Abseitserkennung, die die Arbeit im VAR-Kontrollraum deutlich beschleunigt. Bei der WM in Russland hatte die Klärung heikler Fälle noch 70 Sekunden im Schnitt gedauert, jetzt soll es mithilfe der ausgeklügelten Technologie – ein Tracking-System mit einem besonderen Ball und zwölf Kameras – nicht einmal 25 Sekunden dauern. »Es wird weniger lange dauern als vorher«, versprach Collina, der aber klarstellte, dass die letzte Entscheidung immer beim Menschen liege. Danach wird eine erklärende Animation für alle Zuschauer im Stadion und am Fernsehschirm zu sehen sein.
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