Kiezgewerbe gegen Bio-Unternehmer

Erweiterung eines Wochenmarkts lässt neuen Streit über Markthalle Neun in Kreuzberg entbrennen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Betreiber der Markthalle Neun wollen ihr Angebot um weitere Marktstände auf der Eisenbahnstraße erweitern.
Die Betreiber der Markthalle Neun wollen ihr Angebot um weitere Marktstände auf der Eisenbahnstraße erweitern.

Halima Nazary betreibt eine kleine Änderungsschneiderei. Immer wieder kommen Kunden in ihren Laden in der Kreuzberger Eisenbahnstraße. Eine will ihr Kleid abholen, der nächste seine Anzüge anpassen lassen. Aber im Vergleich zum geschäftigen Treiben in der Markthalle Neun auf der gegenüberliegenden Straßenseite geht es hier am Samstag ruhig zu. Nur innerlich brodelt etwas bei Nazary. »Ich habe Angst, dass es die Markthalle wieder schafft. Das Bezirksamt ist taub und blind. Die wollen uns das Leben zur Hölle machen«, sagt die 58-Jährige.

Mit dem innerlichen Brodeln ist sie hier nicht allein. Seitdem im Oktober die Pläne der Markthallenbetreiber bekannt wurden, den am Samstag auf der Eisenbahnstraße stattfindenden Wochenmarkt zu erweitern, schlagen die Wogen hoch. Gewerbetreibende und Anwohner schließen sich zusammen, Unterschriften werden gesammelt, lange Mails verschickt, teilweise Vorwürfe in den Raum gestellt, die wieder zurückgenommen werden, andere bekräftigt. Eigentlich klingt der Anlass für den Ärger klein. Die Markthalle, in der auch hochpreisige Lebensmittel angeboten werden, betreibt samstags zwei Marktstände auf der Eisenbahnstraße. Künftig sollen vier dazukommen. Doch vielen geht es hier um mehr. Um die vermeintliche Dominanz, die die Markthalle im Kiez erlangt habe, um vermeintliche Alleingänge des Bezirksamtes – und nicht zuletzt um alte, nicht befriedete Konflikte.

2011 wurde die Markthalle vom Land an ein Unternehmer-Trio verkauft für etwas über eine Million Euro. Ein höheres Angebot unterlag, weil das Konzept der Markthalle Neun mit einem kleinteiligen Lebensmittelangebot am Standort und der Sanierung der historischen Markthalle überzeugte. Wie im Kaufvertrag vorgesehen, sollten die bis dahin ansässigen Discounter aus dem Gebäude ausziehen. Ab 2019 eskalierte dann der Streit um eine Aldi-Filiale. Es hatte durchaus etwas Skurriles, wie damals für einen privaten Lebensmittelriesen demonstriert wurde. Es war letztlich auch ein Stellvertreterkampf gegen das Verschwinden einer preisgünstigen Nahversorgung. Dass der nächste Discounter nur eine Straße weiter liegt, spielte keine Rolle. Denn es ging vor allem gegen die Betreiber und das Konzept der Markthalle an sich.

Das Bündnis aus Gewerbetreibenden und Anwohnern, das nun gegen die Stände der Markthalle in der Eisenbahnstraße aufbegehrt, betont, unabhängig von der damaligen Initiative zu agieren. Die zusätzlichen Marktstände vor ihren Geschäften, die zum Teil mit dem Rücken zu den Fensterfronten stehen sollen, würden ihnen die Kundschaft wegnehmen. Man störe sich auch daran, dass die Straße im Zuge der Markterweiterung für Autos gesperrt werden soll. Viele hier wollen nicht, dass die Markthalle weiter zu einem über den Kiez hinaus und auch bei Touristen attraktiven »Pilgerort« werde, der »Krach und Dreck« bringen würde.

Nikolaus Driessen ist einer der drei Betreiber der Markthalle Neun. Er ist sich sicher, dass auch das Geschäft der Läden vor Ort durch eine Erweiterung der Marktstände in der Eisenbahnstraße besser laufen wird. »Der befürchtete Umsatzrückgang ist nicht berechtigt und stadtweit erhöhen Märkte auf Straßen die Umsätze anliegender Gewerbetreibender«, sagt er. Über die Sichtachsen und die konkrete Ausgestaltung des Wochenmarkts will man sich mit den Betreibern der Geschäfte abstimmen. Auch die vor Ort kolportierte weitere Ausdehnung der Markthallenstände bis zum Lausitzer Platz sei »derzeit nicht geplant«.

Dass überhaupt die Marktstände erweitert werden sollen, begründet Driessen zum einen mit der Verkehrssituation und den zugeparkten Eingängen zur Halle. Zum anderen mit der – aus seiner Perspektive – Erfolgsgeschichte der Markthalle. 29 Betriebe hätten sich seit dem Kauf angesiedelt. »Wie erhofft wird der Platz in der Halle also jetzt vor allem am – für die AnbieterInnen besonders wichtigen – Samstag knapp.« Der Straßenmarkt auf der Eisenbahnstraße sei Teil des Konzepts gewesen, mit dem sich die jetzigen Betreiber um die Halle beworben hatten. Er sei so auch im Kaufvertrag enthalten.

Auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg begründet den wöchentlichen Marktstand mit dem Kaufvertrag. »Bestandteil des Nutzungskonzeptes als Anlage zum Kaufvertrag ist zudem eine sukzessive Erweiterung dieser Flächen«, sagte die für Verkehr zuständige Bezirksstadträtin Annika Gerold (Grüne) im Oktober in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg. Der Kaufvertrag liegt »nd« vor. Möglicherweise ist das »nd« vorliegende Dokument unvollständig. Denn obwohl der wöchentliche Straßenmarkt in diesem enthalten ist und sich in den Anlagen beispielsweise auch der geplante Auszug des Aldi findet, ist die sukzessive Erweiterung der Flächen des Straßenmarktes zumindest in der dieser Zeitung vorliegenden Version nicht zu finden.

Auch wenn die Erweiterung in einer Anlage des Kaufvertrags enthalten ist, wie der Bezirk sagt, sei das unerheblich, heißt es von den Linken im Bezirk. Es sei »eine völlig sinnfreie Argumentation, sich auf diesen Vertrag zu berufen bei der Frage des Straßenmarktes«, sagt der Jurist und Bezirksverordnete Moheb Shafaqyar. Zwar sei die Großmarkt GmbH, der damalige Verkäufer, ein landeseigenes Unternehmen gewesen, doch daraus erwachsene »keinerlei Verpflichtung für Land oder Bezirk, da es eine eigene Körperschaft ist«.

Das Bezirksamt selbst reagiert ausweichend auf die Frage, ob sich eine Verpflichtung für den Bezirk aus dem Vertrag ergibt. »Der Bezirk prüft unabhängig von der Vertragslage die üblichen Kriterien für eine Sondernutzungsgenehmigung«, heißt es. Das sei beispielsweise, ob die Sondernutzung, mit der die Marktstände im Straßenland genehmigt werden sollen, aus »verkehrsrechtlichen Gründen versagt werden könnte«.

Lediglich die verkehrliche Situation sei auch Gegenstand einer Befragung der ansässigen Gewerbetreibenden gewesen. Diese hatte für einige Aufregung gesorgt, weil Gerold angab, dass »eine positive Rückmeldung, zwölf neutrale Rückmeldungen und eine negative Rückmeldung« von Gewerbetreibenden aus der Eisenbahnstraße vorliegen würden. Obwohl sich zahlreiche Gewerbetreibende vor Ort gegen die Erweiterung des Straßenmarkts aussprechen. Auf Nachfrage verweist das Bezirksamt darauf, dass es sich hierbei nicht um eine Abfrage der persönlichen Meinung gehandelt habe, die Befragung lediglich hinsichtlich der verkehrlichen Fragen stattgefunden habe. Wie Stadträtin Gerold im Oktober in der BVV-Sitzung sagte, sollen die Gewerbetreibenden eben nur, soweit erforderlich, in das Verfahren einbezogen werden.

Gaby Gottwald, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV, stört sich am Alleingang des Bezirksamtes. »Es ist nicht das erste Mal, dass das Bezirksamt Nägel mit Köpfen macht, ohne dass diejenigen, die von der Entscheidung betroffen sind, beteiligt werden.« Vor der Sommerpause kam es schon einmal zum Knatsch im Bezirk, als die BVV ein Pilotprojekt für einen weitgehend parkplatzfreien Graefekiez beschloss. Wie FDP und CDU kritisierte auch Die Linke unter anderem, dass die Anwohner in den umliegenden Nachbarschaften, die dann mit Ausweichverkehr konfrontiert wären, nicht ausreichend befragt wurden.

In der Eisenbahnstraße geht es aber nicht nur um eine Verkehrsberuhigung. Wie die Initiative, die sich gegen die Erweiterung des Straßenmarkts gegründet hat, kritisiert auch Gottwald die Dominanz, die die Betreiber der Markthalle mittlerweile im Kiez hätten. »Statt sich in den Kiez einzufügen, wie anfangs gesagt wurde, dominiert die Markthalle die Eisenbahnstraße. Und das soll jetzt noch ausgebaut werden.« 2011 wurde die Markthalle gekauft, vergangenes Jahr erwarben die Betreiber ein benachbartes Grundstück mit einem Garagenhof und einem Mietshaus, für dessen Mieter sie sich gleichwohl von sich aus über das gesetzlich erforderliche Maß hinaus auf Mieterschutzregelungen verpflichteten. Nun soll also die weitere Ausdehnung des Marktangebots auf die davorliegende Straße folgen.

»Welchen Draht haben die Betreiber der M9 ins grüne Bezirksamt? Werden da mehr gemeinsame Interessen geteilt als die Liebe zum Biogemüse?«, raunt Gottwald. In der BVV-Sitzung Ende November wird die Erweiterung des Straßenmarkts noch einmal Thema sein. Auch Halima Nazary mit ihrer kleinen Änderungsschneiderei, die befürchtet, dass die weiteren vier Stände der Markthalle nur der Anfang sind und irgendwann auch vor ihrem eigenen Schaufenster ein Marktstand steht, will nicht klein beigeben. Sie schaut aus ihrem Schaufenster auf die Fußgänger, die an ihrem Laden vorbeilaufen und sagt: »Das will ich mir weiter anschauen können.«

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