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Demokratiebildung braucht kein Sparschwein mehr

Zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen haben mehr Sicherheit, drängen aber auf dauerhafte Förderung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Übergabe eines Fördermittelbescheids an das Netzwerk Tolerantes Sachsen durch SPD-Sozialministerin Petra Köpping (Mitte) in Wurzen
Übergabe eines Fördermittelbescheids an das Netzwerk Tolerantes Sachsen durch SPD-Sozialministerin Petra Köpping (Mitte) in Wurzen

Beim Netzwerk Tolerantes Sachsen ist Weihnachten in diesem Jahr schon Ende November. Zwar ist das Geschenk nicht mit einer Schleife versehen, sondern steckt in einer Mappe, die vor dem Portal eines Hauses neben dem Wurzener Dom übergeben wird. Darin aber steckt ein Bescheid, der dem hier ansässigen Netzwerk eine Landesförderung von je 150 000 Euro in den nächsten beiden Jahren zusichert. Einen solchen Geldsegen zu erhalten, und zwar nicht erst nach Neujahr, »bedeutet für uns die Welt«, sagt Nina Gbur, eine der Sprecherinnen des Toleranten Sachsen: »Schließlich haben wir auch Beschäftigte.«

Zivilgesellschaftliche Vereine und Initiativen fristeten bisher auch in Sachsen eine prekäre Existenz. Jedes Jahr gab es erhebliche Unsicherheit, ob beantragte Fördermittel bewilligt wurden, und selbst wenn der Zuschlag erteilt wurde, war nicht sicher, dass die Bescheide rechtzeitig vor Auslaufen der vorigen Förderung eingingen. Die Mitarbeiter, die oft über langjährige Expertise verfügten, hingen regelmäßig in der Luft, mussten sich beim Arbeitsamt melden oder waren von Lösungen abhängig, die kreativ, aber in gewisser Weise auch skandalös waren: »Um unsere Leute zu bezahlen, haben wir wiederholt unsere privaten Sparguthaben angegriffen«, sagt Jens Kretzschmar vom Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen.

Das immerhin ist seit einiger Zeit nicht mehr notwendig gewesen. Förderbescheide werden jetzt oft für drei Jahre erteilt. »Von der Einjährigkeit sind wir weggekommen«, sagt Petra Köpping (SPD), die Sozialministerin des Freistaats. In ihrem Haus ist das Programm »Weltoffenes Sachsen« (WOS) angesiedelt, das helfen soll, die demokratische Kultur im Land zu stärken. Es wurde 2005 aufgelegt, nachdem ein Jahr zuvor die NPD erstmals in den Landtag eingezogen war. Im Jahr 2022 ist es mit 7,47 Millionen Euro ausgestattet. Viele zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine im Freistaat können nur deshalb tätig werden, weil sie WOS-Förderung erhalten.

Allerdings bieten auch die veränderten Kriterien nur relative Sicherheit: Die Projekte hängen nicht mehr jährlich, aber doch alle drei Jahre in der Schwebe. Eine längerfristige, sogenannte strukturelle Förderung ist nicht möglich. Sachsen sei in dieser Beziehung noch »ganz weit hinten«, räumt Köpping ein. Das sei insbesondere für Träger, die über Jahre verlässliche Arbeit geleistet haben, ärgerlich, sagt die Ministerin, die deren Arbeit sehr schätzt: Bei Bürgerversammlungen im Land merke man deutlich, ob es in einem Ort eine starke Zivilgesellschaft gebe oder nicht.

Köpping plädiert für eine Ausweitung der strukturellen Förderung; Überlegungen dazu gebe es in der Landesregierung. Die Vereine hoffen zudem auf Rückenwind vom Bund. Dort wird derzeit über ein Demokratiefördergesetz beraten, zu dessen zentralen Anliegen eine verlässlichere finanzielle Ausstattung für Projekte gehört. Das würde zwar zunächst nur für solche gelten, die vom Bund selbst gefördert werden, sagt Andrea Hübler von der RAA Sachsen: »Aber es hätte Vorbildwirkung auch für Sachsen.«

Doch selbst wenn aus dem WOS-Topf künftig auch längerfristige Förderung möglich wäre, würde das ein anderes Problem nicht lösen: Dieser erweist sich regelmäßig als zu klein. Markantes Beispiel: Ab 2023 werden erstmals fünf landesweite Netzwerke gefördert, darunter eines zur »Stärkung demokratischer Werte«. Neben dem Toleranten Sachsen, das seit 21 Jahren besteht und derzeit 130 in dem Feld tätige Vereine und Initiativen vernetzt, bewarb sich auch die sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG). Sie ist im Bereich Erinnerungspolitik tätig, für den es aber bisher keinen eigenen Fördertopf gab. Sie erhielt in den vergangenen drei Jahren Mittel aus dem WOS-Programm, mit denen sie eine Fachstelle betrieb. Als Träger des landesweiten Netzwerks wählte der WOS-Beirat indes das Tolerante Sachsen aus und nicht die sLAG, was diese vor existenzielle Probleme stellte. Erneut schien es, als müssten private Sparschweine das Loch stopfen: Alle Hoffnung ruhte auf einer Spendenkampagne. Erst in quasi letzter Minute gab es Hilfe vom Land. Die Koalition aus CDU, Grünen und SPD einigte sich auf die Einrichtung eines eigenen, mit jährlich 150 000 Euro dotierten Titels im Etat des Wissenschaftsministeriums, das fachlich ohnehin für die Erinnerungspolitik zuständig ist. Sie sei damit »strukturell an der richtigen Stelle verortet«, sagte Claudia Maicher, Landtagsabgeordnete der Grünen. Damit ist also auch bei der sLAG dieses Jahr Weihnachten bereits Ende November.

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