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Pokern um Staatshilfen

Schleswig-Holstein kämpft für die Ansiedlung einer Batteriezellfabrik

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) lernt in diesen Wochen schmerzhaft, dass Aufbruchstimmung im Wahlkampf ein Zugpferd sein, übertriebener Optimismus am Ende aber an der Realität zerschellen kann. Günthers Lehrmeister in dieser Lektion heißt Northvolt. Es ist nur ein halbes Jahr her, da zog der CDU-Politiker im Landtagswahlkampf von Marktplatz zu Marktplatz und erzählte davon, wie er Schleswig-Holstein in einen grünen Industriestandort verwandeln wolle.

Ein Leuchtturmprojekt fehlte in keiner Rede: Bei Heide soll bis 2025 eine Northvolt-Fabrik mit 3000 Arbeitsplätzen entstehen; der schwedische Batteriehersteller hatte diese Absicht kurz zuvor kundgetan. Irgendwo zwischen dieser Erfolgsmeldung und dem Wahlkampf ging aber der entscheidende Konjunktiv verloren: Eine Absicht ist nicht gleichbedeutend mit einer Zusage. Günther frohlockte dennoch über »den größten industriepolitischen Erfolg seit Jahrzehnten« für Schleswig-Holstein.

Die harte Realität holte die schwarz-grüne Landesregierung Anfang November ein. Northvolt wollte zu diesem Zeitpunkt längst eine finale Entscheidung getroffen haben, doch Vorstandschef Peter Carlsson trat in einem Interview auf die Bremse. Das Unternehmen stehe zwar weiter zum Standort Heide, doch möglicherweise werde die Fabrik erst später gebaut, vielleicht entstehe zunächst eine Fabrik in den USA. Wieder viele Konjunktive. Seitdem herrscht in der Landeshauptstadt Kiel hektisches Treiben.

Vergangene Woche stand Northvolt auf der Tagesordnung im Landtag. Alle Fraktionen bekannten sich zur geplanten Ansiedlung; ohne Gegenstimme wurde ein Antrag angenommen, die Landesregierung müsse sich stärker für das Projekt engagieren. SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller kritisierte, dass keiner der von Northvolt genannten Gründe für das Zögern eine Überraschung sei. Ein von Carlsson benannter Knackpunkt sind die Energiepreise. Nach Angaben des Northvolt-Chefs würde die Batteriefabrik bei Heide jährlich zwei Terawattstunden Strom verbrauchen, so viel wie 650 000 Haushalte. Selbst für einen Großkunden hätten sich die ohnehin im internationalen Vergleich hohen Stromkosten in Deutschland noch einmal innerhalb eines Jahres verdoppelt.

Ministerpräsident Günther bemüht sich, dass die von ihm gepriesene Erfolgsgeschichte Realität wird. Vergangene Woche traf er sich mit Northvolt-Chef Carlsson, auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nahm an dem Treffen teil. Mehr als eine erneute Absichtserklärung drang zunächst nicht an die Öffentlichkeit. Am Mittwoch dann ein weiterer Hoffnungsschimmer: Ein Unternehmenssprecher erklärte, Northvolt treibe die Planungen für das geplante Werk weiter voran, man sei froh über die politischen Signale. Aber: Eine finale Entscheidung werde erst Anfang 2023 getroffen.

Habeck, früher selbst Minister in Schleswig-Holstein, kämpft ebenfalls für die Northvolt-Ansiedlung. Auf einer Industriekonferenz am Dienstag in Berlin sprach der Grünen-Politiker allerdings ein wirtschaftspolitisches Thema an, das die Entscheidung um Heide unmittelbar berührt. Northvolts Zögern hat auch mit den in den USA lockenden üppigen Subventionen zu tun. Konkret geht es dabei um den sogenannten Inflation Reduction Act, ein 370-Milliarden-Dollar-Programm der Biden-Regierung, um die US-Wirtschaft auf erneubare Energie umstellen. Es winken massive Steuernachlässe, Fördergelder für Fabrikneu- und -umbauten. Im Bereich der E-Mobilität erhalten Haushalte beim Kauf eines Elektrofahrzeugs eine Steuergutschrift von bis zu 7500 Dollar.

Haken an der Sache: Im Gegenzug muss die Produktion ganz oder teilweise in den USA stattfinden. Nicht nur Habeck sieht durch diese Form der Subventionspolitik internationale Handelsregeln verletzt, auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will das in Europa kritisch beäugte Vorgehen bei seinem derzeitigen Staatsbesuch in den USA gegenüber Präsident Joe Biden ansprechen. Es steht die Befürchtung im Raum, die US-Regierung könnte ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen eine »America First«-Politik fahren und Industriebetriebe aus Europa weglocken.

In Heide selbst gibt sich die Lokalpolitik trotz aufziehender Handelskonflikte zwischen der EU und den USA gelassen. In der Kreisstadt von Dithmarschen glaubt niemand, dass sich Northvolt doch noch gegen eine Ansiedlung in der kleinen Nachbargemeinde Norderwöhrden entscheidet.

Gegenüber »nd.DerTag« äußert sich Lars Thiele-Kensbock, Mitglied der Ratsversammlung in Heide, optimistisch. »Northvolt wäre hier an genau der richtigen Stelle. Wir glauben nicht, dass sie gar nicht kommen. Das ist für uns hier momentan nicht vorstellbar, weil wir ihre Kriterien zu 100 Prozent erfüllen, gerade was den Zugang zu erneuerbaren Energien betrifft«, so der Linke-Politiker. Die geplante Ansiedlung nennt er einen »absoluten Glücksgriff« für Dithmarschen.

Thiele-Kensbock erzählt, dass Northvolt auch angelockt habe, dass in der Region aktuell mehrere Großprojekte zur Energiewende angeschoben werden. So soll die Raffinerie in Heide, die momentan noch Erdöl verarbeitet, künftig auch Wasserstoff herstellen. Northvolt hofft auf Synergieeffekte. Kritisch bewertet Thiele-Kensbock die bisherige Standortpolitik des Landes. »Im Vergleich zur Ostküste werden wir hier an der Westküste schnell einmal übersehen, um es diplomatisch auszudrücken.« Entsprechend tue sich die Landesregierung nun schwer, notwendige Entscheidungen zu treffen, um die Northvolt-Ansiedlung zu unterstützen. Als Beispiel nennt Thiele-Kensbock den Wunsch der Schweden nach einem Bahnanschluss für E-Loks für das Werksgelände. Doch generell hängt die Elektrifizierung des Zugverkehrs in Schleswig-Holstein zurück.

Ein weiteres Problem: Obwohl Dithmarschen dank Windkraft ein Vielfaches der Energie produziert, die es selbst benötigt, gehören die Strompreise im Landkreis zu den höchsten bundesweit. »Eigentlich ist das absurd. Wir haben die saubere Energieproduktion vor der Haustür, müssten Strom eigentlich fast zum Nulltarif bekommen, doch weil wir in einer dünn besiedelten, strukturschwachen Region leben, sind die auf den Einzelnen umgelegten Kosten höher«, so Thiele-Kensbock. Der Linke-Politiker hofft, dass Land und Bund alles tun, um die Ansiedlung zu ermöglichen. »Dadurch würde eine ganze Region wachgeküsst.«

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