Amnestie für illegalen Waffenbesitz

Eine Woche lang dürfen Bürger in Frankreich ihre Schießeisen straflos abgeben

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem Wochenende und noch bis zum Ende dieser Woche können Franzosen, die nicht angemeldete Schusswaffen besitzen, diese bei Polizei oder Gendarmerie abgeben oder aber ordnungsgemäß registrieren lassen. Sie müssen dabei keine peinlichen Fragen oder gar eine Strafe befürchten. Dafür wurden über das ganze Land verteilt 300 Sammelstellen eingerichtet.

Mit dieser Aktion, wie sie in Frankreich erstmals durchgeführt wird, soll Unfällen vorgebeugt werden und verhindert werden, dass bei Einbrüchen Waffen gestohlen werden und in kriminelle Kreise gelangen, erklärt Jean-Simon Merandat, Direktor des Waffendezernats im Innenministerium. »Nicht wenige Bürger haben Waffen geerbt oder zufällig auf dem Dachboden gefunden, die inzwischen für sie zu einer Belastung geworden sind«, erläutert er. »Im Gegensatz zu ihnen war vielleicht der Vater oder Großvater Jäger und hat ihnen sein Gewehr hinterlassen, oder er hat aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg eine Pistole mitgebracht und als Erinnerungsstück aufgehoben. Sie selbst haben Kinder und befürchten, dass diese auf eine Waffe stoßen und damit spielen. Für viele unfreiwillige Waffenbesitzer ist es eine echte Erleichterung, das ›Schießeisen‹ loszuwerden.« Man kann eine solche Waffe aber auch in ein zentrales Register eintragen und sich beraten lassen, wie man sie sicher aufbewahrt.

Gegenwärtig sind in Frankreich fünf Millionen Schusswaffen registriert. Es handelt sich vor allem um Jagdgewehre, aber auch Sportwaffen, Sammlerstücke oder Pistolen zum Selbstschutz. »Die Zahl der daneben illegal zirkulierenden Waffen schätzen wir auf etwa zwei Millionen«, so Merandat. Dabei handele es sich in 80 bis 90 Prozent der Fälle um Erbstücke. »Pro Jahr werden bei Einbrüchen etwa 8000 Waffen gestohlen, und davon gelangen dann viele in die Hände von Kriminellen, die sich nicht scheuen, sie zu benutzen.«

Ihren Waffennachschub erhält die kriminelle Szene aber vor allem vom Balkan, wo seit dem Krieg um den Zerfall Jugoslawiens noch viele Waffen im Umlauf sind. Eine Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow kostet in Frankreich auf dem schwarzen Markt kaum mehr als 1000 Euro. Von den Jahr für Jahr rund 150 Frauen, die von ihrem Ehemann oder Partner getötet werden, stirbt jede Dritte durch eine Schusswaffe, die der Täter fast immer unerlaubt besaß.

Normalerweise drohen für den unerlaubten Besitz von Schusswaffen bis zu zwei Jahre Gefängnis und 30 000 Euro Geldstrafe. Spätestens zum 1. Juli 2023 müssen alle Schusswaffen in Frankreich im zentralen Waffenregister eingetragen sein. Bislang ist das nur für die Waffen von Jägern und Sportschützen der Fall. Zählt man alle legalen und illegalen Waffen auch aus dem kriminellen Milieu zusammen, so kommen auf 100 Einwohner in Frankreich 20 Schusswaffen, während es in den USA 120 sind. In Europa liegt Frankreich damit nach Finnland auf dem zweiten Platz.

Waffenbesitz hat hier eine lange Tradition. Die Revolution von 1789 begann mit der Eroberung und Verteilung von Militär-Gewehren zum Sturm auf die Bastille. Zu den durch die Revolution eroberten Grundrechten gehörte auch der Besitz von Waffen. Während die Jagd bis dahin ein Privileg des Adels war, stand sie jetzt allen Bürgern offen. Eine offizielle Jagderlaubnis wurde erst 1974 eingeführt. Heute sind 1,2 Millionen Franzosen zugelassene Jäger und 1,6 Millionen sind Sportschützen in einem der rund 80 000 Schützenvereine des Landes. Über die Zahl von Sammlern unbrauchbar gemachter historischer Waffen kann man nur spekulieren, aber sie muss hoch sein, denn übers Jahr verteilt gibt es dafür landesweit rund 350 Treffen mit Waffenbörse.

Die Zahl der Franzosen, die durch Schusswaffen ums Leben kommen, ist zwischen 1976 und 2019 von 2700 auf 1600 im Jahr zurückgegangen. Dabei handelte es sich nur in 90 Fällen um Mord oder Totschlag. Dem standen mehr als 400 tödliche Unfälle und 1100 Selbstmorde gegenüber.

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