Azubis kochen »à la carte«
Hamburger Restaurant bietet Lehrstellen für schwer vermittelbare Jugendliche
Ausbildungsplätze sind rar in Hamburg. Besonders Jugendliche mit Lücken im Lebenslauf und weniger guten Zeugnissen haben es schwer auf dem Lehrstellenmarkt. Eine Alternative für Spätstarter bietet das Ausbildungsrestaurant »Zum kleinen Zinken« im Szenestadtteil Ottensen.
Schwungvoll schenkt Jonas den Rhabarbersaft ein, stellt die Tasse mit dem Espresso und das kleine Glas Wasser daneben auf das Tablett und eilt zu den Gästen. Es ist Mittagszeit im Restaurant »Zum kleinen Zinken«. Jonas und seine drei Kollegen haben alle Hände voll zu tun. Jasper drückt auf die Klingel an der Durchreiche, streut frischen Schnittlauch auf die Kartoffelsuppe und schiebt die Teller dem Kellnerkollegen entgegen. Dann studiert er die Bestellzettel, um zu sehen, was als nächstes zu tun ist. Routiniert geht es in der kleinen Küche zu, wo Chefkoch Roland Urban Regie führt. Mit vier Lehrlingen steht er heute am Herd. Gekocht werden nicht nur die fünf Gerichte des Mittagstisches, sondern auch »à la carte«. Ein ziemlicher Spagat für die junge Küchencrew, von denen die meisten erst Anfang August ihre Lehrverträge unterschrieben haben.Gleiches gilt für Jonas und den Service, denn im Restaurant sind mit Ausnahme der beiden Köche und dem Ausbildungsleiter Mathias Pielhau ausschließlich Azubis im Dienst. Insgesamt 21 Lehrlinge arbeiten in dem etwas anderen Restaurant. Jasper, Jonas und Co. sind froh, dass sie dort untergekommen sind.
Mehrere hundert Bewerbungen geschrieben
Mit 26 Jahren ist Jasper der Älteste in der Küche. Einige hundert Bewerbungen hat er im Laufe der Jahre geschrieben und hatte die Hoffnung auf die Lehrstelle schon langsam aufgegeben. »Für mich war der Zinken die letzte Chance«, sagt der angehende Koch und schiebt sich die Baseballkappe in den Nacken. Er fühlt sich wohl am Herd und ist sich sicher, seinen Traumberuf gefunden zu haben.
Ähnlich geht es vielen Azubis im Zinkenteam. So stehen bei Dennis im nächsten Sommer die Abschlussprüfungen an. Und auch Kellnerin Alex, die ohne Schulabschluss im Restaurant anfing, soll dann zu den Prüfungen zugelassen werden. Dafür setzt sich Renate Weinberger ein. Die 57- Jährige ist Leiterin der Gastronomie beim Verein »Kooperation Arbeiten, Lernen und Ausbildung« (koala e.V.) und ist vor vier Jahren auf die Idee gekommen, ein reines Ausbildungsrestaurant zu eröffnen. Damals fiel ihr auf, mit wie viel En-gagement sich die jungen Teilnehmer des Hamburger Programms »Arbeit statt Sozialhilfe« in die Arbeit stürzten. »Daraufhin schneiderten wir ein Ausbildungskonzept auf Maß für Spätstarter«, so die agile Frau, die regelmäßig im Restaurant vorbeischaut. Mit der eigentlichen Ausbildung hat sie nichts zu tun, dafür sind Chefkoch Urban, dessen Kollege Lothar Gribbohm und Restaurantleiter Mathias Pielhau zuständig.
Ein Ausbildungsmodell auch für andere Branchen
Aber Frau Weinberger sorgt dafür, dass die Finanzierung des Ausbildungsprojekts steht. Und das ist gar nicht so einfach, denn Ausbildung kostet Geld und das Restaurant wirft nur etwa dreißig Prozent der Kosten ab. Den Rest trägt die Hamburger Behörde für Wirtschaft und Arbeit. Die war auch beim ersten Ausbildungsjahrgang, der im Juni 2006 mit der Prüfung endete, mit von der Partie. »Damals kam allerdings noch der Europäische Sozialfonds für das Gros der Fördergelder auf«, erklärt Frau Weinberger. Die ist nach den positiven Erfahrungen mit dem ersten Azubijahrgang überzeugt, dass sich das Modell auch auf andere Branchen übertragen lässt. Angesichts der chronischen Engpässe auf dem Ausbildungsmarkt eine potentielle Alternative, denn die Zahl der Bewerber, die in den letzten Jahren bei der Lehrstellenlotterie leer ausging, ist laut Gewerkschaftsangaben auf rund 300 000 junge Menschen gestiegen. Chefkoch Roland Urban hält noch immer Kontakt zu den Azubis der ersten Stunde. »Von den fünfzehn Lehrlingen, die 2006 ihren Abschluss zur Restaurantfachkraft machten, sind weit über die Hälfte in Lohn und Brot und drei lassen sich zum Koch beziehungsweise Kellner weiterqualifizieren.«
Man merkt dem 45-Jährigen an, dass er Spaß daran hat, den Azubis seine Tricks und Kniffe beizubringen. Das läuft natürlich nicht immer ohne Probleme, denn für viele Azubis ist der geregelte Arbeitstag ein Stück Neuland. »Nach einigen Monate droht dann schon mal ein Motivationsloch und auch in finanzieller Hinsicht brauchen die Azubis öfter Hilfe«, erklärt Barbara Hollbach, die zum erweiterten Zinkenteam gehört. Die Sozialpädagogin kümmert sich um die Beantragung von Zuschüssen und ist Ansprechpartnerin für alle möglichen Sorgen.
Heute sind rund siebzig Prozent der 85 Plätze des in hellem Grün gehaltenen Restaurants belegt. »Da kommt das Team ganz schön ins Rotieren, und das fördert den Teamgeist«, ist sich Restaurantleiter Mathias Pielhau sicher. Der setzt mit neuer Karte, neuem Anstrich und dem altem Zinkenmotto auf ein breiteres Publikum. »Genießen und Helfen lautet unser Motto. Hier zahlen Gäste, die von Arbeitslosengeld II leben müssen, nur die Hälfte«, erklärt Frau Weinberger einen weiteren Eckpfeiler des Konzepts. Bei Stammgästen wie Ingrid Krohn kommt das gut an. »Hier wird einem das Helfen so leicht gemacht, da komme ich gern«, urteilt die Frau und nimmt ihr Essen von Jonas entgegen. Dann klingelt es schon wieder, und Jonas muss sich sputen, um die nächsten dampfenden...
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