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- Fußball-WM in Katar
Der DFB muss sich neu erfinden
Nach dem Abgang von Oliver Bierhoff ist auch der Verbleib von Hansi Flick unsicher
An der Universität von Doha wollen die Gastgeber der WM noch besonders höflich sein. An den Außenmauern einer der größten Bildungseinrichtungen der Welt, auf deren Areal die Nationalmannschaften von Argentinien, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz trainieren, hängen die Flaggen der 32 WM-Teilnehmer. Darunter stehen die Begrüßungen in den Landessprachen. »Guten Tag« unter dem Deutschland-Fähnchen – »Gute Nacht« würde eher passen.
Bei dem Turnier in Katar war es schon nach Mitternacht, als der Deutsche Fußballbund (DFB) am Montagabend die Trennung von seinem mächtigen Direktor Oliver Bierhoff vermeldete. Das Arbeitspapier des Geschäftsführers Nationalmannschaften und Akademie wird vor Vertragsende 2024 aufgelöst. Gleichzeitig ist die Zukunft des darüber verärgerten Bundestrainers Hansi Flick offen. Das kommt einem in der Wüste ausgelösten Erdbeben gleich. Dass Bierhoff nur noch die Akademie betreut, wie es wohl vor der Krisensitzung angedacht war, hätte nach einem faulen Kompromiss gerochen. Der 54-Jährige selbst wollte den Weg »für neue Weichenstellungen« freimachen.
Das schuf auch für Flick unerfreuliche Tatsachen, der sich am Dienstag mit einer Stellungnahme meldete, die sich fast wie eine Abschiedserklärung las. »Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann«, ließ der 57-Jährige wissen. Bierhoff war »mein erster Ansprechpartner und Freund«, das Verhältnis von »unschätzbar hohem Vertrauen« geprägt gewesen. »Zusammenhalt war die DNA unseres Teams.« Der Macher habe für ihn in 18 Jahren für »Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässigkeit« gestanden.
Darin war mehr als eine Spitze gegen DFB-Präsident Bernd Neuendorf zu erkennen, der sich Hans-Joachim Watzke, Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), als Krisenmanager zur Seite geholt hat. Deutlich klang beim Bundestrainer schon vor der angesetzten WM-Aufarbeitung durch, dass eigentlich die Grundlage für die Zusammenarbeit entzogen ist. Ergibt es überhaupt Sinn, dass der Heidelberger und seine Gefolgschaft bis zur EM 2024 weiterarbeiten? Dieses Heimturnier, auserkoren als Sommermärchen 2.0, wollten Flick und Bierhoff eigentlich Hand in Hand angehen. Auf ein Solo hat der Bundestrainer offenbar wenig Lust.
Dem Verband droht auf sportlicher Leitungsebene ein riesiges Vakuum, nachdem die DFB-Auswahl in Katar nicht nur fußballerisch ohne Kompass unterwegs gewesen ist. Man ließ sich von Politik, Gesellschaft und Medien so sehr treiben, dass am Ende nichts mehr gelingen konnte. Gerne hätte sich vor einem Jahr der inzwischen beim Österreichischen Fußballbund beschäftigte Ralf Rangnick darauf eingelassen, als Bundestrainer mit weitreichenden Befugnissen den sportlichen Bereich zu reformieren – doch da hatte Bierhoff längst Flick auserkoren.
Vor dem Hintergrund der EM 2024, wenn Deutschland zeigen will, dass alles toleranter, nachhaltiger und gerechter organisiert wird als in Katar, muss Bierhoffs Nachfolger mit Bedacht gewählt werden. Vieles deutet darauf hin, dessen Aufgaben aufzuteilen. Teammanager könnte Sami Khedira werden, der als Weltmeister gegenüber den Spielern als glaubhaftes Sprachrohr taugt. Für die Führung einer DFB-Direktion mit fast 200 Mitarbeitern, darunter ein heterogener Trainerstab, wäre ein Sportdirektor wie Fredi Bobic denkbar, der in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt gute Drähte zu DFB und DFL aufgebaut hat. Er müsste seinen Job bei Hertha BSC aufgeben. Matthias Sammer liefert perfekte Analysen, kennt als Sportdirektor von 2006 bis 2012 den DFB – und hat als Berater bei Borussia Dortmund den engen Draht zum mächtigen Watzke. Sammer sagte einmal, er habe genug Fehler gemacht in seinem Leben, aber den Fehler, die Position des DFB-Sportdirektors abzuschaffen, auf die Idee müsse man erst einmal kommen.
Neben Sammer, der schon seine Bereitschaft erklärt haben soll, führt eine Spur auch zu Thomas Hitzlsperger. Als DFB-Botschafter für Vielfalt hat der ehemalige Nationalspieler, der sich mit seinem Outing viel Respekt verschaffte, eine Anbindung, bewies Rückgrat, indem er während der WM seine eigene Haltung zum Turnier in Katar kritisch hinterfragte. Beim VfB Stuttgart hat er als Vorstandsvorsitzender lehrreiche Erfahrungen gesammelt.
Bierhoff hat das Abschneiden der DFB-Männer in Russland und Katar – die Frauen haben auch dank seines Sportlichen Leiters Joti Chatzialexiou den Weg in die Weltspitze zurückgefunden – derweil nach eigenem Bekunden geschmerzt. »Einige Entscheidungen, von denen wir überzeugt waren, haben sich nicht als die richtigen erwiesen.« Ihm fehlten zuletzt Mut und Gespür.
Das war in der Anfangszeit unter Jürgen Klinsmann, dem Projektleiter mit begrenztem Haltbarkeitsdatum, noch anders. Da bohrte der ehemalige Nationalspieler dicke Bretter, um die verkrusteten Strukturen rund um die Nationalmannschaft aufzubrechen. Plötzlich gaben US-amerikanische Fitnessexperten auf dem Trainingsplatz den Ton an, hinter den Kulissen hielt die Bergsteigerlegende Reinhold Messner Vorträge. Das alles war innovativ und inspirierend.
Dass der eigenwillige Joachim Löw die Generation um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger trotz Rückschlägen noch zur Krönung bei der WM 2014 führte, war auch Bierhoffs Rückendeckung zu verdanken, der den Bundestrainer gegen harsche Kritik stets verteidigte. Aber danach kam »die Mannschaft« – sein Markenbegriff – zusehends vom Kurs ab. Es entstand ein Eigenleben, das zwangsläufig zur Entfremdung führte.
Und wer hat Bierhoff zuletzt für Katar so schlecht beraten? Die Vereinnahmung des Fußballs für politische Zwecke könnte auch aus deutscher Sicht eine Grenze überschritten haben. Diffus wirkt dabei die Rolle des von Bierhoff konsultierten PR-Fachmanns Raphael Brinkert, der 2021 die Wahlkampagne von SPD-Kanzler Olaf Scholz orchestrierte. Er soll in die Vorgänge um die von einigen Nationalspielern am Ende als störend empfundenen Aktionen zur »One-Love«-Binde involviert gewesen sein. Während Manuel Neuer und Leon Goretzka auf ein Zeichen nach außen drängten, hätten andere das Thema lieber weggeschoben, das letztlich allen Protagonisten in der DFB-Delegation entglitt. Eine juristische Klärung im Vorfeld hätte das Eigentor womöglich verhindert. Und der Imageschaden wäre aufs sportliche Versagen beschränkt geblieben.
Der Abstand zur Weltspitze ist groß geworden. Mit dem 150 Millionen Euro teuren Campus sind zumindest die infrastrukturellen Voraussetzungen dank Bierhoffs Herzensprojekt bestens, um wieder aufzuholen. Aber es dürfen dort nicht nur schöne Visionen entworfen werden, die an der Umsetzung scheitern. Das Leistungsniveau deutscher Junioren, erzählen in Doha ausländische Nachwuchsexperten, sei im internationalen Vergleich noch deutlich schwächer als das, was das deutsche A-Team angeboten habe. Klingt alles nicht nach einer schönen Gute-Nacht-Geschichte.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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