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Parteimanager als Kanzler
Wiener Regierungschef Nehammer hat ein Jahr durchgehalten
Der Herbst 2021 war ein einziger politischer Nebel in Wien. Erst der Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler im Oktober, dann auch sein Rücktritt vom Amt des ÖVP-Chefs. Und dann der neue: Karl Nehammer. Vor genau einem Jahr übernahm er das Kanzleramt in Wien. Die Nebel aber haben sich seither nur zeitweise gelichtet.
Kurz hatte sich aus der alten schwarzen ÖVP eine neue türkise Partei gezimmert – mit einem inneren Zirkel aus Vertrauensleuten und einem Hofstaat aus Gefolgsleuten wie Nehammer. Unter Kurz war er Innenminister. Ein Amt, das ihm wie auf den Leib geschneidert schien, diesem Politiker, der wirkt, als hätte man ihn aus einer Amtsstube geholt: Hölzern, spröde, unnahbar. Eben kein aalglatter Feschack mit einem Bauchladen an knackigen Sprüchen und Gelfrisur. Aber dann war Karl Nehammer mit einem Mal Kanzler – und ist es seit einem Jahr.
Plötzlich Kanzler
Was für ein Jahr. Da gab es eine Impfpflicht, die erst auf Gedeih und Verderb gegen vielerlei Widerstände durchgeboxt wurde, nur um dann in der Verwaltung zu versanden und schließlich ausgesetzt zu werden. Da gab es und gibt es nach wie vor einen Untersuchungsausschuss im Parlament zur Korruption in und um die ÖVP. Da ist die Pandemie, da ist Russlands Krieg in der Ukraine, da ist die Koalition mit den Grünen, die permanent auf der Kippe steht.
Kurz hatte seine letzte Wahl mit 37,4 Prozent gewonnen – und das gleich nach dem Ibiza-Skandal. Das erklärte Ziel »absolute Mehrheit« schien gar nicht so unrealistisch. Und heute? Würde am kommenden Sonntag gewählt, käme die ÖVP vermutlich auf zwischen 19 und 22 Prozent.
Das liegt aber nicht nur an Nehammer. Denn er ist er vor allem eines: Der Putzdienst nach der eskalierten Kurz-Siegesfete in der ÖVP. Ein Kurz-Jünger war er nie. Seine Rolle im ÖVP-Gebälk unter Kurz war es viel eher, als Alt-ÖVPler die Partei hinter Kurz zu halten.
Aus Sicht der ÖVP wurde Nehammer vor einem Jahr in erster Linie ÖVP-Chef. Staatstragende, regierungsrelevante oder sachpolitische Fragen spielten keine Rolle. Nehammer wurde ÖVP-Chef, weil es nach dem Kurz-Fiasko einen Parteimanager brauchte. Kanzler wurde er eher nebenbei.
ÖVP soll restauriert werden
Kurz trat zurück, nachdem das Bundeskanzleramt durchsucht wurde. Die Kurz-Jünger hatten Geld aus dem Finanzministerium abgezweigt, damit Umfragen finanziert, die im Sinne Kurz’ geschönt wurden, und diese dann gegen Geld in Medien platziert. Das ist nur ein Beispiel. Es gilt freilich die Unschuldsvermutung. Es gibt Chats, in denen sich Mitglieder des Kurz-Kabinetts abfällig über alles Mögliche unterhalten. Und es geht offen um Absprachen bei Jobausschreibungen oder manipulierte Steuerprüfungen bei parteinahen Vereinen oder befreundeten Unternehmern.
Nehammer taucht in diesen Skandalen und Chats nicht auf. Klar distanziert hat er sich von alldem aber auch nie. Und Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der in zahlreichen Affären auftaucht, nahm er demonstrativ in Schutz.
Als Nehammer vor einem Jahr die ÖVP übernahm, war eine der brennendsten Fragen, ob er die Partei wieder zu der Partei machen würde, die sie vor Kurz war: wertekonservativ, wirtschaftsliberal, aber moralisch klar abgegrenzt von der rechtsnationalen FPÖ. Diese Frage ist nicht beantwortet.
Wenn Nehammer über den Krieg in der Ukraine spricht, den Bruch von Menschen- und Völkerrecht und dass Moskau dafür eindeutig zu verurteilen sei, dann wirkt das glaubwürdig. Zugleich bespricht er aber mit Ungarn und Serbien die Schließung der Balkanroute. Beim Thema Migration füttert er den Boulevard mit irreführenden Zahlen. Und er holte den Kommunikationskoordinator von Kurz zurück und machte ihn zum Leiter der ÖVP-Kommunikation – einen Mann, gegen den in der Umfragen-Affäre ermittelt wird.
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