- Politik
- Kosovo
Auf Eskalationskurs
Nach dem Rückzug der serbischen Vertreter aus den Institutionen eskaliert die Krise im Nordkosovo
Seit Samstag sind die wichtigsten Straßen in den vorwiegend von Serben bewohnten Gemeinden im Nordkosovo sowie die beiden Grenzübergänge zu Serbien blockiert. Auslöser war die Verhaftung eines serbischen Polizisten sowie das Einrücken kosovarischer Spezialkräfte in die Gebiete. In der Nacht zu Sonntag soll an einer Blockade ein gepanzertes Fahrzeug der EU-Rechtsstaatsmission Eulex mit einer Blendgranate beschossen worden sein, zudem soll es zu Schusswechseln gekommen sein.
Am Sonntag forderte der kosovarische Premierminister Albin Kurti die von der Nato geführte Friedenstruppe KFOR auf, die Blockaden aufzulösen und Bewegungsfreiheit im Norden zu garantieren. Für die Straßensperren machte er »kriminelle Gangs« verantwortlich. Zudem beschuldigte Kurti Belgrad, hinter den Aktionen zu stecken. In Serbien, das das Kosovo als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet, weist man solche Vorwürfe zurück, vielmehr zeige sich durch die Barrikaden die Unzufriedenheit der Menschen mit der Regierung in Pristina.
Die Spannungen schaukelten sich in den vergangenen Monaten hoch, nachdem die Regierung in Pristina angekündigt hatte, serbische Nummernschilder verbieten zu wollen. Immer wieder konnte die Einführung der entsprechenden Verordnung nach Protesten der serbischen Bevölkerung sowie auf Druck der Europäischen Union und der USA verhindert werden. Doch Anfang November verkündete der kosovarische Premierminister, der von Großalbanien träumende ehemalige UÇK-Aktivist Albin Kurti, die Umsetzung. Daraufhin verließen serbische Beamte und Amtsträger ihre Stellen in den kosovarischen Institutionen, 3000 Posten blieben unbesetzt.
Seitdem herrscht in den vier nordkosovarischen Gemeinden ein Machtvakuum, das durch die EU-Rechtsstaatsmission Eulex mehr schlecht als recht ausgefüllt wird. Alle Versuche, die Situation zu entschärfen, blieben erfolglos. Ein Grund dafür ist auch die Nichteinhaltung internationaler Verträge wie des 2013 unter Aufsicht der EU zwischen Belgrad und Pristina geschlossenen Brüsseler Abkommens. Es sieht vor, dass die serbischen Gemeinden sich politisch und administrativ zusammenschließen – eine Forderung, die immer wieder in der aktuellen Auseinandersetzung von Vertretern der serbischen Minderheit und der Belgrader Regierung erhoben wird.
Doch Kurti stellt sich dagegen, obwohl das Verfassungsgericht in Pristina grünes Licht für das Vorhaben gegeben hat und auch die EU dies einfordert. Der kosovarische Premier spielt die nationalistische Karte, da er innenpolitisch unter Druck steht. Zwar konnte er bei der letzten Parlamentswahl 2021 eine deutliche Mehrheit gewinnen, doch war er nicht in der Lage, seine vollmundigen sozialen Versprechungen in die Tat umzusetzen. Hinzu kommt eine Wirtschafts- und Energiekrise im Nachgang der Corona-Pandemie und im Zuge des Ukraine-Kriegs.
Die EU – unterstützt durch die USA – will vermeiden, dass es zu einem weiteren bewaffneten Konflikt mit unkalkulierbaren Folgen in unmittelbarer Nachbarschaft kommt. Für die Akteure in Belgrad und Pristina bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Brüssel bei ausreichendem Druck zu Zugeständnissen bereit sein könnte. Vor allem die kosovarische Regierung ist auf das Entgegenkommen der EU angewiesen, etwa wenn es um die visafreie Einreise ihrer Bürger in die EU oder die Aufnahme von Beitrittsgesprächen geht. Letztere soll am 15. Dezember beantragt werden.
Durch den Rückzug der serbischen Vertreter aus den kosovarischen Institutionen hat sich eine neue Lage ergeben. Doch sowohl Pristina als auch Brüssel haben sich darauf nicht eingestellt, während sich Belgrad auf das Prinzip beruft, dass völkerrechtliche Verträge einzuhalten sind. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić erwägt, Militär und Polizei in den Nordkosovo zu entsenden, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Belgrad will dafür von der KFOR nun grünes Licht erhalten. Dabei stützt es sich auf die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats von 1999, die eine Zusammenarbeit serbischer Kräfte mit der internationalen Sicherheitspräsenz erlaubt. Zugleich unterstreicht Vučić, dass er für Frieden und Dialog eintrete.
In Washington, Brüssel und Berlin scheint man indes mit der gegenwärtigen Situation überfordert zu sein. Es bleibt bei mahnenden Worten und Appellen, die Barrikaden abzubauen. Zwar soll es demnächst auch Gespräche zwischen Vučić und Kurti in Brüssel geben, doch bleiben konkrete Schritte zur Beruhigung der Lage vorerst aus. Dabei waren es ähnliche Dynamiken, die den Anfang der Kriege in den 90er Jahren markierten. Dem in Kroatien gingen 1990 die Straßenblockaden der sogenannten Baumstammrevolution voraus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.