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Wahlkampfschlager Nahverkehr

Nach der Verlängerung des 29-Euro-Tickets streiten SPD und Grüne über Sinn und Nutzen einer Dauerlösung

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum ein Thema ist in Berliner Wahlkämpfen so verlässlich polarisierend wie die Verkehrspolitik. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus, wobei auch an diesem Punkt mal wieder ein Riss durch die rot-grün-rote Koalition geht. Im Mittelpunkt steht hier derzeit die Frage, ob das im Oktober eingeführte 29-Euro-Ticket für den Tarifbereich AB eine Dauereinrichtung werden soll. Erst am Donnerstag hat der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) grünes Licht gegeben für eine Verlängerung des Tickets über das Jahresende hinaus, bis das bundesweit gültige 49-Euro-Ticket im Frühjahr 2023 eingeführt wird.

Schön und gut, aber das reicht nicht, erklärte vor der VBB-Entscheidung SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh im »Tagesspiegel« und forderte, das 29-Euro-Ticket zu verstetigen. Kommt nicht infrage, antwortete Grünen-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch umgehend. Es sei mit dem VBB abgesprochen, dass das 29-Euro-Ticket bis zur »bundesweiten Tarifrevolution im kommenden Frühjahr« laufe, danach müsse aber Schluss sein. »Die Brandenburger wollen zurück zu einem gemeinsamen Ticket. Sie wollen keine weiteren Berliner Alleingänge, und das wissen auch alle in der Koalition«, sagte Jarasch am Donnerstag in der Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses.

Sie hoffe zwar »sehr«, dass es auch nach April kommenden Jahres vergünstigte Tickets geben werde. Diese müssten aber in der gesamten Region gültig sein und sollten auf »bestimmte Gruppen« wie Senioren, Azubis oder Studierende begrenzt werden. Der Vorstoß des Koalitionspartners SPD für ein dauerhaftes 29-Euro-Ticket sei letztlich reines »Wahlkampfgeplänkel«. Selbstverständlich ließ Jarasch die Hauptdebatte der voraussichtlich letzten Abgeordnetenhaussitzung in diesem Jahr dann nicht ungenutzt verstreichen, um bei der Gelegenheit nicht auch Wahlkampf in eigener Sache zu machen: »Dieses Jahr war ein gutes Jahr für die Mobilität in Berlin«, blickte die Mobilitätssenatorin zurück auf ihre bisherige Amtszeit.

Wie fast alle Rednerinnen und Redner der Abgeordnetenhausfraktionen berührte dabei auch Jarasch das eigentliche Thema der Aktuellen Stunde – das vergangene Woche nach hartem Ringen vorerst gerettete Semesterticket für Studierende – nur am Rande. Lediglich der Verkehrsexperte der Linksfraktion, Kristian Ronneburg, und die forschungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ina Czyborra, gingen detaillierter auf den Konflikt um das Studierendenticket ein. Die anderen Fraktionen nutzten das Podium vor allem für einen wahlkämpferischen Kessel Buntes zur Verkehrspolitik. Und wenig überraschend ließ die Opposition kein gutes Haar an Jaraschs »gutem Jahr«.

»Niemand ist zufrieden. Das ist das Ergebnis Ihrer Verkehrswende«, holzte Felix Reifschneider, der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Der »moralische Zeigefinger« der Mobilitätswende-Vertreter durfte in Reifschneiders Rede ebenso wenig fehlen wie der rot-grün-rote »Griff in den Geldbeutel« der Autofahrer. Schließlich: »Im linksgrünen Senat bedeutet mehr Geld nicht mehr Fortschritt. Die FDP wird das ändern.« Das umfasst in diesem Fall natürlich auch die Verlängerung der Autobahn A100 über Treptow hinaus Richtung Prenzlauer Berg. »Die Berlinerinnen und Berliner warten schon viel zu lange auf den Weiterbau der A100«, sagte Reifschneider, die betroffenen Anwohner dezent ausblendend.

Mit ähnlich großer Begeisterung und ähnlichen Argumenten warf sich der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici, in die Bresche für das milliardenschwere Doppelstocktunnel- und Betonschneisenprojekt im Osten Berlins. Nebenbei geißelte er Tempo-30-Zonen, die den Verkehr nur sinnlos verlangsamen würden. »Sie wollen nur Radverkehr, Sie wollen nur Bullerbü, Sie wollen den Klimakriminellen gefallen«, sagte Friedrici an die Grünen gerichtet. Und: »Am 12. Februar wird neu gewählt. Damit wird dann Schluss sein.« Dass die CDU, so sie denn die Wahl gewinnen sollte, im Zweifelsfall auf die Grünen angewiesen sein könnte – geschenkt.

SPD und Grüne zofften sich derweil munter weiter über die Verlängerung des 29-Euro-Tickets über das Frühjahr hinaus. So legte SPD-Chef Raed Saleh nach Jaraschs Auftritt im Abgeordnetenhaus rasch noch einmal nach und erklärte der Deutschen Presse-Agentur: »Ob die Fortsetzung unseres 29-Euro-Tickets, das über eine Million Berlinerinnen und Berliner derzeit in Anspruch nehmen, im Interesse Berlins ist, entscheidet nicht Frau Jarasch, sondern das entscheiden die Berlinerinnen und Berliner am 12. Februar.«

Die Grünen stehen indes mit ihrer Ablehnung eines dauerhaften 29-Euro-Tickets längst nicht allein da. So stellte auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) am Donnerstag klar, dass man wenig von Salehs Idee halte. »Natürlich hört sich ein möglichst günstiges Monatsticket für den Nahverkehr für alle gut an. Angesichts von Kosten in dreistelliger Millionenhöhe wäre ein zusätzliches Berlin-Ticket für 29 Euro pro Monat allerdings klima- und sozialpolitisch kontraproduktiv«, sagte Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser. Statt die knappen Haushaltsmittel per Gießkanne zu verteilen, sollten diese eher dafür eingesetzt werden, »gezielt Menschen mit geringen Einkommen zu entlasten und mehr Geld in den Ausbau des ÖPNV, des Radverkehrs, in den Klimaschutz und das Stadtgrün zu stecken«.

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