Sachsens Identität wurde wiedergefunden

Schöne Bescherung in Dresden: Ermittler stellen viele der aus dem Grünen Gewölbe geraubten Kunstschätze sicher

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

In Sachsen war in diesem Jahr schon am Vorabend des 4. Advent Bescherung. Dafür sorgten Ermittler, die völlig überraschend einen erheblichen Teil der Kunstschätze sicherstellen konnten, welche im November 2019 bei einem spektakulären Einbruch in das historische Grüne Gewölbe im Dresdner Schloss geraubt worden waren. Aus den Ausstellungsräumen, die zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) gehören, waren damals mehrere einzigartige barocke Schmuckgarnituren entwendet worden. SKD-Direktorin Marion Ackermann hatte von einer Art »Staatsschatz« des 18. Jahrhunderts gesprochen. Jetzt wurden 31 Teile sicher gestellt, teilten die Staatsanwaltschaft Dresden, das Landeskriminalamt Sachsen und die damals für die Ermittlungen gebildete Soko „Epaulette» mit. Darunter seien „mehrere vollständig erscheinende Stücke», heißt es. Zu den Teilen, die nicht wieder aufgetaucht sind, gehört die namensgebende Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen», einem 50 Karat schweren Diamanten.

Gefunden wurde das Raubgut in Berlin – in der Stadt also, aus der die seit Januar 2022 in Dresden vor Gericht stehenden mutmaßlichen Täter kommen. Den sechs jungen Männern, die allesamt einer in Berlin lebenden Großfamilie angehören, werden unter anderem schwerer Bandendiebstahl und besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die Täter waren in den Morgenstunden des 25. November 2019 durch ein Fenster eingestiegen, dessen historisches Eisengitter sie zuvor durchtrennt hatten, zerschlugen mit äußerster Brutalität das Schutzglas der Vitrine und bedienten sich an den Schmuckgegenständen. Zuvor hatten sie zunächst Feuer in einem Verteilerkasten neben einer Elbbrücke gelegt, um die Straßenlaternen rund um das Schloss lahmzulegen. Nach dem binnen weniger Minuten ausgeführten Coup setzten sie in einer Tiefgarage ihr erstes Fluchtfahrzeug in Brand, wobei 61 Autos beschädigt wurden und mindestens zwei Menschen Rauchgasvergiftungen erlitten.

Hinter dem jetzigen Ermittlungserfolg steht offenkundig eine Absprache bei Gericht. In der Mitteilung der Ermittler ist von „Sondierungsgesprächen» zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft die Rede. Unter Einbeziehung des Gerichts habe man über eine „mögliche Verfahrensverständigung und die Rückführung noch vorhandener Beutestücke» gesprochen. Näheres zu dem Deal dürfte erst am nächsten Verhandlungstag vor dem Dresdner Landgericht an diesem Dienstag bekannt werden. Mehrere der Täter sind durch DNA-Spuren vom Tatort schwer belastet. Drei von ihnen waren ein Jahr nach der Tat bei einer groß angelegten Razzia mit 1700 Beamten in Berlin gefasst worden, die weiteren bis August 2021. Spuren in die Hauptstadt hatte es früh gegeben, vor allem wegen auffälliger Parallelen zu einem Raub im Jahr 2017. Dabei wurde eine Goldmünze im Wert von 3,75 Millionen Euro aus dem Bodemuseum Berlin gestohlen. Wegen ihrer Beteiligung an dieser Tat sind zwei der jetzt Angeklagten zwischenzeitlich vom Landgericht Berlin verurteilt worden. Mit Spannung wird nun erwartet, wie sich der offenkundige Deal auf die Verhandlung in Dresden auswirkt, in der die Beweisaufnahme weitgehend abgeschlossen ist.

Die sichergestellten Kunstgegenstände, die „unter Absicherung durch Spezialkräfte der Polizei» nach Dresden gebracht wurden, sollen dort nun zunächst kriminaltechnisch untersucht werden. Danach sollen Spezialisten der SKD ihre Echtheit und Vollständigkeit prüfen. Allein der Versicherungswert der geraubten Schmuckstücke betrug 113,8 Millionen Euro. Ihr immaterieller Wert lässt sich nicht beziffern. Dirk Syndram, damals Direktor des Grünen Gewölbes, hatte nach dem Einbruch von „einer Art Welterbe» gesprochen. Der damalige sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) hatte die Tat gar zu einem „Anschlag auf die kulturelle Identität aller Sachsen» stilisiert. Ministerpräsident Michael Kretschmer (ebenfalls CDU) hatte erklärt, man könne „die Geschichte von Sachsen nicht verstehen» ohne das Grüne Gewölbe.

Nun ist die sächsische Identität zumindest in guten Teilen wieder hergestellt. Kretschmer lobte die „professionelle Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft» und bekräftigte, die Kunstgegenstände gehörten zum „kulturellen Erbe unseres Landes». Kunstministerin Barbara Klepsch (CDU) zeigte sich „hoffnungsvoll», dass sich die durch den Einbruch entstandene „Wunde» im Grünen Gewölbe nun bald schließen werde. Die grüne Kulturpolitikerin Claudia Maicher sprach von einer großartigen Nachricht für alle, die seit dem Raub „auf Wiedererlangung der Kunstwerke gehofft» hätten. Dabei hatte es auch spektakuläre Rückschläge gegeben. Ende November war bekannt geworden, dass Vertreter der SKD in Amsterdam auf einen Betrüger hereingefallen waren, der versprochen hatte, dem Museum zu Teilen des Raubguts zu verhelfen, und dann mit 40 000 Euro in bar verschwunden war.

Rund um den Raub waren viele andere Versäumnisse offenkundig geworden. So seien die Schutzmaßnahmen im Grünen Gewölbe völlig unzureichend gewesen, wie Linksfraktionschef Rico Gebhardt kürzlich anlässlich des dritten Jahrestags des Raubs noch einmal angemerkt hatte. Der Fall sei ein „trauriges Beispiel dafür, wie die blinde Sparwut und die träge Selbstzufriedenheit der Staatsregierung und ihrer Behörden uns in Sachsen immer wieder Geld und Ansehen kosten». Gebhardt kritisierte, dass für das Versagen bisher niemand die politische Verantwortung übernommen habe, und sprach von „Verantwortungsflucht». Die glückliche Wendung, die der Fall jetzt genommen hat, dürfte die Bereitschaft nicht eben erhöhen, daran etwas zu ändern. 

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