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- Gleichberechtigung bei Olympia
Faktor X
Die Nordischen Kombiniererinnen kämpfen um einen Olympiastart – und ihre Sportart um die Zukunft
Nathalie Armbruster ist zarte 16 Jahre alt und hat schon Geschichte in ihrer Sportart geschrieben. Am ersten Dezember-Wochenende stürmte die Teenagerin beim Weltcupauftakt in Lillehammer auf Platz drei und holte damit den ersten Podestplatz für die deutschen Nordischen Kombiniererinnen überhaupt. Die »Traumreise« zur Junioren-Weltmeisterschaft im kanadischen Whistler (29. Januar bis 5. Februar) ist damit genauso gebongt wie ihr Auftritt bei der Nordischen Ski-WM im slowenischen Planica knapp drei Wochen später.
Eigentlich könnte die Welt also nicht schöner aussehen für dieses Ausnahmetalent aus dem Schwarzwald. Wäre da nicht das Olympiaproblem, mit dem sich die »Königinnen des Wintersports« seit einer umstrittenen Entscheidung im Juni herumschlagen. Damals verweigerte das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Kombiniererinnen die Olympiapremiere in Mailand und Cortina 2026. Und stellte obendrein die Olympiazukunft der Männer infrage, die bereits seit den ersten Winterspielen 1924 in Chamonix ununterbrochen zum Programm gehören.
Als Begründung nannte IOC-Sportdirektor Kit McConnell die »mangelnde Attraktivität der Sportart« und die geringe Anzahl von Nationen, die die Sportart dominieren. Für die Kombiniererinnen gab es im ARD-Interview noch eine ganze spezielle Ohrfeige dazu: »Wir sehen hier derzeit weder die Vielfältigkeit noch den öffentlichen Zuspruch und auch kein breites Leistungs-Niveau, um eine Aufnahme ins olympische Programm zu rechtfertigen.«
Seitdem ist die ganze Sportart in Aufruhr. Direkt vor dem Langlaufrennen beim Weltcupauftakt in Ruka formten auch die Männer mit ihren Skistöcken in der Luft ein X. Sie schlossen sich damit ihren Kolleginnen an, die genauso schon eine Woche zuvor protestiert hatten und dies eine Woche später bei ihrem Start in die Weltcupsaison wiederholen sollten. Das X steht für »no eXception«, also »keine Ausnahme«. Denn die Nordische Kombination ist die einzige Sportart, in der es bei Olympia keine Wettbewerbe für Frauen gibt. Ein sogenannter X-Faktor steht üblicherweise positiv für etwas, das jemanden aus der Masse hervorhebt. Auf diesen Faktor X aber würde die Kombinations-Familie gern verzichten.
Das X ist zum Symbol der Protestbewegung gegen das IOC geworden – genau wie der Bart, den sich Weltmeisterin Gyda Westvold Hansen gemeinsam mit ihren norwegischen Kolleginnen beim nationalen Saisonstart ins Gesicht gemalt hatte. »Wir finden es ziemlich absurd, dass man tatsächlich einen Bart haben muss, um an Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen«, sagte die Weltmeisterin damals. Auch beim Zieleinlauf kreuzt Hansen mittlerweile die Stöcke über dem Kopf. Die überragende Athletin hat meist genug Vorsprung dafür. So auch am Freitag in Ramsau, als Nathalie Armbruster hinter der österreichischen Lokalmatadorin Lisa Hirner erneut auf Platz drei einlief.
All diese Aktionen zeigen nach Meinung von Horst Hüttel, »dass diese Sportart lebt und es falsch ist, jungen Frauen den Olympiastart zu verbieten«. Hüttel ist beim Deutschen Skiverband für die Disziplinen Nordische Kombination und Skispringen zuständig. Bei den Fliegerinnen hat er seit der Olympia-Premiere 2014 in Sotschi auf der Normalschanze erlebt, wie sich eine für Frauen junge Sportart erfolgreich entwickeln kann. 2022 in Peking war erstmals das Mixed-Skispringen olympisch, 2026 gibt es die Premiere im Großschanzenspringen für die fliegenden Frauen.
Dass das IOC den Kombiniererinnen keine Chance gibt, kann nicht nur er überhaupt nicht verstehen. »Es gibt halt Sportarten, die nicht jeder Breitensportler machen kann und die genau deshalb für die Zuschauer attraktiv sind. Das extrem telegene Skispringen ist das beste Beispiel, genauso wie die Nordische Kombination. Im Sommer gilt das zum Beispiel für den Zehnkampf«, argumentiert Hüttel.
Die mangelnde Vielfalt bei den Frauen-Wettbewerben in der Kombination ist ein Vorwurf vom IOC, nachdem bei der ersten WM 2021 in Oberstdorf nur zehn Nationen am Start waren. Dass jüngst laut Hüttel bei einem Bob-Weltcup nur neun Frauen-Schlitten aus drei Nationen am Start waren, »interessiert dagegen offenbar niemanden«. Auch den Vorwurf mangelnder Telegenität der Sportart kann Hüttel zumindest für Deutschland entkräften – schließlich hatte der Teamwettbewerb der Winterzweikämpfer bei Olympia 2022 die »höchste Quote in der ARD noch vor dem Abfahrtslauf der Männer«.
Mit solchen Argumenten, mit Protesten, aber auch Reformen will die Kombinierer-Szene das IOC nun davon überzeugen, dass die Frauen ins Programm der Winterspiele gehören. Beim Weltcup an diesem Wochenende in Ramsau zum Beispiel werden Vordenker der Szene erneut über die Einführung einer Single-Mixed-Staffel diskutieren. Ein Wettbewerb mit je einem Mann und einer Frau könnte ähnlich wie im Biathlon die Attraktivität der Sportart für TV und Zuschauer an der Strecke erhöhen.
Das Problem mit der zu geringen Zahl von Nationen soll mit Patenschaften von großen Kombinations-Ländern wie Norwegen oder Deutschland gelöst werden. Der DSV unterstützt zum Beispiel einen holländischen Sportler im Sportinternat in Winterberg und hilft der Schweiz und Italien mit Know-how. Dass man mit all diesen Maßnahmen das IOC im Sturm überzeugen kann, glaubt Hüttel dennoch nicht: »Das wird kein 100-Meter-Sprint, sondern ein Marathon.«
Der DSV-Mann glaubt im Gegensatz zu anderen auch nicht, dass es doch eine »Hintertür« für die Aufnahme der Frauen ins Olympia-Programm von 2026 gibt. Entscheidend wird nach seiner Meinung die Nordische Ski-WM 2025 in Trondheim sein, wo die norwegischen Ausrichter gern genauso viele Kombinations-Wettbewerbe für die Frauen wie für die Männer stattfinden lassen wollen. Und dann kommt es natürlich auch darauf an, wie viel Interesse die Kombinierer-Männer bei Olympia 2026 auf sich ziehen. Danach kommt es voraussichtlich im Mai 2026 zur Entscheidung über die Olympiazukunft einer absoluten Traditionssportart – entweder die Frauen werden für die Winterspiele 2030 zusätzlich aufgenommen oder auch die Männer fliegen raus.
Dass die Brisanz dieses Themas inzwischen den gesamten Wintersport erreicht hat, zeigt auch der Fakt, dass sich sogar der CEO der Wintersport-Firma Swix für die Kombiniererinnen einsetzen will. Wenn Wirtschaft und Geld mit im Spiel sind, kann das beim IOC bekanntermaßen nie schaden. Und auch der Internationale Skiverband FIS kämpft in Person von Renndirektor Lasse Ottesen um die Olympiarechte der Frauen – der Norweger hat IOC-Kritiker McConnell zu einem Live-Erlebnis bei der WM nach Planica eingeladen.
Beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) verfolgt man die dramatischen Entwicklungen um die junge Sportart aufmerksam. Die für die Absicherung so wichtigen Behördenstellen für Sportlerinnen wurden bisher nicht reduziert, dafür gibt es aber weniger finanzielle Unterstützung. Trotzdem hat bisher keine der deutschen Topathletinnen ihren Olympiatraum aufgegeben. Nathalie Armbruster zum Beispiel ist auch deutsche Juniorenmeisterin im Skispringen, dennoch bleibt sie dem Winterzweikampf bislang treu. Hüttel: »Die Mädels kämpfen und das kommt von ganz innen. Es geht um die Existenz einer ganzen Sportart.«
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