Nicht im Interesse des Marktes

Die griechische Soli-Seifen-Kooperative Viome kämpft mit hohen Preisen und Energiekosten

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Graffiti am Fabrikgebäude von Viome
Ein Graffiti am Fabrikgebäude von Viome

Nach einigen Minuten des Wartens öffnet Giorgos Deligiannis die Tore der Fabrik Viome. Sie sind nur mit Wellblech besetzt, aber markieren einen Schutzwall. Es ist Nachmittag und außer der bei der Begrüßung aufgeregten zwei Hunde ist bei Viome am Rande Thessalonikis absolute Feierabendruhe eingekehrt.

Nach Dienstschluss hat Giorgios Deligiannis eine Aufsichtsschicht übernommen, denn die besetzte Fabrik Viome muss rund um die Uhr überwacht werden. Einst Tochterfirma der Filkeram Johnson AG, eines 1961 gegründeten Herstellers für Keramikfliesen, meldeten die Eigentümer*innen namens Filippou 2011 Konkurs an. In Selbstverwaltung übernahmen 2013 einige Arbeiter*innen den Betrieb. Nach dem weltweiten Erfolg des solidarischen Seifenstücks wurde das Sortiment derweil ausgebaut. Indes stellt Viome Seifen zur Körperpflege in verschiedenen Düften, flüssig und fest, Putzmittel für den Haushalt mithin herkömmliche und ökologische Reinigungsprodukte mit Qualitätsanspruch her.
»Wir zeigen jeden Tag aufs Neue, dass es Viome noch gibt«, erzählt Deligiannis mit Rückblick auf die letzten Jahre des Bestehens der Kooperative. Die Verkaufszahlen seien derzeit auf ein Mindestmaß abgesunken, »aufgrund der Krise, die die ganze Welt betrifft«. Doch die Solidarität sei ungebrochen. Schließlich hielt sich das Interesse »des Marktes« am alten Fabrikgelände, um das soviel Fasaría, wie es im Griechischen heißt, also Aufhebens gemacht wird, bisher in Grenzen. Nachdem die Zwangsversteigerungen verhindert wurden, war Viome bestrebt, den Status einer rechtmäßigen Kooperative zu erwerben. Stattdessen veranlasste die griechische Regierung unter der konservativen Partei Nea Dimokratia im März 2020, einige Wochen nach Beginn des in Griechenland strengen Lockdowns während der Corona-Pandemie, Viome vom Stromnetz zu nehmen. Durch Spenden wurde ein mit Öl betriebener Generator angeschafft, der die Stromversorgung nun sicherstellt. Um die Energiekosten der Produktion weiter senken zu können, wird mit Photovoltaikanlagen Strom erzeugt und mit Batterien gespeichert, damit bei Dunkelheit das Licht angeschaltet werden kann.

Dass Rohstoffpreise und die Energiekosten in diesem Jahr so stark gestiegen sind, machte auch Viome zu schaffen. Haben sie doch »nichts mehr mit denen vom letzten Jahr zu tun«, echauffiert sich Deligiannis und zählt die Produktionsmaterialien wie Essig, Flaschen und Papier zum Verpacken auf. »Weil wir kein kapitalistisches Unternehmen sind, müssen wir zu den Preisen einkaufen, die uns genannt werden und in Vorleistung gehen.« Insofern war im Laufe des Jahres ein reibungsloser Produktionsablauf gefährdet. »Eine Zeit lang konnten wir die alten Preise halten, aber ab einem Punkt konnten wir nichts mehr von unseren Zulieferern beziehen«, so Deligiannis. Folglich hat auch Viome die Preise angezogen, nicht etwa »um übermäßigen Gewinn zu erwirtschaften«, beteuert er und schaut sorgenvoll. Darauf angesprochen, fährt er fort: »Das ist das wichtigste Problem für uns. Wir wollen ja nicht ständig selbst die Preise erhöhen, besonders nicht bei Produkten, die sich an Arbeitende und vulnerable
Gruppen richten.«

Kann man bei der Preisgestaltung den eigenen Ansprüchen nicht genügen, war die Nachfrage nach Flüssigseifen besonders in der Pandemie vorhanden. Seit den Lockdowns in Griechenland bestellen viele in Griechenland Ansässige über den eigenen Onlineshop. Inzwischen gibt es wieder mehr Veranstaltungen. Sowieso ist Viome eine richtige Institution, die Gäste wie die berühmte Globalisierungskritikerin Noami Klein, Popsänger*innen, Berufstätige und ehrenamtliche Aktivist*innen aus der ganzen Welt anzieht und dabei gesellschaftliche Bedeutung vor Ort hat: Vergangene Woche erst waren über 80 Schüler*innen eines Gymnasiums aus Thessaloniki-Harilaou auf Exkursion bei der Kooperative. Die Märkte ohne Zwischenhändler*innen, bei denen Viome präsent ist oder gar Gastgeberin, laufen wieder »so wie vorher«, berichtet Deligiannis. »Nur bedeutet das nicht, dass die Leute Geld ausgeben können. Wir haben dafür vollstes Verständnis, weil wir das Gleiche durchleben.« Dennoch haben sich die Verkaufszahlen auf einem stabilen Niveau eingependelt, sodass es weitergehen kann. Sollten die Preise sich noch mal verdoppeln, wäre der Fortbestand aber gefährdet, so Deligiannis.

Das Dasein in permanenter Unsicherheit ist gleichwohl nicht nur wirtschaftlich begründet. Theoretisch bestünde »jeden Tag Gefahr«. In der griechischen Solidaritätsinfrastruktur waren und sind Konsum-Läden angesiedelt, die die Produkte von Kooperativen und günstige Mittagstische anbieten. Viele Besetzungen und soziale Zentren wie in Thessaloniki die »Mikropolis« sind teils seitens der Regierung geschlossen worden. Insofern trifft Giorgos Deligiannis an diesem Nachmittag Aussagen über die Zukunft nur unter Vorbehalt: »Wie lange es Viome geben wird, hängt nicht von dem ab, was wir uns wünschen. Realistischerweise ist es schwierig in einer solchen kapitalistischen Gesellschaft wie unserer, wo es nur ums Geld geht.« Jedes Jahr stehe man vor anderen Schwierigkeiten, so Deligiannis weiter. »Bald feiern wir den zehnten Geburtstag und wir sind immer noch da! Mit sehr viel Mühe haben wir es bis hierhin geschafft. Bis jetzt. Man kann es ja nie wissen.«

Die Seife von Viome kann auch im nd-Shop erworben werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.