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Weniger Parkplätze und mehr Sicherheit
Im Berliner Bezirk Mitte sind dieses Jahr 50 Kreuzungen umgestaltet worden
»Ich hätte nicht gedacht, dass so ein bisschen Farbe und ein paar Fahrradständer so einen Unterschied machen. Es ist wirklich toll, wie sich die Situation an dieser Kreuzung verbessert hat«, sagt der junge Anwohner enthusiastisch. Er sagt das zu Almut Neumann, der Verkehrsstadträtin des Berliner Bezirks Mitte. Die Grünen-Politikerin steht an diesem vernieselten späten Montagnachmittag an der Kreuzung von Tegeler- und Sprengelstraße.
Weiß schraffierte Sperrflächen verringern die Fahrbahnbreite an den vier Ecken der Kreuzung, dann folgen die Fußgängerüberwege, an die sich jeweils auf ehemaligen Auto-Parkplätzen nach Kategorien sortierte Abstellflächen für Fahrräder, Lastenräder, motorisierte Zweiräder und auch die von vielen als Pest empfundenen E-Tretroller anschließen. Fahrradbügel, Poller oder rot-weiße Querbaken verhindern das Falschparken von Autos an diesen Stellen, im schönsten Amtsdeutsch »Fehlnutzung« genannt. 50 Kreuzungen im Bezirk wurden im Jahr 2022 so gesichert.
»Das ist eine tolle Maßnahme, die ganz vielen Menschen zugute kommt«, sagt Stadträtin Almut Neumann und hebt vor allem die Seniorinnen und Senioren hervor, die durch die bessere Sicht deutlich angstfreier die Kreuzungen queren können. »Man sieht besser, die Kreuzungen können nicht mehr einfach zugeparkt werden, und es ist einfach eine Maßnahme, die vergleichsweise einfach umzusetzen ist, sodass man in die Masse kommt«, erklärt Neumann. Besonders froh ist sie, dass das geplante Soll auch umgesetzt werden konnte. »Ich war mir wirklich unsicher, ob das klappen würde.«
Hochzufrieden ist man auch bei Fuss e. V., dem Fachverband Fußverkehr, der zu dem Termin eingeladen hatte, um sich bei der Stadträtin für die Maßnahme zu bedanken. Roland Stimpel, der Berliner Landessprecher des Verbands, hat sich dafür sogar als Weihnachtsmann verkleidet und ein kleines Gedicht geschrieben, das er aufsagt, bevor es kleine Geschenke für die Stadträtin gibt.
Gleich sieben Vorteile des Programms benennt die Fußgängerlobby. »Parkplätze werden viel effizienter und für die besseren Individualfahrzeuge genutzt«, heißt es. Allein an dieser Kreuzung sind 12 bis 15 legale Parkplätze zu Dutzenden Stellplätzen für Zweiräder umgenutzt worden. »Damit kommen letztere auch weg vom Gehweg«, freut sich Roland Stimpel. Auch werde die Sicht beim Queren für Gehende und Fahrende besser und die Hemmschwelle für das Eckenparken höher. Ebenfalls gelobt wird vom Fußverkehrsverband, dass diese Maßnahmen »serienmäßig mit administrativ und baulich einfachen Mitteln« umgesetzt werden. »Es ist mein Ansatz, sehr, sehr pragmatisch heranzugehen und in die Fläche kommen«, sagt Stadträtin Neumann. »Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viel Aufwand es dann doch noch ist, weil jedes dieser Verkehrszeichen angeordnet werden muss. Und jede Anordnung von Verkehrszeichen bedeutet auch, dass ganz viele Parteien angehört werden müssen, sodass es dann doch recht viele Schritte sind, bis diese Kreuzung letztendlich steht«, erläutert sie. Dennoch sei es nicht zu vergleichen mit Projekten, die auch Tiefbaumaßnahmen beinhalteten. Muss die Straße aufgerissen werden, bedeute das »einen ganz anderen Aufwand«.
»Um viele Ortstermine kommen wir nicht herum. Wir müssen ja schauen, wo ein Behindertenparkplatz oder ähnliches bleiben sollte. 50 Kreuzungen bedeuten auch 50 Ortstermine«, berichtet Wolf Arnold von der Straßenverkehrsbehörde.
»Weil es immer nur um einzelne Parkplätze geht, löst es wenig Widerstand aus – auch wenn in der Summe viel Parkraum umgewandelt wird«, nennt die Fußgängerlobby einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Pluspunkt des Programms. Allein bei den 50 Kreuzungen geht es um Hunderte Auto-Parkplätze. Trotzdem hat es bisher keine einzige Klage gegeben.
»Wir kämpfen ja wirklich sehr mit dem Straßenverkehrsrecht, was nicht positiv für uns ist. Es hat aber tatsächlich sehr den fließenden Verkehr und die Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs im Blick, aber weniger den ruhenden Verkehr. Bislang sehen wir da überhaupt keine Risiken«, sagt die Stadträtin.
Auch Vertreterinnen des Fahrradclubs ADFC und des Vereins Changing Cities sind vor Ort, die Detailkritik üben. An einer Stelle stehen Schilder zu eng, sodass E-Scooter-Fahrende nur von der Bürgersteigseite die vorgesehenen Stellplätze erreichen können, woanders ist der Platz für ein Fahrrad zu knapp.
»Die Kreuzungen sind oft trotzdem noch nicht perfekt«, räumt Politikerin Neumann ein. Der Ansatz sei jedoch, zunächst die Schilder aufzustellen und Markierungen zu machen. Detailkorrekturen seien dann im Nachgang immer noch möglich. Später seien auch weitere Verbesserungen drin, wie beispielsweise den ganzen Kreuzungsbereich auf Bürgersteigniveau hochzupflastern. Doch das bedeute anderthalb bis zwei Jahre zusätzlichen Zeitaufwand für Planung und Genehmigung. Dann würden auch weitere Probleme zum Tragen kommen. Nicht nur, dass Planerinnen und Planer fehlen, auch die Baukapazitäten der Privatwirtschaft sind personalbedingt sehr begrenzt. Und schließlich würden bei so einem großen Umbauprogramm auch die Haushaltsmittel nicht mehr reichen, um alles zu realisieren. Die aktuell gewählte Lösung ist preisgünstig. Geschätzt 12 000 Euro mussten an dieser Kreuzung investiert werden.
»Ich bin ehrlich gesagt sehr zufrieden, was wir im Bezirk Mitte erreicht haben, was die Mobilitätswende angeht«, sagt Almut Neumann. Sie kündigt an: »Im nächsten Jahr wollen wir 100 Kreuzungen schaffen.«
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