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Roter Dammbruch in Thüringen
SPD in Hildburghausen stimmt mit AfD für Abwahlverfahren gegen Linke-Bürgermeister und handelt sich Schelte vom Landesvorstand ein
Erst war er mit einer großen Mehrheit gewählt, nun muss er sich einem Abwahlverfahren stellen: Hildburghausens Bürgermeister Tilo Kummer (Linke). Die Mitglieder des Stadtrats der Kreisstadt im Süden Thüringens stimmten am Donnerstagabend mehrheitlich dafür, dass die Bürger nun noch einmal über die politische Zukunft Kummers entscheiden sollen. Stimmt bei einem solchen Entscheid mehr als ein Drittel der etwa 9000 wahlberechtigten Einwohner der Stadt dafür, Kummer aus dem Amt zu entfernen, verliert der 54-jährige ehemalige Landtagsabgeordnete seinen aktuellen Job. Wann die Abstimmung stattfindet, ist unklar. Darüber entscheidet die zuständige Kommunalaufsicht.
Für den Antrag, das Abwahlverfahren gegen Kummer zu beginnen, hatten mit Ausnahme der Vertreter der Linke-Stadtratsfraktion alle anderen anwesenden Stadträte gestimmt – was nun auch landespolitisch zu einigem Ärger führt, besonders innerhalb der Thüringer SPD. Denn immerhin bedeutet dieses Abstimmungsergebnis, dass die lokalen Sozialdemokraten bei einer so wichtigen Entscheidung gemeinsam mit Vertretern der dortigen AfD und der offen rechtsextremen Gruppierung BZH abgestimmt haben. Dieser Vorgang ist deshalb aus sozialdemokratischer Sicht besonders brisant, weil Vertreter der Landes-SPD regelmäßig die CDU scharf angreifen, wenn die Union eine Zustimmung der AfD zu ihren Vorhaben im Landtag auch nur billigend in Kauf nimmt. In der Vergangenheit war das mehrfach geschehen.
Zuletzt etwa hatte die Thüringer CDU-Landtagsfraktion gemeinsam mit der AfD-Fraktion einen Unions-Antrag gegen die Verwendung von gendergerechter Sprache durch das Landesparlament gebracht, was nicht nur von Vertretern der Thüringer SPD scharf kritisiert worden war. Auch der Generalsekretär der Bundes-SPD, Kevin Kühnert, hatte die CDU für deren Verhalten im Landtag massiv angegriffen. »Es handelt sich bei diesem Antrag um eine bewusste Grenzverschiebung, um Abstimmungsmehrheiten unter Zuhilfenahme der AfD zu normalisieren«, hatte Kühnert dem »Tagesspiegel« gesagt.
Es kommt also nicht von ungefähr, dass sich der Vorsitzende der Thüringer SPD, Georg Maier, sowie der gesamte geschäftsführende Landesvorstand der Partei wütend über das Abstimmverhalten der SPD-Stadträte in Hildburghausen zeigen. »Wer zusammen mit der AfD und Rechtsextremen einen Abwahlantrag gegen einen demokratisch gewählten Bürgermeister unterstützt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob das mit den antifaschistischen Grundwerten unserer Partei vereinbar ist«, heißt es in einer Mitteilung der Landes-Partei. Maier und der Parteivorstand »missbilligen« das Verhalten der Genossen im Süden Thüringens.
Und mehr noch: »Der Demokratie und der SPD Thüringen wird dadurch Schaden zugefügt«, steht in der Mitteilung. Die Probleme, die es in Hildburghausen zwischen Kummer und dem Stadtrat gegeben habe, rechtfertigen das Abstimmungsverhalten der lokalen Sozialdemokraten »keinesfalls«. »Umso größer ist unsere Fassungslosigkeit.«
Kummer war im März 2020 zum Bürgermeister von Hildburghausen gewählt worden. Er hatte damals im ersten Wahlgang überraschend fast 52 Prozent der Stimmen erhalten. Seit Monaten allerdings gibt es Kritik an Kummers Arbeit. Viele Menschen in der Stadt und auch viele Stadträte machen ihn zum Beispiel für Probleme bei einem Kindergarten und der Feuerwehr verantwortlich. Im Landtag war Kummer zuvor jahrelang Umweltpolitiker der Linke-Fraktion.
Das Abstimmverhalten der SPD-Genossen im Stadtrat von Hildburghausen verweist allerdings jenseits dieses Einzelfalles auf ein Grundproblem, dass sich in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren immer wieder auf lokaler Ebene gezeigt hat: Trotz aller mehr oder weniger glaubwürdigen Bekenntnisse der verschiedensten Landesverbände unterschiedlichster Parteien, es gebe keine Zusammenarbeit mit der AfD, gibt es auf lokaler Ebene immer wieder gemeinsame Abstimmungen mit AfD-Leuten. So hatten nach einem damaligen Bericht des »Nordkurier« beispielsweise Anfang 2020 Vertreter von SPD, Linken und Grünen im Finanzausschuss des Stadtrats von Waren an der Müritz einem AfD-Antrag zugestimmt. Wie nun in Südthüringen hatte dieses Abstimmungsverhalten einen Aufschrei innerhalb der Landespolitik ausgelöst.
Immer wieder werden gemeinsame Abstimmungen mit der AfD etwa in Gemeinde- oder Stadträten durch die dortigen Vertreter anderer Parteien oder Wählervereinigungen damit begründet, es gehe auf »kommunaler Ebene« darum, ganz konkrete Dinge für die Menschen vor Ort zu verbessern, dabei hätten »Parteipolitik« oder »Ideologie« keinen Platz. Kritiker dieser Haltung – wie die Thüringer Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss – dagegen sagen, durch gemeinsame Abstimmungen werde die AfD normalisiert. Nach dem Vorfall von Hildburghausen twitterte sie: »Mit krassen Nazis gegen links stimmen, muss Konsequenzen haben.«
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