Meister der Selbstverharmlosung stehen vor Gericht

Die Beteiligung rechter Gruppen am Sturm auf das Kapitol wird derzeit juristisch aufgearbeitet. Doch es bleiben Fragen – vor allem zur Rolle der Polizei

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Proud Boys, Patriot Front und andere rechte Gruppen protestieren am 24. September, 2022 in Katy, Texas gegen den Auftrutt einer Drag-Queen
Die Proud Boys, Patriot Front und andere rechte Gruppen protestieren am 24. September, 2022 in Katy, Texas gegen den Auftrutt einer Drag-Queen

Einige Mitglieder von zwei prominenten rechtsgerichteten Gruppen, die beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 mitmischten, wurden inzwischen angeklagt oder juristisch belangt. Der Chef des »Oath Keepers«-Milizen, Stewart Rhodes, sowie sein Florida-Chef wurden Ende November bereits wegen »aufrührerischer Verschwörung« verurteilt. Die Verteidigung kündigte unmittelbar danach an, Berufung einlegen zu wollen. Der Prozess gegen fünf angeklagte Mitglieder der »Proud Boys« läuft gerade an, Jurymitglieder werden in diesen Tagen ausgewählt. Beide Gruppen waren in den letzten Jahren berüchtigt für die Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen, besonders mit linken Demonstrierenden und Aktivisten. Die rechten Pöbler und Prügler hatten zuvor durch ihren Terror auf den Straßen von Virginia bis Oregon Schlagzeilen gemacht, doch direkt ins Herz des amerikanischen Machtapparates wagten sie sich erst am 6. Januar.

Eine Verurteilung wegen des Straftatbestands »Aufrührerische Verschwörung« hat hohe juristische Hürden. Wegen dieses Delikts wurden im 19. Jahrhundert vor allem Südstaaten-Rebellen im US-Bürgerkrieg belangt. In der jüngeren Vergangenheit richteten sich solche Verfahren gegen rechtsradikale Milizen, radikale Gewerkschafter oder islamistische Terroristen.

Die Staatsanwaltschaft warf den Oath Keepers nun ebenfalls vor, sich gegen die Verfassungsordnung erhoben zu haben: »Sie haben vorgegeben, die Republik retten zu wollen; stattdessen haben sie die Republik fast zerstört«, so die Anklage. Stewart Rhodes habe vor dem Kapitol auf die buntgemischten Demonstranten »wie ein General auf seine Truppen im Feld« geschaut.

Die Oath Keepers sind eine Gruppe ehemaliger Polizisten und Militärs, die ausdrücklich ihre Loyalität zur Polizei betonen. Rhodes war Fallschirmjäger und Rechtsanwalt mit Abschluss der Yale University. Er selbst drang nicht ins Kapitol ein; jedoch veranlasse er, dass bewaffnete Männer in einem Hotel in Arlington, Virginia, auf den Ernstfall warteten.

Rhodes soll ein obsessives Interesse für die Antifa hegen: Er behauptete laut »New York Times«, dass ihre Mitglieder Trumps Präsidentschaft durch eine Entführung des Staatsoberhauptes beenden wollten. Die Oath Keepers schicken Sicherheitspersonal für zwei Pro-Trump-Demonstrationen in Washington D.C. Die Jury sah einen Akt der »aufrührischen Verschwörung« darin, dass Rhodes befürwortete, die Auszählung und Zertifizierung der Präsidentschaftswahl durch den Kongress am 6. Januar 2021 zu verhindern. Er wurde in drei Punkten für schuldig befunden; das Strafmaß muss noch festgesetzt werden. Die Jury bestätigte jedoch nicht, dass Rhodes den Akt der Störung der Auszählung tatsächlich vorbereitet habe. Ihm könne nur ein spontanes Handeln nachgewiesen werden. Wegen dieses eklatanten Widerspruchs gibt sich der Anwalt von Rhodes, James Lee Bright, zuversichtlich, dass die Verurteilung im Berufungsverfahren bald aufgehoben wird.

Auch in den Verfahren gegen die Mitglieder der Proud Boys spielen ähnliche Faktoren eine Rolle: Waren die Proud Boys Anführer eines Coups, oder waren sie nur opportunistisch mitbeteiligt? Die Gruppe ist bekannter als die Oath Keepers: Ihr ehemaliger Anführer Enrique Tarrio, der ebenfalls angeklagt wurde, ist eine schillernde Persönlichkeit mit afrokubanischen Wurzeln aus Florida. Obwohl die Proud Boys starke Verbindungen zu Rechtsradikalen pflegen, wahren sie bewusst eine gewisse Distanz zu ihnen. Eher sind sie für Witze, Trinkgelage und popkulturelle Referenzen bekannt: Wer so ironisch auftritt, kann der erwünschten Wahrnehmung nach nicht rechtsradikal sein.

Diese Ambivalenz kam auch beim Sturm aufs Kapitol zu tragen: Die bunte Schar an Unruhestiftern umfasste Menschen wie den gehörnten QAnon-Schamanen und andere scheinbar lächerliche Figuren. So behaupten Mitglieder der Proud Boys, dass sie nur aus Spaß am Kapitol waren. Für den Nachmittag sei ein Privatkonzert mit dem Punk-Sänger Michael Graves geplant gewesen. Personen, die das Kapitol hätten übernehmen wollen, hätten kein solches Unterhaltungsprogramm geplant, so ihre Argumentation. Am 12. Dezember 2021 allerdings hatten Enrique Tarrio und andere Proud Boys eine Black-Lives-Matter-Fahne in Washington D.C. verbrannt; daraufhin wurde ein Proud Boy bei einer Schlägerei niedergestochen. Tarrio wurde daraufhin von der Polizei aufgefordert, Washington D.C. zu verlassen und sich fernzuhalten.

Die drängendsten Fragen kreisen nun um die Beziehungen dieser zwei Gruppen zur Polizei und zum FBI. Wieso hat die Polizei überhaupt erlaubt, dass sich die bekannten Krawallmacher in die Nähe des Kapitols begaben? Das FBI hatte acht Informanten in den Reihen Proud Boys, aber im Vorfeld der Krawalle unternahm die Polizei nichts. Die Gruppe wurde nicht aufgefordert, dem Kapitol fernzubleiben, wie sonst üblich in solch angespannten Situationen. Die Proud Boys sowie die Oath Keepers behaupten, dass sie enge und oft kameradschaftliche Beziehungen zur Polizei haben. Linke Gruppen sowie Medienberichte bestätigen dies.

Biden und den Demokraten US-Kongress liegt daran, die Anwesenheit und Mittäterschaft dieser gewaltbereiten Pro-Trump-Gruppen beim Sturm auf das Kapitol zu betonen. Doch wäre bei einer tatsächlichen Beteiligung dieser Vereinigungen an einer Verschwörung auch die Untätigkeit des amerikanischen Sicherheitsestablishments nicht unproblematisch. Es ist nicht gesichert, dass die Prozesse gegen ihre Anführer diese Gruppen auf Dauer lahm legen werden. Die Toleranz der Trump-Regierung für diese rechten Strukturen hat unter Biden ein Ende gefunden. Aber dass die Regierung den Willen hat, bei den Sicherheitskräften im Land gründlich aufzuräumen, darf bezweifelt werden.

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