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Handwerk statt Büro
Ein Neuköllner Schuh- und Schlüsselmacher soll aus seinem kleinen Laden fliegen – die Nachbarschaft protestiert
Als Dolores den kleinen Laden von Dmitry Berger am Mariendorfer Weg in Neukölln betritt, schaut sie sich erst einmal um. Im Gegensatz zu anderen Gewerbebetrieben und erst recht zu manchen Luxusimmobilien in der Umgebung macht Bergers Schuh- und Schlüsselservice einen etwas aus der Zeit gefallenen, aber gemütlichen Eindruck. »Ich bin zwar kein Kunde, aber trotzdem bin ich vorbeigekommen, weil ich mitbekommen habe, was passiert ist, und mir Herr Berger leid tut«, sagt Dolores, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Die Nachbarin hat die Flyer mit dem Aufruf zu einer Kundgebung vor dem Laden in der Umgebung entdeckt. Sie will Berger unbedingt unterstützen. Wie viele andere im Kiez. Zwei Solidaritäts-Kundgebungen wurden bereits vor dem Haus organisiert, zuletzt nahmen rund 50 Menschen teil. Denn Dmitry Berger könnte verdrängt werden. Sein von Räumung bedrohter Schuh- und Schlüsselservice liegt unweit des S-und U-Bahnhofs Hermannstraße. Er existiert bereits seit 16 Jahren.
Wenn es nach dem Willen des benachbarten Architekturbüros Duktus geht, ist es damit bald vorbei. Das Duktus-Team von Thomas Buser und Johanna Barthen hat das Haus mit dem kleinen Laden, in dem Berger gleichzeitig auch die dahinter liegenden Räume bewohnt, vor gut zwei Jahren gekauft. »Zu Beginn war alles noch freundlich und ich habe auch Schlüssel für die neuen Nachbarn gemacht«, berichtet Berger dem »nd«.
Doch im Herbst 2021 seien, so Berger weiter, seine neuen Vermieter dann auf ihn zugegangen und hätten ihm eröffnet, dass sie das Duktus-Büro gern vergrößern würden, was voraussetzt, dass Berger seinen Laden und eben seine Wohnung verlässt. Die Architekten hätten ihm dann ab und zu Wohnungsangebote eines Immobilienportals ausgedruckt. Berger sagt, er habe sich auch bei einigen Anbietern gemeldet, allerdings wäre nie ein Mietvertrag zustande gekommen. Das Büro Duktus ließ eine nd-Anfrage unbeantwortet.
Berger stammt eigentlich aus Russland. Seit 22 Jahren lebt er in Deutschland, muss sich aber alle drei Jahre um einen neuen Aufenthaltstitel kümmern. Dieser ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Dazu gehört auch die Sicherung seines Lebensunterhalts. So steht Berger vor einem Dilemma: Verliert er seinen Laden, verliert er auch seinen Lebensunterhalt und damit eventuell bald auch seinen Aufenthaltstitel, den er aber zum Suchen einer neuen Wohnung und einer anderen Arbeit dringend braucht.
Am 26. Januar wird die Räumungsklage vor Gericht verhandelt. Schon im Dezember stand der Fall auf der Tagesordnung der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung. Unterstützung kommt dabei auch von Neuköllns Stadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne). »Kleine Gewerbe müssen in unseren Kiezen eine Chance haben und mit genau der Forderung bin ich auch an die Eigentümer der Einheit herangetreten«, teilt Biedermann auf nd-Nachfrage mit. Der Bezirksstadtrat sagt, er beobachte es mit Sorge, wie Läden, Handwerker, aber auch Kitas verdrängt werden. »Das, was danach kommt, richtet sich ganz oft nicht mehr an die Menschen im Quartier. In der Folge werden Wege länger, die Mieten teurer und die Quartiere öder.«
Auch die Nachbarinnen und Nachbarn wissen das. Immer wieder kommen sie auch während der Kundgebungen in den Laden, sagen Berger, dass sie sich mit ihm solidarisieren, geben Schlüsselbestellungen in Auftrag oder wollen etwas abholen. »Bei Herrn Berger habe ich immer meine Schuhe und Schlüssel anfertigen lassen. Es ist wichtig, dass es überhaupt noch einen Schuster hier gibt«, bringt einer der Nachbarn seinen Unmut zum Ausdruck. Auch zum Gerichtstermin Ende Januar wollen sie Dmitry Berger begleiten, sagen die Nachbarn. Sie machen klar: »Wir werden Dmitry auch vor Gericht nicht alleine lassen und ihm auch dort solidarisch zur Seite stehen.«
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