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Kein Schornsteinfeger im Baumhaus
Die Waldbesetzer im »Heibo« bei Dresden rechnen mit einer baldigen Räumung
Der Bezirksschornsteinfeger war nicht im Baumhaus. Er hätte die »Tauglichkeit und sichere Benutzbarkeit der Abgasanlage bescheinigen« müssen. So steht es in einem Schreiben des Landratsamtes Bautzen an einen der Aktivisten, die seit August 2021 ein Waldstück in Ottendorf-Okrilla östlich des Dresdner Stadtrandes besetzt halten und sich dafür Aufenthaltsräume in luftiger Höhe geschaffen haben. Für die gebe es allerdings auch keine Baugenehmigung, moniert die Behörde und fordert dazu auf, die »baulichen Anlagen und nicht genehmigten Feuerstellen« bis zum 23. Januar »vollständig zu beseitigen«. Da die Waldbesetzer das nicht beabsichtigen, rechnen sie mit einer Räumung durch die Polizei ab diesem Datum.
Das Waldstück wurde vor 16 Monaten besetzt, um ein wertvolles Biotop vor der Zerstörung durch den Abbau von Baustoffen zu retten. Das Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH & Co. KG fördert dort in einem früheren Flussbett der einst stark mäandernden Elbe abgelagerte Steine, die heute als Baumaterial gefragt sind. Die geplante Erweiterung der Abbaufelder bedroht Flächen unmittelbar neben streng geschützten Landschaften im Heidebogen der Radeberger und Laußnitzer Heide, den die Baumbesetzer »Heibo« nennen. Es gebe wertvolle alte Wälder und »eines der größten Vorkommen von Kreuzottern in Sachsen«, sagte unmittelbar nach der Besetzung ein Vertreter des Naturschutzbundes Nabu. Zudem verwies er auf Moore, die in Zeiten des Klimawandels eine zusätzliche Bedeutung als CO2-Speicher gewonnen haben. Durch den Kiesabbau drohten Moore, die »nicht zu ersetzen sind«, entwässert zu werden.
Naturschützer wehren sich seit Langem gegen Erweiterungspläne der Kiesgrube. Bei diesen beruft sich das Unternehmen zum Teil auf Genehmigungen aus der DDR-Zeit. Darüber hinaus wurden neue Abbaufelder von über 100 Hektar Fläche beantragt. Behörden müssen in dem Konflikt zwischen Bergbau und Ökologie abwägen. Eine Bürgerinitiative, die seit Jahren in der Region aktiv ist, gibt sich dabei wenig Illusionen hin. Der »behördliche Umgang mit dem Schutzgut Ökologie«, sagte eine engagierte Anwohnerin im August 2021, »spottet jeder Beschreibung«.
Den Aktivisten der Initiative »Heibo bleibt« geht es neben örtlichen Biotopen auch um grundsätzliche Fragen. Sie verweisen darauf, dass der Bausektor eine der Branchen mit dem höchsten CO2-Ausstoß überhaupt sei, und fordern eine »Bauwende«. So sollen bei unbedingt notwendigen Neubauten »die Wiederverwendung von Materialien schon beim Bau mitbedacht« und alternative Baustoffe genutzt werden. Mit der Besetzung wolle man auf Gründe verweisen, »warum unsere Gesellschaft Natur zerstört und so viel Ungerechtigkeit produziert«. Diese lägen vor allem im kapitalistischen System mit seinem zerstörerischen Ressourcenverbrauch. Es gehe darum, das »politische Mantra des Wachstums« zu durchbrechen und neue Wirtschaftsformen zu praktizieren.
Stark in die Öffentlichkeit getragen wurden die Forderungen indes nicht. Die Besetzer im »Heibo« zeigten sich zwar stets offen für Besucher und Interessenten; auch einige Presseberichte erschienen. Es gab aber keine spektakulären Aktionen, die für größeres Aufsehen gesorgt oder etwa dazu geführt hätten, dass sich die Landespolitik mit der Besetzung und ihrem Anliegen hätte befassen müssen. Diese ist denn auch wesentlich weniger bekannt als Besetzungen etwa im Fechenheimer Wald, der für den Bau der Autobahn A661 weichen soll, oder im Kohledorf Lützerath.
Um so eindringlicher werben die »Heibo«-Besetzer jetzt um Aufmerksamkeit und Hilfe angesichts »akuter Räumungsgefahr«. Zum einen lade man Unterstützer in den Wald ein, um ihnen in den verbleibenden Tagen zu zeigen, »wie ihr klettern, bauen und die Cops am geschicktesten nerven könnt«. Zum anderen hofft man auf Solidarität an anderen Orten. Wenn die »Vollstrecker des ökozidalen Kapitalismus Ende Januar im Wald stehen«, solle ihnen mit vielfältigen Aktionen im »Heibo« und außerhalb klargemacht werden, dass »solche Projekte aus dem 20. Jahrhundert nicht ohne Widerstand stattfinden können«. Das Landratsamt Bautzen hat derweil zunächst eine Frist bis 6. Januar gesetzt, innerhalb derer sich die Besetzer »zum Sachverhalt und den angekündigten Maßnahmen« äußern sollen – insbesondere zur Bereitschaft, das Camp freiwillig zu beseitigen.
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