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Avantgarde der Zerstörung
Non Fungible Tokens sind nicht so fortschrittlich, wie oft behauptet wird. In einer zunehmend digitalisierten Welt streben Kunstschaffende damit nach einer Wiederaneignung des Spektakels
Kurz vor Weihnachten begeisterte Donald Trump, der populäre Anführer im Gangsterbanden-Kapitalismus, seine Anhänger mit einer Bilderserie. Auf Superheldenkörper im ikonischen Stil der US-Kulturindustrie waren seine Kopfporträts montiert. Die Ästhetik dieser Scheußlichkeiten erinnert an Schildermalereien auf dem Rummelplatz. Und doch hat sie auch etwas von populistischer Avantgarde: Die Bilder wurden als Non Fungible Tokens (NFTs, einmalige digitale Datensätze, die oft Kunstwerke darstellen sollen) feilgeboten, jedes ein Unikat zum Preis von je 99 US-Dollar.
Ob Superdonald nun mit den viereinhalb Millionen, die der Verkauf der Gräuelbilder im Handumdrehen einbrachte, die Kriegskasse für seinen nächsten Putschversuch füllt? Wie auch immer – die Kitschbild-Politik war eine trivialkulturelle Aneignung jenes NFT-Kunst-Hypes der vergangenen zwei Jahre, der den Auktionshäusern Christie’s und Sotheby’s guten Umsatz brachte. Die Frage, wie dem Tauschwertverlust von Bildern zu begegnen ist, die sich mittels digitaler Technologien unendlich vervielfältigen lassen, ohne dass ihr Gebrauchswert auch nur im Geringsten darunter leidet, ist für den Kunstmarkt lebenswichtig. Digitale Kunstwerke, so die NFT-Strategie, sollen über Blockchain-Techniken der Reproduzierbarkeit entkommen und ihre Exklusivbesitzer*innen wechseln können wie analog gefertigte Arbeiten.
Die Grundlagen dafür wurden vor nahezu zehn Jahren geschaffen. Der Unternehmer Anil Dash und der Künstler Kevin McCoy erhielten den »2022 Webby Lifetime Achievement Award« dafür, dass sie Techniken von Kryptowährungen für den Kunstmarkt adapierten, um die Vermarktungs-Defizite von digitaler Kunst auszugleichen. Ihre Initiative aus dem Jahre 2014, so die Laudatio, ermögliche den Schutz geistiger Eigentumsrechte und realer Gewinnmöglichkeiten der digital produzierenden Künstler*innen.
Hype oder Avantgarde?
Anlässlich der 2021 in Linz gezeigten Show »Proof of Art. A short history of NFTs, from the beginning of digital art to the metaverse«, konstatierte der Kunsthistoriker und Museumsmanager Alfred Weidinger, die künstlerische Hinwendung zur NFT-Technologie sei kein Hype, sondern Avantgarde. Damit stellte er sie auf eine Ebene mit den sozial engagierten künstlerischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und darin steckt eine Paradoxie.
Im Hinblick auf die medialen Seiten der Avantgarde arbeitete Walter Benjamin Mitte der 1930er Jahre an einer Transformation des Kunstbegriffs. Seine Thesen: Neue Techniken aus dem Bereich der industriellen Produktivkräfte schaffen neue ästhetische Techniken der Repräsentation und des Ausdrucks, die wiederum neue Dispositive der Wahrnehmung und der Artikulation erzeugen. Mit seinen Kategorien des rituellen »Kultwerts« und des bürgerlichen »Austellungswerts« unterschied Benjamin archaische, religionsorientierte, feudale und bürgerliche Kunstpraxen. Kunst sei in ihren Anfängen Teil des magisch-religiösen Rituals. In der bürgerlichen Gesellschaft werde das Kunstwerk gemäß seiner Einzigartigkeit bewertet. Der Kultwert hatte seine Legitimität aus der vermeintlichen Teilhabe am Heiligen bezogen. Nun werde er durch den – noch immer vom Auratischen geprägten – Ausstellungswert abgelöst. Zertifizierte Echtheit und die raum-zeitliche Präsenz an einem Ort bestimmten das Kunsterlebnis und die Wertschätzung künstlerischer Produktion.
In den modernen Kunstgattungen Fotografie und Film verliert das Kriterium des »Ausstellungswerts« nach Benjamin seinen Sinn. Technische Reproduzierbarkeit tritt hier nicht als etwas Sekundäres hinzu, wie in anderen Bildkünsten und in der Musik – sie ist ein wesentliches Merkmal der Form. Charakteristisch für die Rezeption von Kunstwerken auf der Höhe der Zeit sei, dass die Aura zerfalle. Die Revolutionierung der Kunst durch massenweise technische Reproduktion, meinte Benjamin, leistet einen Beitrag zur sozialen Revolution.
Benjamins Hoffnungen haben sich nicht bewahrheitet. Ob sein Kunstbegriff Fotografie und Film in Gänze gerecht wird, wäre heute, unter dem Aspekt des medieninhärenten Zerfalls des Auratischen, neu zu diskutieren. Gleichwohl erscheint es wie eine Farce, wenn gerade die Reproduktionskunst schlechthin, die Digitalkunst, nach einer technisch erzeugten Wiederaneignung von auratischer Originalität strebt und dafür als Avantgarde gefeiert wird. Digitalkunstwerke werden dabei, als NFTs, zu gespenstischen Wiedergängern aus der Ära des Ausstellungswerts und des Tauschwerts. Die proprietäre Ökonomie des privatisierten Wertes hat aber keinen objektiven ästhetischen Sinn mehr, seit Kunstwerke ins Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit eingetreten sind.
Die Reproduktionsfähigkeit der als NFTs gehandelten Digitalwerke ist zudem keineswegs abgeschafft. Zumeist ist das digitale Erzeugungs-Format noch vorhanden; es kann zur Erzeugung weiterer NFTs mit veränderten Metadaten genutzt werden. Auch alle Spielarten digitaler Aneignung von Kunstwerken sind weiterhin möglich (wenn auch ohne das begehrte Krypto-Siegel). Die Hoffnung auf eine Trendwende bezüglich der Prekarisierung von Kunst-Produzent*innen ist daher unbegründet.
Die Rückkehr des Kultwerts
Die NFT-Blase ist ein Anzeichen für eine erneute Wiederentdeckung des Kultwertes von Kunst. »Damien Hirst will Tausende seiner Bilder verbrennen«, meldete die »Süddeutsche Zeitung« im Juli 2022; im Oktober gab u.a. die Zeitschrift »Monopol« den endgültigen Vollzug der Verbrennungen anlässlich der Kunstmesse Frieze bekannt. Ein Künstler erkennt die Belanglosigkeit seiner Produktion und entsorgt sie, anstatt die Öffentlichkeit damit zu belästigen? War das nicht eine gute Nachricht? Doch darum ging es natürlich nicht, sondern um einen jener Akte »produktiver Zerstörung« im Sinne der Kapitalismustheorie von Joseph Schumpeter, wo »produktiv« soviel bedeutet wie gewinnträchtig.
Im besten Fall ist Hirsts Zerstörungsspektakel »Currency« ein Fingerzeig auf die Verkehrungen des Kunstmarktes. Wert entsteht nicht durch künstlerisches Können, sondern durch öffentlichkeitswirksam angeheizte Spekulation. Ein Jahr vor der Verbrennung verkaufte Hirst, mit den Optionen auf NFT-Umwandlung oder materiellen Erhalt, bunt gepunktete Papierarbeiten, so dekorativ wie irgendein mit Konfetti bestreuter Tisch. Da sich etwa die Hälfte der Käufer*innen für die Erschaffung eines digitalen »Originals« – unter der Bedingung der Zerstörung des materiellen Objekts – entschied, können die Hirst-Konfettis inzwischen zum Beispiel über die NFT-Handelsplattform OpenSea mitsamt der vom Schöpfer vergebenen Titel eingesehen werden. Das gleichbleibend Bunte heißt dort mal »While the sun’s shining«, mal »That he would die«, mal »Where we live«. Die fortlaufende Liste simpel-aufmerksamkeitsheischender Subjekt-Prädikat-Konstruktionen ohne jeglichen Konfetti-Bezug verstärkt die Beliebigkeit der Objekte. Das, was die als »Währung« betitelte Serie ausmacht, kann letztlich nur ihr Geldwert sein.
Dies unterstützt die dubiose Argumentation des britischen Kunstexperten und Galeristen Michael Findlay, dass Kunstwert durch Geldwert entstehe. Laut seiner Insider-Erzählung »Vom Wert der Kunst« verwandelte die bei Christie’s erzeugte Rekordsumme für Beeples Digital-Collage »Everydays/The First 5000 Days« diesen ganz gewöhnlichen, Internet-konformen Sammelgegenstand in ein Kunstwerk. Zugleich folgt Hirsts »Currency«-Aktion noch immer der bekannten Schumpeter-Logik: Die Preise (der analog verbliebenen Stücke) steigen, indem künstlich Knappheit erzeugt wird. Hirst bleibt seinem Ruf als »Sensation«-Künstler treu: Die im Galerieraum, in entsprechender Kostümierung, erfolgten und inzwischen im Internet nachzuvollziehenden Verbrennungen erzeugten in erster Linie »Spektakelwert« (im Sinne von Georg Seeßlen und Markus Metz), der den »Sammelwert« der Tokens steigert.
Angriff auf das Materielle
Ebenso als Spektakel inszeniert wurde die Vernichtung eines Banksy-Drucks durch eine Gruppe, die der Blockchain-Plattform Injective Protocol nahesteht und sich als Banksy-Fans darstellte, sowie die Verbrennung einer Tagebuchseite Frida Kahlos durch den Krypto-Unternehmer Martin Mobarak (Ursula Scheer hat 2021 und 2022 in der »FAZ« davon berichtet). Neben einer inszenierungsaffinen Spekulationspraxis zeigt sich hier ein grundsätzlicher, destruktiver Angriff auf das Materielle.
In einer nahezu unbekannten Kunstzerstörungsserie von 2021, die auf Youtube zu finden ist und deren Bekanntheit nach Wunsch der hier Schreibenden weiterhin gering bleiben sollte, werden vornehmlich Drucke und Papierarbeiten von verstorbenen, inzwischen wenig bekannten Künstler*innen missbraucht. Die Videoaufzeichnungen dokumentieren eine sadistische Lust des um Aufmerksamkeit ringenden Protagonisten. Er reißt die mit Klebestreifen an der Wand fixierten Kunstwerke ab, hält ihre Signaturen und andere Echtheitsspuren kurz in die Kamera. Sodann bringt er die Werke händisch auf Schredder-Format, um nach ihrer Vernichtung erleichtert aufzuatmen. Ein vergessen geglaubtes Kultobjekt wird ins Zentrum des Video-Ausschnittes gerückt: der Apparat der Vernichtung.
Die Jahre 2021 und 2022 waren Jahre boomender Veröffentlichungen rund um NFT und Metaversum, nicht selten mit dem Zusatz »für Einsteiger«. Kryptowährung und Echtheitssiegel wurden an Spekulationen um eine zukünftige dreidimensionale Parallelwelt gekoppelt. Zunächst Objekt von Science-Fiction-Literatur und Computerspielen, wurde das Metaversum durch Mark Zuckerbergs Version »Horizon Worlds« zum realitätsverändernden Aktionsraum von Marketing und wirtschaftlichen Transaktionen. Dies deutet auf einen rasant zunehmenden Einfluss virtuell erzeugter Werte.
Spekulation ist ohnehin an die mögliche Vernichtung materieller Güter gekoppelt. Der materiell-sinnliche Kontaktverlust wird durch eine Verlagerung zentraler Lebenszusammenhänge ins als dreidimensional bezeichnete Internet allerdings nochmals gesteigert. Im NFT-Hype manifestieren sich private Gelüste, haptisch Greifbares zu schreddern oder auf dem Altar von Internet-Realitäten als Brandopfer in Rauch aufgehen zu lassen. Das ist zugleich Ausdruck einer Entfremdung vom Physischen und der Lust an unmittelbar physischer Zerstörung. Der Rückfall der als avantgardistisch deklarierten Kunstwelt in Spektakel und Kultwert hat nicht zuletzt auch eine faschistische Komponente.
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