Jaaanz weit draußen

Der Dokumentarfilm »Berlin JWD« lenkt den Blick auf Umbrüche an den Rändern Berlins

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.
Transformation – Jaaanz weit draußen

Jwd – diese Abkürzung hört man seit einigen Jahren verstärkt, wenn Freunde und Bekannte auf Wohnungssuche sind. Janz weit draußen, jwd eben, sei die Wohnung gewesen, die man sich angeschaut habe, die man dann aber doch angesichts fehlender Alternativen nehmen würde. Was dabei als jwd gilt, kann sich je nach Ausgangslage unterscheiden. Für den einen beginnt jwd bereits hinter dem S-Bahn-Ring, für den anderen dort, wo der Asphalt in den märkischen Sand übergeht.

Ja, Marzahn ist auch jwd. Zumindest für Bernhard Sallmann, der in seinem neuen Dokumentarfilm »Berlin JWD« den Blick auf die Ränder des Berliner Siedlungssterns lenkt. Jwd, dieser Ausdruck sei um 1900 entstanden, sagt man. Als SW oder NO noch Postzustellgebiete wie Südwest oder Nordost bezeichneten und der Berliner das, was dahinter kam, ironisch mit jwd abkürzte.

Sallmann fängt fotografisch, nahezu wie in einer Diashow mit Standbildern, in etwas über einer Stunde Spielzeit solche Orte ein, wo gelinde gesagt wenig los ist. Der gebürtige Österreicher beschäftigt sich in seinem filmischen Schaffen immer wieder mit seiner Wahlheimat Berlin und ihrer Umgebung. Vor »Berlin JWD« hatte er sich bereits filmisch in einem Vierteiler auf die Spuren von Theodor Fontanes Wanderungen in die Mark Brandenburg begeben.

Diesmal kommt Sallmann ohne Erzähler aus. Lediglich ab und an hört man die Stimmen gelegentlich das Bild querender Passanten oder das Geräusch eines abbiegenden Autos. Man mag das als zu simple Betonung dessen sehen, was auch die Berliner in den Innenstadtbezirken nicht müde werden zu betonen: In jwd sagen sich Fuchs und Hase eben gute Nacht. Doch tatsächlich zwingt der Film so, sich ganz auf das Visuelle einzulassen. Das lohnt. Wenn die Kamera beispielsweise den kleinen Hafen in Neukölln in der Nähe der Autobahn einfängt und die einzige Höhendominante im Bild das Estrel-Hotel an der Sonnenallee ist, merkt der Zuschauer, dass der Blick auf Berlin von der Peripherie aus ein anderer ist als der im Zentrum der Stadt. Kein Fernsehturm oder Hochhaus am Potsdamer Platz ist von hier aus zu sehen, ganz anders eben, als würde der Blick beispielsweise vom Aussichtspunkt des ehemaligen Flakturms im Humboldthain über die Stadt schweifen.

Apropos Autobahn: Sallman fängt auch ein, wie sich der 16. Bauabschnitt der A100 durch Berlin fräst. Von der Hatun-Sürücü-Brücke aus ist die nackte Beton-Schale des Bauvorhabens zu sehen. Sürücü, nach der die Brücke benannt ist, wurde 2005 von ihrem Bruder in Tempelhof ermordet. Eigentlich sollte auch dort zum Gedenken eine Fußgängerbrücke nach ihr benannt werden, aus der Brücke wurde aber nichts, stattdessen nun halt die über die A100. »Hatun Sürücü ist ein Symbol für die Selbstbestimmung junger Frauen. Und die Brücke ist ein Einfallstor nach Neukölln – das passt«, sagte die damalige Neuköllner Bürgermeisterin und heutige Regierende Franziska Giffey. Die Grünen im Bezirk wiederum befanden, dass dies ein trister und toter Ort und das der starken Frau nicht würdig sei – eben jwd.

Der Blick an die Ränder Berlins zeigt aber nicht nur, wie in Form der Autobahn neuer Beton vergossen wird, sondern auch, wie anderer Beton ganz nutzlos brachliegt. Die Aufnahmen vom ehemaligen Flughafen Tegel haben durchaus etwas Postapokalyptisches, wenn riesige leere Parkplatzflächen zu sehen sind, wo vormals noch Taxis hielten und Reisende ihr Auto für die Urlaubszeit abstellten. So schnell kann es gehen mit den Umbrüchen an den Rändern Berlins.

Das Interessante an Sallmanns Dokumentation ist, dass er den ehemaligen Flughafen nicht als solchen betitelt, sondern bereits das Kommende vorwegnimmt, wenn er die Ortsmarke »Urban Tech Republic« setzt. Denn nach der Schließung des Flughafens soll hier ein neues Stadtquartier entstehen, inklusive Ansiedlung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Die Veränderung des Wirtschaftsstandorts Berlin wird am sichtbarsten, wenn »Berlin JWD« die Aufnahmen von Tegel, Siemensstadt und Adlershof nebeneinanderstellt. Die alten Produktionsstandorte an den Rändern der Stadt wandeln sich. Statt rauchender Schlote findet sich dort jetzt Spitzentechnologie.

»Berlin JWD«, Bernhard Sallmann, 74 Min.,
Kinostart: 12. Januar.

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