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Iran hängt weiter Menschen auf
Das Regime in Teheran forciert die Repression gegen die Revoltierenden und vollstreckt weitere Todesurteile
Das islamische Regime im Iran hat am Samstag zwei weitere Hinrichtungen vollstreckt und zwei Männer gehängt, weil sie angeblich im Oktober in der Nähe der Hauptstadt Teheran einen Basidsch-Agenten bei Protesten gegen die Regierung getötet hätten.
Nach Darstellung der Justizbehörde hatten die beiden Männer vor Gericht zugegeben, bei Protesten in Karadsch, einem Vorort der Hauptstadt Teheran, einen angeblich unbewaffneten Sicherheitsbeamten mit einem Messer erstochen zu haben. Der Sicherheitsmann war Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Einheit der Revolutionsgarden. Das Gnadengesuch der beiden Angeklagten wurde dem Mizan-Bericht zufolge vom obersten Gerichtshof abgelehnt.
In einer von der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA verbreiteten Erklärung der Justizbehörden heißt es laut dem TV-Auslandssender »Iran International«: »Mohammad Mehdi Karami und Sejed Mohammad Hosseini, die Hauptverantwortlichen für das Verbrechen, das zum ungerechten Märtyrertod von Ruhollah Ajamian geführt hat, wurden heute Morgen gehängt.«
Nach Angaben von »Iran International« wurden Karami, 22 Jahre alt, und Hosseini, 39 Jahre alt, vor Gericht gestellt, ohne dass sie Zugang zu einem Anwalt ihrer Wahl hatten, wie fast alle anderen Dissidenten und Demonstranten auch, die während der Demonstrationen festgenommen wurden. Die Umstände der Tötung von Ajamian sind unklar, da die paramilitärischen Basidsch-Kräfte häufig die Führung bei Angriffen auf Demonstranten übernehmen und tödliche Gewalt anwenden.
Die Verurteilungen basierten nicht auf einer strafrechtlichen Anklage im Zusammenhang mit der Ermordung an sich, sondern sie wurden wegen »Moharebeh« angeklagt, vage übersetzt »Krieg gegen Gott«. Die Islamische Republik Iran benutzt diesen Tatbestand bei Personen, die bei Demonstrationen in Konflikt mit Sicherheitskräften geraten.
»Ich habe mich mit Seyed Mohammad Hosseini im Karadsch-Gefängnis getroffen. Er weinte bei der Schilderung der Folterungen: Er wurde mit gefesselten Händen und Beinen und mit verbundenen Augen geschlagen, er wurde gegen den Kopf getreten und verlor das Bewusstsein, seine Fußsohlen wurden mit einer Eisenstange geschlagen und er wurde an verschiedenen Stellen des Körpers getasert«, twitterte am 18. Dezember Ali Sharifzadeh Ardakani, der nach eigenen Angaben erst kürzlich die Erlaubnis erhalten hat, Hosseini zu vertreten.
Trotz zahlreicher internationaler Versuche, die Hinrichtungen zu stoppen, beschloss das Regime, das im November gefällte Urteil zu vollstrecken. Offiziellen Angaben zufolge wurden die Todesurteile für drei weitere Personen in demselben Fall aufgehoben.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach sich für mehr Druck der EU auf Teheran aus. Mohammad Mehdi Karami und Sejed Mohammad Hosseini seien vom Regime erhängt worden, »weil sie sich dem brutalen und menschenverachtenden Handeln nicht unterwerfen wollten«, schrieb die Grünen-Politikerin am Samstag bei Twitter. Dies seien zwei »weitere schreckliche Schicksale, die uns bestärken, mit der EU den Druck auf Teheran weiter zu erhöhen«.
Laut »Iran International« hat die Regierung bislang vier Demonstranten hingerichtet und gegen elf weitere wurde die Todesstrafe verhängt, wobei es sich nicht nur um Anschuldigungen wegen Mordes handelt. Menschenrechtsgruppen sprechen von mindestens 100 weiteren angeklagten Demonstranten, denen ebenfalls die Todesstrafe drohen könnte.
Die in Oslo ansässige Iran Human Rights Organization bezeichnete die Hinrichtung von Mohammad Mehdi Karami und Mohammad Hosseini als »kriminellen Akt« und warnte vor »massiven Hinrichtungen von Demonstranten«, wenn es keine »angemessene Reaktion der internationalen Gemeinschaft« gebe.
Der in Kanada lebende Aktivist Hamed Esmaeilion erklärte am Samstag in einem Tweet, dass »Terroristen der Islamischen Republik zwei unschuldige junge Männer ohne Zugang zu den Anwälten und hinter verschlossenen Türen ermordet haben. Die Zeit ist gekommen, ihre Botschafter auszuweisen«. In verschiedenen Ländern haben Iraner am Samstag protestiert, um die Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen, die die Islamische Republik in den vergangenen 43 Jahren begangen hat.
Schon die ersten beiden Hinrichtungen hatten scharfe internationale Verurteilungen ausgelöst. Eine weitere Folge war, dass Hunderte von Gesetzgebern in Europa und Australien Patenschaften für von der Hinrichtung bedrohte iranische Gefangene übernahmen, um Öffentlichkeit zu schaffen für die Vorgänge im Iran und so die Hinrichtungen zu verhindern.
Die französische Zentrums-Abgeordnete Aude Luquet hatte die politische Patenschaft für Sejed Mohammad Hosseini übernommen und forderte einen sofortigen Stopp aller Hinrichtungen im Iran. Hosseini wird auch vom österreichischen Parlamentarier Harold Truch unterstützt.
Mohammad Mehdi Karami wurde unterstützt von Helge Limburg, Abgeordneter der Grünen im Deutschen Bundestag. »Wir trauern um Mohammad Mehdi Karami. Aber aus den Tränen erwächst Kraft. Die tapferen Menschen im Iran kämpfen weiter friedlich für Freiheit und Demokratie. Und wir sind immer noch auf ihrer Seite«, twitterte Limburg am Samstag nach Bekanntwerden der Hinrichtung.
Zahlreiche deutsche Abgeordnete haben in den vergangenen Wochen Patenschaften für inhaftierte und von Todesstrafe bedrohte Menschen im Iran übernommen, allein 78 sind es bei der Linken (Stand: 22. Dezember). »Ziel ist es, durch öffentliche Aufmerksamkeit Hinrichtungen im Iran zu verhindern und die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen«, heißt es in einer Pressemitteilung.
Unterdessen hat der oberste Führer der Islamischen Republik einen neuen Polizeichef ernannt: Ahmad Reza Radan. Er gilt als Hardliner und hatte sich in der Vergangenheit stets stark dafür gemacht, dass Frauen die strenge Kleiderordnung im Iran einhalten. Auch junge Männer sollten seiner Auffassung nach Frisurentrends aus dem Westen nicht folgen und bei Verstößen festgenommen werden. Aufgrund von Menschenrechtsverletzungen steht Radan schon seit 12 Jahren auf einer Sanktionsliste der USA.
Radan war bislang der Stellvertreter des am Samstag entlassenen Hussein Aschtari. Warum dieser in Ungnade fiel, wurde nicht bekannt gegeben. Aschtari war jedoch in die Kritik geraten, nachdem die 22-jährige iranische Kurdin Jina Mahsa Amini im September in Polizeigewahrsam gestorben war. Amini war von der sogenannten Sittenpolizei verhaftet worden, weil ein paar Haarsträhnen unter dem obligatorischen Kopftuch zu sehen waren. Ihr Tod wurde zum Auslöser der bis heute andauernden Proteste im Land, die sich gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem richten. Aschtari hat stets behauptet, dass die Polizei keine Schuld an Aminis Tod trage. Kritiker sind jedoch der Auffassung, dass die junge Frau von Polizisten geschlagen wurde und an einer Hirnblutung starb.
Am Sonntag war zudem der dritte Jahrestag des Abschusses einer ukrainischen Flugzeugs, das von den iranischen Revolutionsgarden im Januar 2020 abgeschossen worden war. Iraner in Paris, London, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Bonn, Bremen, Oslo und Wien hielten Versammlungen ab, um dieser Katastrophe zu gedenken. In Bonn demonstrierten und marschierten viele im Ausland lebende Iraner und Deutsche, um Gerechtigkeit für die Opfer der Islamischen Republik zu fordern.
Der dritte Jahrestag des Absturzes von Flug PS752 wurde auch in Oslo, Norwegen, begangen. Auf der Versammlung wurde die Erklärung der Familie der Opfer des ukrainischen Flugzeugs verlesen. In der Erklärung wurde betont, dass der Fall an den Internationalen Gerichtshof weitergeleitet werden soll, damit dieser eine Untersuchung einleitet. Alle 176 Passagiere und Besatzungsmitglieder, darunter 63 Kanadier und 10 Schweden, sowie 82 iranische Staatsbürger an Bord des Flugzeugs kamen bei der Katastrophe ums Leben. In den vergangenen Tagen rief die Vereinigung der Familien der Getöteten weltweit zu Demonstrationen auf, um den tragischen Absturz des Flugzeugs durch die IRGC zu verurteilen.
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