• Politik
  • Zahlungsstreik beim Strom

Den Spieß umdrehen

Die Initiative »Wir zahlen nicht« ruft dazu auf, solidarisch die Stromzahlungen auszusetzen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 3 Min.

»Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland 235 000 Menschen der Strom abgeklemmt, 4,3 Millionen Menschen wurde das angedroht«, sagt Lena Deich von der Initiative »Wir zahlen nicht«. Es sei an der Zeit, eine kollektive und solidarische Antwort auf die individuellen Probleme zu geben, so Deich weiter bei einer Pressekonferenz am Dienstag in der Berliner Volksbühne. Die Initiative ruft Menschen bundesweit dazu auf, die Stromrechnungen nicht mehr zu bezahlen und sich dabei gegenseitig zu unterstützen. »Wenn wir eine Million Teilnehmende zusammenhaben, zahlen wir nicht mehr«, kündigt Deich an.

Angesprochen sind Menschen, die ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können; doch die Initiative wendet sich ausdrücklich auch an jene, die diese auch aus klimapolitischen Gründen nicht mehr bezahlen wollen. »Wir fordern einen viel konsequenteren und dezentralen Ausbau von erneuerbarer Energiegewinnung, sodass wir da schnellstmöglich bei 100 Prozent sind«, so Deich. Es sei also auch eine Einladung an die Klimabewegung, sich dem Zahlungsstreik anzuschließen.

Für besonders von Armut betroffene Menschen, die ihre Rechnungen schlicht nicht mehr bezahlen können, spricht am Dienstag Nicole Lindner vom Berliner Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen. »Es braucht diese Streiks, Demonstrationen allein bringen nichts«, sagt sie. Von ihrer ehrenamtlichen Arbeit wisse sie, wie schlimm die Situation bei vielen einkommensarmen Menschen mittlerweile ist.

Als Folge fühlten sich viele auch selbst schuldig, in diese Lage geraten zu sein. »Dabei sind allein in Berlin 85 Prozent der Haushalte für den bisher nur in der Hauptstadt aufgelegten Härtefallfonds Strom antragsberechtigt. Die Menschen verbrauchen also nicht zu viel Energie, sondern die Preise sind zu hoch«, betont Marie Bach von »Wir zahlen nicht«. Der Berliner Härtefallfonds sei ein richtiger Schritt, mit der damit möglichen Einmalzahlung würden die Probleme aber letztlich auch nicht gelöst, so Bach.

In diese Richtung argumentiert am Dienstag auch Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie. »Bei den teuren Wummspaketen der Ampel-Koalition fällt auf, dass keines dabei ist, das die Energiesicherheit gewährleistet«, sagte er. Die Regierung bleibe im politischen Normalmodus, wodurch die aktuelle Energiekrise sowohl für das Klima als auch für die Verbraucher*innen zur Dauerkrise zu werden drohe. Er erinnerte daran, dass die deutschen Energiekonzerne jahrzehntelang vom günstigen Import aus Russland profitiert hätten. Doch während die Gewinne privatisiert wurden, würden die Verluste nun sozialisiert.

Betroffene, die nicht mehr zahlen können oder wollen, können sich ab sofort auf der Webseite der Initiative informieren und registrieren. »Der Zahlungsstreik beim Strom ermöglicht uns, dass wir gemeinsam handeln können«, so die Initiator*innen. Der gegenseitige Schutz vor Stromsperren solle dabei nicht nur durch die solidarischen Mittel des Streiks erreicht werden, sondern auch durch die lokale Vernetzung in Nachbarschaftsgruppen und ähnlichem.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.