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Einfach stehen lassen
Der Mieterverein erklärt, wie dem Abriss von Wohnraum ein Riegel vorgeschoben werden kann
Die Geschichte des ehemaligen Schwesternwohnheims in der Habersaathstraße ist schnell erzählt und mittlerweile stadtweit bekannt. Die »Papageienplatte« wurde in den 80ern gebaut, 2006 vom Land verkauft, dann in Privathand saniert und 2017 an die Arcadia Estates weiterverkauft. Schließlich stellte der Investor beim Bezirk Mitte einen Abrissantrag. So zählt es der Langzeitmieter Daniel Diekmann im Schnelldurchlauf auf.
»Mit unseren Gesetzesvorschlägen könnten sich die Mieter in der Habersaathstraße gut durchsetzen«, ist sich Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein sicher. Er hat am Mittwoch sein Konzept für eine strenge Regulierung von Abrissen vorgestellt. »Stehen lassen, stehen lassen, stehen lassen«, so solle das Motto lauten, das Einzug in die Gesetze erhalten müsse, sagt Bartels. Denn Abrisse führen zur Vernichtung preisgünstigen Wohnraums und zur Verdängung finanziell schwacher Mieter, weil das, was neu entsteht, sich viele nicht leisten können. Vor allem Nachkriegshäuser der 50er und 60er Jahre, von denen es 350 000 in Berlin gibt und in denen die Mieten meist günstiger als in Altbauten sind, stehen bei Investoren auf der Abrissliste. Insgesamt 532 Wohnungen seien nach offiziellen Zahlen 2021 abgerissen worden, man könne aber davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl 2000 Wohnungen übersteige, meint Bartels.
Über die Hälfte der Abrissanträge sei in den vergangenen Jahren genehmigt worden, meist ohne Auflagen, so der Geschäftsführer des Mietervereins. Das Problem vielerorts ist, dass Häuser bewusst nicht instand gehalten werden, um ihren Abriss dann mit der fehlenden Wirtschaftlichkeit begründen zu können. Hier will der Mieterverein ansetzen. Es gibt mehrere Regelwerke, die sich nachschärfen ließen, um Abrissen Einhalt zu gebieten. Wenn eine Instandhaltung wirtschaftlich zumutbar ist beim Blick auf die Rentabilität in den nächsten 20 Jahren, solle der Abriss ausgeschlossen werden, sagt Bartels. »Das ist ein guter Riegel, um viele Anträge von vornherein abzulehnen.«
Wenn es dann doch zu einem Abriss kommt, müsse dafür gesorgt werden, dass der zu errichtende Ersatzwohnraum auch erschwinglich ist. Für diesen gilt bisher eine Mietobergrenze von 9,17 Euro nettokalt je Quadratmeter. Dem Mieterverein reicht das nicht. Er schlägt vor, die Eigentümer zur Errichtung von 50 Prozent Sozialwohnungen zu verpflichten und weitere Grenzen bei der Höchstmiete festzusetzen. Diese soll die Miete des wegfallenden Wohnraums um nicht mehr als 20 Prozent übersteigen und die ortsübliche Vergleichsmiete um nicht mehr als zehn Prozent. Dadurch wären in den meisten Fällen nur Quadratmetermietpreise unter neun Euro möglich.
Neben Regelwerken wie dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der entsprechenden Verordnung müsse aber auch die Bauordnung überarbeitet werden, fordert der Mieterverein. Denn Abrisse sind nicht nur sozial, sondern auch ökologisch ein Problem. Die für den Bau bereits verbrauchte Energie wird verschwendet, während für den Neubau wieder welche verbraucht wird. Der Mieterverein schlägt hier eine »Lebenszyklusanalyse« vor: Der Rückbau von Gebäuden sei dem Neubau anzulasten und letzterer nur zu genehmigen, wenn dieser insgesamt ökologisch weniger belastend ist als der Erhalt eines Bestandsgebäudes. Außerdem sollen Abrisse nur genehmigt werden, wenn die Kosten für Erhalt und Sanierung zwei Drittel der Kosten eines Neubaus übersteigen.
Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, begrüßt die Vorschläge des Mietervereins. »Wir können uns Abrisse schlichtweg nicht mehr leisten – weder aus ökonomischer, sozialer noch aus klimapolitischer Sicht.« Auch im Koalitionsvertrag seien dahingehende Maßnahmen längst verabredet gewesen, betont sie. »Da der Stadtentwicklungssenator seinen Fokus nur auf Neubau gelegt hat, ist die Bilanz bisher allerdings nüchtern.« Schmidberger ist überzeugt, es brauche ein »faktisches Abrissverbot für Wohnraum«.
Auch Niklas Schenker und Katalin Gennburg, die zuständigen Fachpolitiker der Linksfraktion, sprechen sich für einen Abrissstopp aus. Sie verweisen gleichzeitig auf ein Problem, das mit dem Abriss von Wohnraum im Zusammenhang steht: den Leerstand. Eigentümer ließen bezugsfertige Wohnungen oft leerstehen, weil sie auf eine Genehmigung des Abrisses spekulierten. »Im Anschluss wollen sie teuren Neubau errichten. Beispiele aus Bezirken wie Charlottenburg-Wilmersdorf zeigen, dass sie damit auch erfolgreich sind«, erklären die Linken-Politiker. Auch beim Leerstand ist Charlottenburg-Wilmersdorf vorn dabei. Fast 900 der gegenwärtig über 3000 Amtsverfahren wegen Zweckentfremdung durch Leerstand laufen in dem West-Bezirk, wie eine noch unveröffentlichte Antwort auf eine Anfrage von Schenker zeigt, die »nd« vorliegt.
Wer allerdings noch in einem Haus wohne, für dessen Abriss das Bezirksamt grünes Licht gegeben habe, müsse nicht sofort klein beigeben, erklärt Sebastian Bartels vom Mieterverein. Ohne eine Kündigung müsse man auch nicht ausziehen. Zudem prüften Gerichte durchaus strenger als das Bezirksamt, ob es ein berechtigtes Interesse des Eigentümers am Abriss gebe. Der Mieterverein fordert deshalb, dass die Bezirksämter die Mieter über ihre Möglichkeiten aufklären, damit diese nicht voreilig ausziehen.
Die Mieter der Habersaathstraße geben jedenfalls noch lange nicht auf. Auch hier war der Großteil der Wohnungen dem Leerstand überlassen worden, bis vor über einem Jahr Obdachlose das Haus besetzten. Sie wehren sich gegen ihre Räumung, ebenso wie sich Langzeitmieter Daniel Diekmann gegen seine Kündigung zur Wehr setzt. Die nächste ist auf Ende April datiert. Das muss aber nicht das Ende sein. »Gegen eine erste Verwertungskündigung konnten wir uns 2019 erfolgreich zur Wehr setzen«, sagt Diekmann.
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