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  • Berlin
  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Die Mathematik der Vergesellschaftung

Falls der Volksentscheid umgesetzt wird, wäre die Berechnung einer Entschädigungssumme kompliziert und langwierig

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist die Gretchenfrage der Vergesellschaftung: Wie viel würde es am Ende kosten, die Wohnungsbestände großer profitorientierter Unternehmen in Gemeineigentum zu überführen? Eine Frage, die sich nicht so leicht beantworten lässt. Was bei der Ermittlung der Entschädigungssumme allerdings zu berücksichtigen wäre, hat sich am Freitag die Expertenkommission, die über die Umsetzbarkeit des Volksentscheids berät, von Sachverständigen erklären lassen. 

Beim Thema Entschädigung verweist der Vergesellschaftungsartikel im Grundgesetz lediglich auf den entsprechenden Absatz des vorherigen Artikels zur Enteignung. Mit der Entschädigung von Enteignungen haben Gerichte bereits Erfahrungen, sei es bei Fernstraßen oder Tagebauen. Zwar gibt es in der Rechtsprechung auch Ausnahmen, aber eine Entschädigung erfolgt in der Regel zum Verkehrswert, also in Höhe dessen, was eine Immobilie vereinfacht gesagt am Markt wert ist, und nicht orientiert an dem, was beispielsweise einmal ein spekulationsgetriebener Kaufpreis war. Dass dem so ist, liegt am gegen den Staat gerichteten Bereicherungsverbot, erklärt Ulrich Herrmann, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof (BGH). »Bei einer Entschädigung unter Verkehrswert besteht stets die Gefahr der Bereicherung des Staates«, so Herrmann. 

Um diesen Verkehrswert zu ermitteln, gibt es verschiedene Methoden. In der Debatte hatte zuletzt das Ertragswertverfahren über Fachkreise hinaus Popularität erlangt, weil sich Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) für diese Berechnungsmethode ausgesprochen hat und auch Deutsche Wohnen & Co enteignen selbst ein modifiziertes Ertragswertverfahren für die Ermittlung der Entschädigung vorstellte. Ihr »Faire-Mieten-Modell« nimmt eine leistbare Miete an, rechnet diese auf 40 Jahre hoch und kann damit einen zu erwartenden »fairen« Ertrag bestimmen, zu dem die Eigentümer bei der Vergesellschaftung zu entschädigen wären. Dabei setzen die Vergesellschaftungsaktivisten für die Berechnung aber Mieten teils weit unter den tatsächlich verlangten fest. 

Auch die Autoren einer kürzlich veröffentlichten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vergleichen die Mieten von börsennotierten Vergesellschaftungskandidaten mit denen der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Sie argumentieren, dass sich an Letzteren ablesen lässt, wie hoch eine nicht spekulativ entstandene Miete sein muss, mit der sich solide wirtschaften lässt. Diese stelle einen Anhaltspunkt für die Berechnung einer angemessenen Entschädigung dar. 

Eine Entschädigung auf Basis sozialpolitischer Zielsetzungen, mit der vom Verkehrswert abgewichen wird, wäre indes bisher nicht von der Rechtsprechung zur Enteignung gestützt, erklärt BGH-Richter Ulrich Herrmann.

Nun unterscheidet sich die Vergesellschaftung von der Enteignung. Dieser Auffassung folgt auch die Expertenkommission in ihrem Zwischenbericht. Der Bericht dokumentiert verschiedene Positionen zur Entschädigung nach dem Verkehrswert. So gibt es Kommissionsmitglieder, die argumentieren, dass bei einer Vergesellschaftung die Entschädigung unabhängig vom Verkehrswert bestimmt werden kann. Eine andere Position sieht zwar den Verkehrswert als Anhaltspunkt, argumentiert aber, dass Abschläge von diesem rechtmäßig sein können. 

Um Abschläge machen zu können, muss der Verkehrswert allerdings erst einmal berechnet werden. Diese werden aber nicht wie bei Kreditinstituten oder bei steuerlichen Verfahren in einer Massenbewertung ermittelt. »Immer in die Gebäude reingehen, nie vom Schreibtisch aus beurteilen«, beschreibt Fabian Thiel, Professor für Immobilienbewertung, die Praxis – eine, die bei 240 000 bis möglicherweise 300 000 Wohnungen von einigem Zeitaufwand wäre. »Bei jedem Haus, das vergesellschaftet werden soll, muss man eigentlich eine Ortsbegehung machen. Ich sehe da keine andere Möglichkeit«, sagt Thiel. 

Wenn Bürgermeister und Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer sich nun dafür ausspricht, dass binnen eines Jahres nach möglicherweise positivem Abschlussbericht der Expertenkommission ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeitet werden soll, dann könnte das erst der Anfang einer langjährigen Arbeit sein.

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