Werbung

»Ein unfassbares Gefühl von Machtlosigkeit«

Reyna de la Torre über den dritten Jahrestag der Ermordung ihrer Tochter Isabel Cabanillas im nordmexikanischen Ciudad Juárez

  • Jana Flörchinger
  • Lesedauer: 7 Min.
Am Gedenkort für Isabel Cabanillas haben Genossinnen ein Fahrrad angebracht.
Am Gedenkort für Isabel Cabanillas haben Genossinnen ein Fahrrad angebracht.

In wenigen Tagen jährt sich der Feminizid an Ihrer Tochter zum dritten Mal. Was haben Sie an diesem Tag geplant?

Interview

Vor drei Jahren hat Reyna de la Torre ihre Tochter Isabel Cabanillas verloren, die sich in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez sozial und politisch engagiert hatte. Reyna de la Torre vermutet, dass sie wegen ihres Engagements erschossen wurde. Feminizide gibt es viele in der Stadt. Der Protest gegen diese Tötungen bleibt nicht unbemerkt, zunehmend schließen sich Angehörige der Ermordeten zusammen und fordern eine Aufklärung der Gewalttaten.

Isabel wurde gegen ein Uhr nachts getötet, als sie mit dem Fahrrad auf dem Nachhauseweg war. In den Tagen nach der Ermordung hatten wir von der Bar aus, wo sie zuletzt war, eine Mahnwache zu dem Ort organisiert, wo ihr Körper gefunden wurde. Es kamen damals so viele Menschen zu dieser Mahnwache, um gemeinsam zu trauern. Jedes Jahr organisieren wir seitdem diese Mahnwache in den späten Abendstunden, um ihren letzten Weg gemeinsam abzulaufen. Wir treffen uns am 17. Januar um 23 Uhr und gehen in der Nacht zusammen zu dem Ort, wo meine Tochter gefunden wurde. Dort gibt es mittlerweile einen Gedenkort mit ihrem Fahrrad, Blumen und einem rosa Kreuz. Wir halten dann inne. Meistens sind Frauengruppen dabei, Freundinnen von Isabel und meine Freunde. Mich begleiten hier in Juárez Kollektive, die helfen auch bei der Vorbereitung der Mahnwache. Diejenigen, die mich unterstützen, habe ich erst kennengelernt, nachdem Isabel ermordet wurde. Es waren Freundinnen und Genossinnen von ihr, mit denen sie in einer feministischen Gruppe organisiert war. Ihr früheres Kollektiv hat sich mittlerweile aufgelöst, jedoch sind andere Gruppen, Kollektive und einzelne Freundinnen dazugekommen, um das Gedenken an Isabel zu organisieren. Im Laufe der Zeit haben wir uns kennengelernt, weil Freundinnen und Aktivistinnen Aktionen rund um den Feminizid an Isabel und anderen Frauen geplant hatten und mich von Anfang an einbezogen haben. Wir näherten uns mit der Zeit an. Manche sind zu Freundinnen geworden.

In den Tagen nach dem Feminizid an Isabel Cabanillas organisierten feministische Kollektive mehrere Großdemonstration im Zentrum von Ciudad Juárez.
In den Tagen nach dem Feminizid an Isabel Cabanillas organisierten feministische Kollektive mehrere Großdemonstration im Zentrum von Ciudad Juárez.

Isabel war bekannt für ihre Zeichnungen auf Wandgemälden und Kleidungsstücken. Welche Bedeutung hat das für den Fall?

Isabel hatte damals erst begonnen, sich stärker auf das Zeichnen und ihre Kunst zu konzentrieren. Das lief alles ziemlich gut. Sie beschäftigte sich vor allem mit Migration in Juárez. Hier an der Grenze in Juárez kommen täglich Migranten an. Isabel hat viele darin unterstützt, hier anzukommen oder weiterzugehen. Damit hat sie sich in ihren Zeichnungen und in Wandgemälden auseinandergesetzt. Ich bin mir sicher, dass ihre Ermordung im Kontext ihrer Arbeit gesehen werden muss und dass sie sich öffentlich in sozialen Medien zu Migration und Gewalt in der Stadt positionierte. Isabel war in einer verletzlichen Position. Sie war einerseits nicht das bekannteste Gesicht einer Bewegung, bei dem klar gewesen wäre, dass eine Ermordung mit der politischen Aktivität zusammenhängt. Gleichzeitig war sie aber sichtbar Teil sozialer Bewegungen. Ihre Ermordung war eine Botschaft für andere, damit der Rest versteht, was hier los ist.

Wie steht es um die Ermittlungen in dem Fall?

Im Ermittlungsverfahren gibt es keinerlei Ansätze, die Aufklärung versprechen. Auch nach drei Jahren nicht. Der leblose Körper meiner Tochter lag zwei Stunden auf dem Bürgersteig einer Seitenstraße. Niemand hatte das Herz, ihr zu helfen oder Hilfe zu rufen. Meine Tochter verließ die Bar, in der sie zuletzt war, um nach Hause zu fahren. Jemand hat sie dann geschubst. Das hat mir die Staatsanwaltschaft (nach der Auswertung einer Überwachungskamera, Anm. d. Red.) gesagt. Das ist ein Hinweis darauf, dass sie verfolgt wurde. Meine Tochter wurde verfolgt und zu Boden gestoßen. Dann stand sie nochmal auf, und diejenigen, die ihr gefolgt sind, erschossen sie aus anderthalb Metern. Mit zwei Kugeln. Diese Personen wussten, woher Isabel kam. Sie wussten, wer sie war. Das ist klar. Was genau passiert ist, kann mir die Staatsanwaltschaft aber nicht sagen.

In welche Richtungen ermittelt die Staatsanwaltschaft?

Der Fall wurde hinsichtlich Drogenhandel und Drogenkonsum untersucht. Seit drei Jahren wird nun schon versucht, einen Zusammenhang zum Drogenhandel herzustellen. Aber da finden sie keine Ergebnisse. Ihre Wohnung wurde durchsucht. Aber auch dort gab es keine Hinweise auf eine Verbindung zum illegalen Drogenhandel. Jetzt fragen sich die Leute: Hat Isabel Drogen verkauft? Hat Isabel Drogen konsumiert? Die Antwort ist: Nein. Letztlich geht es in den Ermittlungen darum, einen Fall zu konstruieren, dass Isabel Marihuana konsumierte und sie deswegen ermordet wurde. Das lasse ich aber nicht zu, dass sie meiner Tochter Drogendelikte nachsagen. Würde es darum gehen, hätten sie den Täter innerhalb weniger Tage finden können. Nun sind aber drei Jahre vergangen. Würde das stimmen, frage ich mich: In drei Jahren könnt ihr keinen kleinkriminellen Drogendealer stellen? Hinzu kommt, dass ein Drogentest bei Isabel negativ ausgefallen ist. Es konnte also nicht mal nachgewiesen werden, dass sie konsumiert hatte.

Warum diese Fokussierung auf illegalen Drogenhandel?

Hier wird immer zuerst auf Drogen untersucht. Wenn du jemanden kanntest, der irgendwas mit Drogen zu tun hatte, heißt es sofort, dass man in kriminelle Machenschaften verstrickt wäre. Weil wir hier direkt an der Grenze sind, kommt es gelegen, alles Mögliche dem organisierten Verbrechen anzuhängen. Hier wurden gestern drei ermordete junge Frauen gefunden. Sie wurden zuvor als vermisst gemeldet. Die erste öffentliche Kommunikation war, dass sie mit Dealern unterwegs gewesen wären, dass sie betrunken und high gewesen wären. Dies hätte zu ihrem Tod geführt. Aber es gibt in den Ermittlungen keinen Fokus darauf, herauszufinden, wer sie ermordet hat. So läuft das hier in Juárez und überall in Mexiko. Erst diffamieren sie die Opfer, und so läuft das Verfahren dann ohne ernsthafte Ergebnisse weiter. Es geht eindeutig darum, Isabel zu diffamieren. Das werde ich aber nicht zulassen. Isabel kritisierte öffentlich, was in dieser Stadt alles schiefläuft. Deswegen glaube ich, dass sie sie diffamieren wollen. Eine weitere Strategie ist, den Fall von einer Behörde zur nächsten zu verweisen. So werden die Fälle verschleppt, so operiert die Straflosigkeit.

Was macht dieses Maß an Straflosigkeit mit Ihnen und mit anderen Müttern?

Die Staatsanwaltschaft weigert sich, den Fall ordentlich zu untersuchen. Das gibt mir ein unfassbares Gefühl von Machtlosigkeit. Jeden Monat gehe ich zu den Behörden und jedes Mal das Gleiche – keine Ergebnisse. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen, kein ernsthaftes Ermittlungsverfahren. Das frustriert mich nicht nur, sondern nimmt mir zunehmend die Hoffnung. Ich verstehe die Mütter, die nicht mehr die Kraft haben, weiterhin an diese Türen zu klopfen. Ich verstehe sie, weil uns allen das Gleiche passiert. Es ist zermürbend.

Wie reagieren Sie als Mütter darauf?

Im Fall von Isabel fokussieren wir uns auf den medialen Druck. Vor allem in diesen Tagen, wenn sich der Feminizid zum dritten Mal jährt. Wir veröffentlichen Beiträge in sozialen Medien, und in den lokalen Zeitungen wird darüber berichtet. Zurzeit sehe ich keine andere Möglichkeit. Es ist nicht immer einfach für uns. Schließlich werden wir bereits kritisiert, wenn wir auf die Straße gehen. Die Leute sind sehr verschlossen bei diesem Thema. Dabei sind es immer mehr Familien, die Feminizide zu beklagen haben. Viele Mütter waren früher, als ihre Töchter noch lebten, gegen große Proteste. Heute sind sie dafür. Erst wenn jemand selbst in so eine Situation gerät und eine Angehörige stirbt, werden die Leute aktiv. Auch bei mir war das so. Bis ich mich nicht selbst damit beschäftigen musste, habe ich mich auch kaum für die Situation der Feminizide in Juárez interessiert. Aber jetzt bin ich in dieser Situation, und ich verstehe die Mütter und Familien der Opfer.

Was ist Ihr Ziel?

Zunächst einmal wollen wir klarmachen: Das kann hier jeder passieren. Egal, was oder wer du bist. Und wir müssen was dagegen machen. Ich gehe mittlerweile zu allen Demos. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, gehen wir alle zur Demonstration. Ich gehe wegen meiner Tochter. Andere Mütter wegen ihrer Töchter. Bei der Mahnwache am 17. und 18. Januar geht es anfangs um mich und die Trauer um Isabel. Am Nachmittag rufen wir alle Mütter und Familien auf, gemeinsam vor der Staatsanwaltschaft zu demonstrieren. Meine Perspektive hat sich seit dem Tod von Isabel total verändert. Heute bin ich überall dabei. Und ich werde damit weitermachen, auf die Straße zu gehen und Druck auf die Behörden zu machen. Mich begleiten Frauenkollektive, Freundinnen und Freunde von Isabel. Solange wir zusammen weitermachen, mache ich auch weiter. Bis der Fall aufgeklärt ist.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.