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- Drei Jahre Brexit
Unterm Strich bleibt: nichts
Drei Jahre nach dem EU-Ausstieg haben sich praktisch alle Versprechen der Brexiteer als falsch erwiesen, konstatiert Anna Cavazzini.
Vor drei Jahren, am 31. Januar 2020, hat das Vereinigte Königreich die EU offiziell verlassen. Vor dem Referendum über einen Ausstieg aus der EU tourte ein Bus mit der Aufschrift, der Brexit würde dem Nationalen Gesundheitsdienst 350 Millionen Pfund pro Woche einbringen. Just in dieser Woche sind Pflegekräfte auf der Insel in einen beispiellosen Streik getreten, um sich gegen den »absolut katastrophalen« Zustand ihres Gesundheitssystems zu wehren. Wie bei allen anderen Brexit-Versprechen ist auch das des berüchtigten Brexit-Busses nie Wahrheit geworden. Im Gegenteil, drei Jahre Brexit haben der Wirtschaft und vor allem den Bürger*innen geschadet. Die Finanzierung öffentlicher Daseinsvorsorge ist schlechter denn je. Die Auswirkungen des Brexit haben das Land für Pflegekräfte aus der EU unattraktiv gemacht und den Personalmangel verschärft.
Heute zeigt sich: Keines der Brexit-Versprechen konnte gehalten werden. Jüngste Studien veranschaulichen die Auswirkungen. Das Ergebnis: Der Brexit hat das britische Bruttoinlandsprodukt um 5,5 Prozent, die Investitionen um 11 Prozent und den Warenhandel um 7 Prozent verringert.
Auch jenseits der rein wirtschaftlichen Zahlen sind die Vorteile des Brexits Mangelware. Als der harte Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg beauftragt wurde, »Chancen des Brexits« zu ermitteln, waren unter den neun Chancen: Fracking, weniger Beschränkungen für Gentechnik oder die Abschaffung der EU-Vorschriften, die die Leistung von Staubsaugern auf 1400 Watt beschränken. Das muss britischer Humor sein.
Der Fall mit den Staubsaugern mag zwar anekdotisch klingen, aber tatsächlich ist er ein Symbolbild. Die EU-Beschränkung für Staubsaugermotoren wurde eingeführt, um Energieverbrauch und Umweltbelastung zu begrenzen; ein Beispiel für die Erfolgsgeschichte von Ökodesign, die verpflichtende Nachhaltigkeitskriterien für Geräte festschreibt. Genau diese Anforderungen können zu etwa einem Drittel der erforderlichen Einsparungen beitragen, um das Ziel einer Emissionsreduzierung um 55 Prozent bis 2030 zu erreichen. Was Brexit-Befürworter*innen als Brüsseler Bürokratie abgetan haben, ist schlicht und einfach Klimaschutz.
Drei Jahre nach dem Austritt klingt die Behauptung der Konservativen, sie hätten den »Brexit abgehakt«, mehr als hohl. Das Thema vergiftet weiterhin die Beziehungen zur EU. Zu den noch offenen Streitpunkten gehören die Übereinkommen bezüglich Irland. Die Abschaffung der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland war ein Schlüsselelement des Friedensabkommens von 1998. Solange das Vereinigte Königreich und Irland beide EU-Mitglieder waren, gab es keinen Bedarf einer Grenze. Der Brexit hat das geändert und gefährdet damit den zerbrechlichen Frieden. Der einzig gangbare Weg für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus Binnenmarkt und Zollunion sind das Austrittsabkommen von 2020 und das dazugehörige Nordirland-Protokoll.
Seit dem Abschluss des Handels- und Kooperationsabkommens hat die britische Regierung ihre Zusagen über Bord geworfen. Das führte zu einer stetigen Verschlechterung der Beziehungen. Die Verhandlungen über die Zollregelungen laufen, und es besteht die Hoffnung, dass noch im April dieses Jahres eine vorläufige Einigung erzielt werden kann.
Der Brexit hat zahllose Probleme für Nordirland geschaffen. Die weiteren Handels- und politischen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hängen von ihrer Lösung ab. Doch der Ausblick ist düster: Zwei von den Konservativen unterstützte Gesetzesentwürfe drohen die kleinen Fortschritte zunichte zu machen
Mittlerweile befürworten 70 Prozent der Brit*innen eine engere Beziehung zur EU. Wie die aussehen könnte, ist noch völlig offen. Der Weg dahin erfordert aktives Engagement von britischer Seite. Denn das Getänzel um bestehende Vereinbarungen hat Motivation und Geduld auf Seite der EU arg beschränkt. Ein Regierungswechsel könnte neuen politischen Spielraum schaffen. Denkbar wären eine Vereinbarung zur Erleichterung der Mobilität von Künstler*innen, die Angleichung von Anforderungen an geltendes EU-Recht, eine Rückkehr zum Erasmus-Programm und vieles mehr.
Was uns die jüngste Zeitgeschichte aber gelehrt hat: Bis zu den britischen Parlamentswahlen im Jahr 2025 kann noch viel schiefgehen. Auf EU-Seite sind verhaltener Optimismus bei der Umsetzung des Nordirland-Protokolls, vorsichtiges Engagement und langfristige Planung gefragt. Drei Jahre später ist uns der Brexit immer noch ein Dorn im Auge – er war die schlechteste Lösung für alle.
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